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Im ostserbischen Ort Majdanpek stehen Menschen für eine Covid-19-Impfung an.
© Wang Wei/Xinhua/Imago

Ein Drittel der Bürger ist geimpft: Fast schon ein Impfparadies in Europa – was steckt hinter Serbiens Erfolg?

Serbiens Impfkampagne vollzieht sich in beachtlichem Tempo. Auch Nachbarstaaten profitieren mittlerweile. Wie ist das möglich? Ein Belgrader Bürger berichtet.

Dragoslav Dedović ist als Journalist, Schriftsteller und Übersetzer zwischen Köln und Belgrad tätig.

Serbien kann sich überraschend mit zwei Spitzenwerten in Europa brüsten: Das Land gehört zu den Staaten, die in der Pandemie wirtschaftlich am wenigsten schrumpften und die am schnellsten seine Bevölkerung impfen. Angesichts des eher schleppenden Impftempos in Deutschland und anderen sonst vorbildlichen Ländern erscheinen serbische Verhältnisse auf einmal als geradezu märchenhaft.

So kamen am letzten Märzwochenende sogar Tausende Bürger aus den Nachbarländern nach Belgrad, um sich kostenlos impfen zu lassen. Die Kapazitäten Serbiens zur Lagerung der Impfstoffe sind eher bescheiden. Die Impfwilligkeit der Bevölkerung – besonders mit Astrzeneca – war gering.

Deshalb ermöglichte die Regierung für einige Tage eine kostenlose Impfung für Ausländer. Die Alternative wäre gewesen, das Haltbarkeitsdatum der Kontingente zu überschreiten und die Dosen zu vernichten. Offizielle Schätzungen besagen, dass an den drei Märztagen etwa 22.000 Menschen aus dem Ausland geimpft wurden.

Die europaweite öffentliche Wirkung der ungeplanten guten Tat war immens. Serbien wurde zum Impfparadies verklärt und eine zeitlich begrenzte Aktion avancierte in manchen journalistischen Köpfen schnell zum „Impftourismus“. Faktisch aber gibt es den nicht.

Die Regierung in Belgrad machte lediglich aus der Not eine Tugend und verschenkte Zehntausende von Impfdosen an Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Montenegro. Damit punktete sie zu Hause und im Ausland. Zusätzlich stellte sie den Geschäftsleuten aus der Region 10.000 Impfdosen zur Verfügung. Im Rahmen der Zusammenarbeit der Handelskammer auf dem westlichen Balkan nahmen diese zu Tausenden die Einladung an.

Chinesischer Impfstoff macht zwei Drittel der Dosen aus

Sie kamen hauptsächlich aus Albanien, Bosnien und Herzegowina und Nordmazedonien und ließen sich in der serbischen Hauptstadt sowie in des südserbischen Großstadt Niš impfen. So polierte Serbien sein in den kriegerischen Neunzigern ramponiertes Image in der Nachbarschaft etwas auf. Es wurde sogar angekündigt, dass einige österreichische Geschäftsleute zur Impfung nach Serbien reisen würden.

Ich musste bei all diesen Meldungen schmunzelnd an den bayerischen Schriftsteller Uwe Dick denken, einen Fan des Trompetenfestivals im serbischen Guča. Von ihm stammt der Spruch: Serben bringen Glück!

Laut der serbischen Regierung ist mittlerweile mehr als ein Drittel der volljährigen Bürgerinnen und Bürger geimpft. Sie dürfen zwischen Sinopharm, Biontech-Pfizer, Sputnik V und Astrazeneca wählen. Das größte Kontingent kommt aus China. Dank Millionen von Impfstoffdosen, die Peking an Belgrad lieferte, konnte Serbien Mitte Januar mit der Massenimpfung richtig durchstarten. Westliche und russische Impfstoffe machen zusammen weniger als ein Drittel aller Impfdosen aus, die bis April in Serbien verbraucht wurden.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bei seiner Impfung mit Sinopharm.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić bei seiner Impfung mit Sinopharm.
© imago images/Xinhua

Doch wie sieht das Ganze im serbischen Alltag aus? Mein Weg zum Impfstoff war nicht so geradlinig, wie die allgemeine Begeisterung vermuten lässt. Bereits vor Monaten erklärte die serbische Regierung alle Journalisten im Lande zu prioritären Impfgruppe. Mein Name befand sich auf der Liste der in Serbien tätigen Mitarbeiter einer deutschen Redaktion. Die Liste wurde Mitte Januar an die zuständige Regierungsstelle geschickt. Wochenlang geschah nichts.

Anfang Februar entschied ich mich, in die Offensive zu gehen. Wenn man sich als in Serbien lebender Ausländer mit einem Aufenthaltserlaubnis impfen lassen will, kann man sich – genau wie serbische Staatsbürger – auf dem von der Regierung entwickelten Internetportal „eUprava“ registrieren lassen. Das geht ohne formelle Voraussetzungen, es gibt sogar 53 000 solche „ruhenden“ Einträge ausländischer Bürger, darunter auch aus Italien, Österreich und den Niederlanden.

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Offiziell müssen sie jedoch auf eine Ausnahmesituation wie im März warten. Nach dem großzügigen Wochenende erklärte die serbische Regierung, dass die einmalige Aktion vorüber sei. Im Internet erschienen trotzdem Anzeigen auf Türkisch und Italienisch, die gegen Geld Impftouren nach Serbien anboten. Die serbische Botschaft in Ankara sah sich gezwungen, offiziell zu erklären, dass nur die in Serbien lebende Ausländer impfberechtigt sind – kostenfrei. Die Anzeigen entpuppten sich als fake.

Die Belgrader Messe wurde zum größten Impfzentrum des Landes umfunktioniert

Ich absolvierte alle virtuellen Schritte der Registrierung in 15 Minuten. Danach bekam ich per SMS und per E-Mail die Bestätigung. Es galt auf einen Termin zu warten. Weitere drei Wochen geschah nichts. Zweimal war ich auf eigene Faust an der Belgrader Messe, die zum größten Impfzentrum des Landes umfunktioniert worden ist. Umsonst. Ohne Einladung durfte man nicht rein. Mein Korrespondentenausweis sowie meine Registrierung erwiesen sich als nutzlos.

Die Anzahl der neu Infizierten stieg zu diesem Zeitpunkt genauso schnell wie die Anzahl der Geimpften. Die vierte Corona-Welle überrollte Serbien, das seine Skigebiete bereits beim Wintereinbruch großzügig geöffnet hatte.

Mein Plan B ging auf: Verwandte meldeten mir Ende Februar, dass in einer südserbischen Stadt relativ große Mengen von Sputnik V angekommen seien. Ich fuhr drei Stunden dorthin. Die Formalitäten waren weniger restriktiv als in der Millionenmetropole Belgrad. Die Organisation war vorbildlich: Nach einer halben Stunde Wartezeit in einer Handballhalle namens „Partizan“ bekam ich einen Piks im Oberarm.

Effizienz durch Ignoranz demokratischer Prozesse

Drei Wochen vergingen. Mitte März bekam ich am gleichen Ort noch einen Einstich – ebenso ohne Nebenwirkungen wie beim ersten Mal. Danach bekam ich eine Impfbestätigung ausgehändigt. Drei Wochen später attestierte mir ein Test jede Menge Antikörper im Blut, die fähig waren, gegen Covid-19 zu kämpfen. Und ich begann, an den Griechenland-Urlaub zu glauben. In solchen Momenten war ich froh, das Seuchenjahr in Serbien verbracht zu haben.

Welche Faktoren sind nun für den serbischen Erfolg ausschlaggebend? Zunächst ist Serbien mit knapp sieben Millionen Einwohner ein kleines Land. Vorteile kleinerer Systeme im Vergleich zu größeren liegen auf der Hand. Wenn sie dann auch noch zentralisiert aus einem Machtzentrum geführt werden – mit einer extrem geringen Transparenz –, steigert das kurzfristig ihre Effizienz. In Belgrad sind nicht nur die Preise der Beatmungsgeräte und Impfstoffe ein Staatsgeheimnis.

Demokratische Prozeduren und Standards aller Art verlangsamen zudem die Entscheidungsfindung. Ignoranz gegenüber gesetzlichen und internationalen Spielregeln beschleunigen sie hingegen. So weigerte sich Serbien von Anfang an, die EU-Sanktionen gegen Moskau mitzutragen, die wegen der russischen Annektion der Krim 2014 eingeführt wurden. Der EU-Beitrittskandidat ist zudem bei der Wahl der Impfstoffe nicht an die Entscheidungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) gebunden.

Das geopolitische Pandemie-Gerangel arbeitete für den als autoritär geltenden Präsidenten Aleksander Vučić Belgrad war in der Lage, im Pokerspiel um die Impfungen zwei zusätzliche Trümpfe auszuspielen, die in Brüssel niemandem zur Verfügung standen: Peking und Moskau. Mir brachte letztlich Moskau das Impf-Glück.

Dragoslav Dedović

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