Regisseurin Sally Potter: „Feminismus? Ich habe keine Wahl“
Zum Start ihrer Gesellschaftskomödie "The Party" spricht die britische Regisseurin Sally Potter über Fremdenhass, Lachen am Set und Frauenquoten.
Mrs. Potter, Sie haben verschiedenste Arten des Storytelling ausprobiert. Mit „The Party“ inszenieren Sie erstmals fast einen Genrefilm, das „Gruppe versammelt sich am Esstisch und die Situation eskaliert“-Genre. Warum?
Ich schreibe meine Filme immer erst als Kurzgeschichte, und dann überlege ich, wie ich sie inszeniere. Dabei lerne ich die Charaktere und das Konzept kennen. Als ich „The Party“ schrieb, war die politische Atmosphäre bei uns in Großbritannien sehr merkwürdig, man hatte das Gefühl, links, rechts, alles rückt in die Mitte. Wir debattierten auch im persönlichen Umfeld viel über Medizin und das Gesundheitssystem – all diese Erfahrungen gaben dann die Form vor. Ich wollte etwas Lustiges machen, so minimalistisch und komprimiert wie möglich. Quasi etwas Tiefgründiges auf einfache, schnelle Art. Technisch war es eine Herausforderung, sieben Geschichten in so kurzer Zeit auf den Punkt zu bringen.
Was hat Sie sonst noch inspiriert?
Ich wollte Beziehungen zwischen Frauen beschreiben, die sich davon Sisterhood, Nähe erwarten. Beziehungen zwischen Frauen können natürlich genauso brisant sein wie alle anderen. Prinzipiell wollte ich über Beziehungen nachdenken.
Als Sie das Drehbuch schrieben, war der Brexit noch weit entfernt.
Damals hat keiner von uns geglaubt, dass das passiert, das Referendum schien nur eine Formalität zu sein, also waren wir extrem geschockt, jedenfalls die, die gewählt hatten. Aber das Klima war schon da, die Spannung, die Spaltungen. „The Party“ nimmt diese Atmosphäre fast unbewusst auf: Es geht um Menschen, die miteinander im Krieg sind, wenn auch im häuslichen Bereich. Fast wie ein Vorspiel zum Brexit. Am Tag des Referendums sagten Leute zu mir: Dein Film ist wie ein Orakel zu dem Bruch, der jetzt durchs Land geht. Das Schlimmste beim Brexit ist der Hass, den man jetzt im Land spürt. Als ob der Ausstieg dem Hass und der Fremdenfeindlichkeit eine Genehmigung erteilt hätte. Auf der anderen Seite ist der Widerstand ebenfalls gewachsen.
Haben Sie die Charaktere nach den Schauspielern gemodelt?
Nein, ich habe nicht mit Schauspielern im Kopf geschrieben. Der Schreibprozess ist auch für mich ein Mysterium. Ich beginne zu schreiben, und plötzlich sind die Figuren da und wollen etwas. Wenn dann jemand wie Cillian Murphy dazukommt und das Script liest, fällt ihm auch etwas dazu ein. Er schlug zum Beispiel vor, seinem Charakter Kokain mitzugeben, um den Druck und die Energie zu erhöhen.
Lachen Sie oder die Schauspieler, wenn sie Szenen spielen, die lustig sind?
Viele komische Szenen dürfen nicht komisch abgeliefert werden, sondern müssen für den Schauspieler wahr sein – beispielsweise Timothy Spall als kranker Mann. Er war vor ein paar Jahren selbst an Leukämie erkrankt, wir redeten also darüber, wie er einen Kranken spielt mit seinen eigenen Erfahrungen. Bei den Kampfszenen haben wir uns allerdings oft kaputtgelacht. Ich mache viele Testscreenings, um das perfekte Timing hinzubekommen, das Platz für Lacher zulässt.
Sie haben Ihren ersten Film „The Gold Digger“ 1983 mit einer rein weiblichen Crew realisiert, den Charakter „Orlando“ 1992 das Geschlecht ändern lassen, 2009 in „Rage“ den Frauenschwarm Jude Law in Frauenkleidung gesteckt. Gehen Sie jedes Thema feministisch an?
Ich habe gar keine Wahl. Meine wichtigste Regel lautet, ehrlich gegenüber den eigenen Erfahrungen zu sein. Feminismus ist einfach ein Teil der Realität. Ich wuchs in einer Zeit auf, in der sich die Frauenbewegung in England formierte. Das prägte mich und half mir, die Gefühle zu verstehen, die ich gegenüber mir selbst und der Außenwelt hatte. Das Thema nicht zu beachten, wäre nicht ehrlich gewesen. Aber ich wollte nie didaktisch sein.
Wann ist Ihnen klar geworden, dass Feminismus in der Kunst ein Thema ist?
Da gab es einen speziellen Moment, ich hörte Bob Dylans Song „Lay Lady Lay“ und identifizierte mich mit dem Text. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich ausgeschlossen bin! „Leg dich hin, Lady, auf mein großes Messingbett“ – ich dachte, verdammt, ich soll diejenige sein, die sich hinlegt? Ich will lieber auch singen! Wir sind an die Situation gewöhnt, dass Zeit, Ort und Gefühle von Männern dominiert werden. Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung darstellen, fällt es vielen Menschen nicht einmal auf, dass sie zum Beispiel hinter der Kamera unterrepräsentiert sind.
Manche Regisseurinnen wie Jane Campion legen Wert darauf, zumindest teilweise mit weiblichen Crews zu arbeiten. Andere wie Kathryn Bigelow nicht.
Es ist nicht Bigelows Thema, sie interessiert sich für Krieg, für große Geschichten, die daraus resultieren – und das ist ihr gutes Recht. Der Druck auf Frauen, nur Filme über Frauen und „Frauenthemen“ zu inszenieren, ist ja ebenfalls sexistisch. Regisseure dürfen machen, was sie wollen, Filme über Männer, über Frauen, über Krieg. Auch für Regisseurinnen darf es keine Grenzen geben.
„Wonder Woman“ ist der erste Superhero-Blockbuster, der von einer Frau inszeniert wurde – ein gutes Zeichen?
Nun, das sind unterschiedliche Systeme. Ich selbst habe meine Filme immer selbst geschrieben, bin Autorenfilmerin. Bei großen Studioproduktionen werden die Regisseure angeheuert, sie bringen keine eigenen Stoffe mit ein. Im US-System ist es darum schwierig für Regisseurinnen, einen dieser Jobs zu bekommen. Doch jetzt haben die Studios gemerkt, dass sie mit so einer Konstellation richtig viel Geld machen können. Und natürlich hat sich auch das Bewusstsein für Gender- und Hautfarben-Aspekte geändert. Aber ich glaube nicht, dass diese Änderungen allein durch Herzensgüte ausgelöst wurden.
Also keine wirkliche Verbesserung?
Na ja, vielleicht bin ich ein bisschen zu zynisch. In der Filmindustrie gibt es immer mehr Beispiele für erfolgreiche, von der Kritik gelobte Regisseurinnen. Als ich anfing, gab es überhaupt keine. Wenn heute eine Frau diesen Beruf ergreift, kann sie sich an Vorbildern orientieren.
Was halten Sie von einer Quote für Regisseurinnen?
Das ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich ist es eine notwendige Stufe, um Vorurteile zu tilgen und Menschen die Chance zu geben zu zeigen, was sie können. Ich wage mal einen Vergleich: Als das ZDF damals Geld in Filmproduktionen steckte, gab es plötzlich eine unglaubliche Menge an wunderbaren deutschen Regisseuren, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten, Wim Wenders, Fassbinder, Elfi Mikesch. Aber natürlich war diese Generation nicht auf einmal mit Talent gesegnet. Sondern sie hatte plötzlich die Möglichkeit zu lernen, zu zeigen, zu verbessern, was sie kann. Dennoch sehe ich das Thema ambivalent. Es begünstigt eine Atmosphäre, in der Menschen hinter vorgehaltener Hand darüber lästern, dass jemand den Job nur aufgrund von „affirmative action“ bekommen hat. Das hat dann einen negativen Effekt.
– Das Gespräch führte Jenni Zylka.
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