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Robert Pattinson spielt in dem Science-Fiction-Delirium "High Life" einen Raumfahrer wider Willen.
© Pandora

Science-Fiction-Film "High Life": Fortpflanzung zwischen den Sternen

Gagalaktisch: Juliette Binoche und Robert Pattinson müssen in Claire Denis' Weltraumdrama „High Life“ das Überleben der Menschheit sichern.

Das Wort „Samendiebin“, zu fragwürdiger Prominenz gekommen in der sogenannten Besenkammer-Affäre um Boris Becker, stammt aus einer Ära des Boulevardjournalismus, in der Frauen noch widerspruchslos die Rolle der Schurkin zugeteilt werden konnte. Aber es ist auch nach knapp zwei Stunden der herrlich delirierenden Science-Fiction-Kuriosität „High Life“ nicht ganz klar, welche Interpretation die französische Regisseurin Claire Denis anzubieten hat. Eine dezidiert feministische Lesart, wie man bei Denis vermuten könnte, liegt ihr zumindest fern.

Die Wissenschaftlerin Dibs, von Juliette Binoche mit genussvoll ausagierter Derangiertheit gespielt, hat sinistre Pläne mit der Besatzung eines durch die Tiefen des Alls rasenden Raumschiffs. Sie ist nicht die einzige Protagonistin mit einem fehlgeleiteten moralischen Kompass: Der Rest der Crew besteht aus jungen, allesamt äußerst attraktiven Delinquenten (darunter Robert Pattinson, Mia Goth, Outkast-Rapper André Benjamin und Lars Eidinger), die sich auf die gefährliche Mission eingelassen haben, um auf der Erde der Todesstrafe zu entgehen. Die Zukunft der Menschheit liegt an den äußeren Rändern der Galaxie, die das schuhkartonförmige Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit durchmisst.

Claire Denis filmt gerne schöne Körper

Doch kein Sci-Fi-Fan sollte von Claire Denis wissenschaftliche Erklärungen für ihr High-Concept-Drama erwarten, sie interessiert sich in all ihren Filmen vor allem für die Widerstandsfähigkeit menschlicher Körper unter Extrembedingungen. In „Beau Travail“ taxiert sie den männlichen Soldatenkörper, im Vampirfilm „Trouble Every Day“ reduziert sie den Menschen auf einen Wirtskörper sexueller Begehren und in der Beziehungskomödie „Meine schöne innere Sonne“ dient ihre Hauptdarstellerin Binoche als Projektionsfläche romantischer Sehnsüchte.

Ob die Raumfahrer die letzten Überlebenden ihrer Spezies sind, lässt „High Life“ offen. Irgendjemand antwortet aus den Tiefen des Äthers zwar noch auf ihre Botschaften an die Erde. Ob dort nicht aber längst Maschinen übernommen haben, ist eine Frage, mit der sich Denis nicht tiefergehend beschäftigt. Das Überleben der Menschheit ist für die Wissenschaftlerin Dibs eine medizinische Angelegenheit: Es geht um Körperflüssigkeiten, Intimhygiene, Reagenzglasreproduktion und reine Lustbefriedigung.

Für letzteres hat sich Denis eine Sexapparatur ausgedacht, die eher aus der Blütezeit des Pornofilms stammen könnte. (Die Coens haben eine ähnliche Konstruktion zwischen Dildo und elektrischem Bullen übrigens schon mit „Burn After Reading“ in der Kinogeschichte verewigt.) Die „Fickbox“, wie der Kosmonaut wider Willen Monte (Robert Pattinson) das lichtlose Séparée abfällig nennt, gehört neben der Gartenpflege zu den einzigen Freizeitvergnügen auf der Raumstation. Douglas Trumbulls Öko-Science-Fiction „Lautlos im Weltraum“ von 1972 steht für „High Life“ ebenso Pate wie Tarkowskis Weltraum-Enigma „Solaris“ mit seinen zeitlos modernen Siebziger-Interieurs.

Robert Pattinson verkörpert inzwischen ein Gesamtkunstwerk

Monte, der einzige Abstinenzler an Bord, ist am Anfang von „High Life“ zusammen mit seinem schreienden Kleinkind der einzige Überlebende der Weltraumkreuzfahrt, aus der sich in faszinierend ineinander verzahnten Zeitebenen allmählich eine (zumindest vage) kohärente Geschichte herauskristallisiert. Nicht, dass Denis an einer äußeren Handlung gesteigertes Interesse zeigt. Vielmehr trägt der hypnotische Bilderfluss – Kameraregie führt Yorick Le Saux („Only Lovers Left Alive“, „Personal Shopper“), für den Schnitt ist Guy Lecorne verantwortlich) – einen Großteil der Erzählung: Er absorbiert die schönen Körper von Binoche, Pattinson, Goth und Benjamin, so wie das Schwarze Loch im Zentrum des Films alle physikalischen Energien schluckt. Man stelle sich das etwa so vor, als hätte Denis ein Remake von „Interstellar“ gedreht.

Ihr erster englischsprachiger Film ist ganz auf Robert Pattinson und sein makellos hübsches Gesicht zugeschnitten; eine seiner letzten schauspielerischen Glanztaten nach einer achtjährigen Phase mit handverlesenen Rollen unter der Regie von Werner Herzog, David Cronenberg, den Safdie-Brüdern und James Gray, bevor der einstige „Twilight“-Star als Batman ins Blockbusterkino zurückkehrt. Sein schauspielerisches Talent veranlasst längst keine Kritiker mehr zur Häme, Pattinson ist inzwischen ein kleines Gesamtkunstwerk. Denis hat das erkannt und schwelgt in der skulpturalen Qualität seines Alabasterkörpers und seines wächsernen Spiels. Man darf sich schon jetzt auf ihren zweiten gemeinsamen Film „The Stars at Noon“ freuen.

Die Idee, dass eine Wissenschaftlerin als „Beischlafdiebin“ dieses exzellente Erbgut „abzapft“, um das Überleben der Menschheit zu sichern, ist vermutlich nicht, was sich Isaac Asimov, Stanislaw Lem oder gar Octavia Butler zu Lebzeiten unter großer Science Fiction vorgestellt haben. Claire Denis war schon immer etwas eigensinnig.

Ab Donnerstag in 8 Berliner Kinos (alle OmU); Deutsche Fassung: Delphi Lux, Kulturbrauerei, Cinemaxx Potsdamer Platz

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