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Justin Doyle
© Tim Bartholomäus/Rias Kammerchor

Rias Kammerchor: Fest der Polyphonie

Als Katholiken verfolgt wurden: Der Rias Kammerchor singt sakrale Werke aus dem England des 16. Jahrhunderts.

Wer in einer weitgehend postreligiösen Gesellschaft wie der deutschen lebt, kann kaum noch nachvollziehen, dass Christ sein mal eine gefährliche Angelegenheit war. Man muss schon in den Nahen Osten reisen, zu den Kopten nach Ägypten etwa, um auch nur ansatzweise zu erfahren, wie Verfolgung und Bedrängnis die Glaubensstärke befeuern können. In der Reformation passierte Ähnliches – mit den Protestanten, die aus Frankreich nach Berlin und Brandenburg flohen, und umgekehrt mit Katholiken, die in England unterdrückt wurden und ins Exil gingen.

Der Rias Kammerchor hat jetzt Vokalkompositionen katholischer englischer Komponisten, die alle um die Mitte des 16. Jahrhunderts herum geboren wurden, in einem berührenden Konzert im Kammermusiksaal präsentiert. Es sind inbrünstige Werke, etwa von Peter Philips, der ins katholische Flandern emigrierte und dort im Umfeld von Peter Paul Rubens arbeitete. Meist sind sie auf lateinische Texte komponiert und zeigen, dass Kirchenmusik keine Domäne protestantischer Komponisten war. „Ave verum corpus“ („Sei gegrüßt, wahrer Leib“) wurde gleich drei Mal vertont, von Peter Philips, Richard Dering und William Byrd, und jeder akzentuiert das Wort „verum“ musikalisch anders. Denn gerade hier, im „wahren Leib“, verbirgt sich das Mysterium der Transsubstantiation, der Verwandlung der Hostie zum Leib Christi – eine Lehre, die die Protestanten nicht gelten ließen.

Ein kosmisches Werden und Vergehen

Im Kammermusiksaal ereignet sich ein Fest der Polyphonie. Der Chor singt mit berückender Präzision und Homogenität, setzt die Dynamikvorstellungen seines sehr tänzerisch dirigierenden Chefs Justin Doyle frappierend genau um, nur in mikroskopisch kurzen Momenten gibt es Abstimmungsprobleme. Petteri Pitko setzt mit Interludien von Philips an der Orgel einen klanglichen Gegenakzent. Dann wieder die Stimmen: Sie tauchen auf, strahlen für einen fragilen Augenblick, mit den Sopranen naturgemäß ganz oben auf der Schaumkrone, versinken wieder, ein kosmisches Werden und Vergehen. Während der Hörer so auf andere Plateaus abdriftet, stört eigentlich nur die ernüchternde Beleuchtung im Saal, die Putzlicht-Qualitäten hat. Auch wenn bemüht modische Lichtspielereien in klassischen Konzerten sonst eher nerven: Hier würde gedimmte Stimmung, die einen Kirchenraum zumindest simuliert, der Musik guttun.

Es sind meist sehr langgezogene Töne, die Gottes Pracht oder Zion preisen sollen. Nur manchmal, etwa wenn in Derings „Factum est silentium“ der Drache mit dem Erzengel Michael kämpft, beschleunigt sich die musikalische Textur. Um in Philips’ „Ave Jesu Christe“ ins finale Gloria („Herrlichkeit“) zu münden. Kein Begriff könnte dem Abend angemessener sein.

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