Serbien: Mit Pauken und Trompeten
Jedes Jahr Anfang August wird es im serbischen Guca laut und lustig. Dutzende Bands und hunderttausende Fans kommen zum Festival der Blasmusik.
Eine ländliche Idylle, eine wunderbare Mischung aus Schwarzwald, Oberbayern und Toskana mit sanften Hügeln und Wiesen, die der liebe Gott mit dunkelgrüner Farbe übergossen hat. Darauf hat er Kühe gestellt und lässt am Wegesrand Honig verkaufen. Die Mitte Serbiens überrascht.
Ausgerechnet hier im Dorf Guca findet seit 1961 jeden Sommer so etwas statt wie das Oktoberfest des Balkans, ein mehrtägiges Musikspektakel mit Bier, Bratwurst und – vor allem – Blasmusik. Dutzende von Bands kommen sowie geschätzte 300 000 Besucher, um ihnen zuzuhören. Anfang August ist es wieder so weit. Dann richten sich wie in jedem Jahr viele Augen und Ohren Serbiens auf das Dorf.
Guca – diese vier Buchstaben sagen außerhalb des Balkans kaum jemandem etwas. Ganz anders im ehemaligen Jugoslawien. Dort klingt der Namen Guca nach Verheißung, nach guter Laune und nationalem Stolz. Vor allem aber tönen Trompetenstöße. Schon freitags, wenn das Festival beginnt, stimmen sich die Fernsehstationen ein. Kein Nachrichtensender kommt ohne einen Live-Bericht aus dem kleinen Dorf mit dem großen Rummel aus.
Am Eingang zum Ort versperrt ein Kontrollpunkt die Durchfahrt. Aber Kontrollpunkt, das klingt zu martialisch. Am Dorfrand warten keine mürrischen Wächter, sondern ein Dutzend fröhlicher junger Menschen. „Herzlich willkommen“, heißt es. Dass ihnen das Einweisen der Autos Spaß macht, sieht man. Wir bekommen eine Eintrittskarte für das Festival, auch die obligatorische Parkplakette für das Auto wird hier verkauft.
Am Dorfplatz ist kein Durchkommen mehr. Hier geben die Musikgruppen das Tempo vor, das Tempo der Musik und das Tempo für das bisschen Straßenverkehr, der überhaupt noch fließt. Vor uns tänzelt ein junger Mann, das Hemd weit aufgeknöpft. Die Augen hat er halb geschlossen, hinter ihm geht eine Band und trötet ihm ins Ohr. Er hat die Musiker bezahlt, dafür darf er mit seinem Privatorchester durch die Straßen ziehen.
Auf dem Marktplatz treffen wir Mila. Ende 30, hager, Adlernase und Vollbart, so steht er vor dem einzigen Hotel des Orts. Das ist natürlich schon seit langem ausgebucht. Ein Zimmer finden wir hier nicht. Doch Guca ist eben Guca. Hier gibt es für jeden irgendwo ein Kopfkissen. Die meisten schlafen in Zelten auf den Wiesen am Dorfrand, viele nhemen sich ein Privatquartier. Auch Mila vermietet Zimmer.
Sein Haus liegt oberhalb des Dorfs, von dort geht der Blick über die Hügellandschaft, die angeschnittenen Waldränder, die Hecken, die sich um Felder und Wiesen schlängeln. Unten erstreckt sich Guca, zwei große Straßen, eine Kirche, der Sportplatz, der jetzt als Konzertarena dient, und dahinter ein Rummelplatz mit Buden und einer kleinen Achterbahn.
Zu Milas Haus dringt der Guca-Sound: das Scheppern und Tröten der Bands, gemischt mit dem Gackern der Hühner. Bei Mila hat sich schon eine Gruppe Slowenen eingefunden. Mit zwei Kleinbussen sind sie gestern aus dem Norden angereist.
Überall im Haus hat Mila Betten aufgestellt und so die Räume in Schlafsäle verwandelt. „Hier ist alles all inclusive“, sagt Janez und streicht mit seinen Händen über den runden Bauch. Schon im vergangenen Jahr war der Slowene hier. Er kennt sich aus. Die Pension Mila hat er für kommendes Jahr wieder gebucht. Der Hausherr sorgt für alles, 30 Euro zahlen wir am Tag. „Alles inklusive“, das sind die hausgemachten Schnäpse und der Kaffee am Morgen. Außerdem sind köstliche Blätterteigtaschen im Preis eingeschlossen, Börek, die die Türken als kulinarische Hinterlassenschaft ihrer Besatzung dem Balkan vererbt haben. Und dazu als Basis für den Magen Svadbarski Kupus, ein Kohleintopf, der in einem Tongefäß auf einem Herd in der Garage vor sich hin schmort. Davor hat Mila im Freien ein Spanferkel aufgespießt. Ein Stock durchbohrt das Tier, am Ende der Stange hat Mila ein altes Lenkrad befestigt. Dahinter sitzt die vierjährige Maria und dreht und dreht und dreht das Ferkel über dem offenen Feuer. Am Ende des Tags ist das Fleisch immer noch recht zäh, das viele Drehen hat wenig genutzt. Das Schwein schmeckt dennoch, wenn man nur mit genug Schnaps, Wein und Bier nachspült.
All inclusive, das bezieht sich auf Schlafstatt und Essen, mehr aber noch auf die Gesellschaft der anderen Gäste. In Guca werden alle Menschen Brüder. Einsam ist niemand unter den Tausenden, die zum Festival strömen, und wir in der Gemeinschaft der Slowenen schon gar nicht. Gregor führt die Gruppe mit starker Stimme an. Der Mann um die 40 ist er mit seinem jüngeren Bruder und anderen Kumpels hierhergekommen. Ihre Frauen haben sie zu Hause gelassen...
Am Nachmittag geht es hinunter in den Ort, durch Obstwiesen und an Schafen vorbei. Unten machen wir Station bei einer der vielen Kneipen, die sich in Guca aneinanderreihen. Das Bier in Plastikbechern wird umgehend serviert, dazu Schweinefleisch, das fetttriefend über den Tellerrand hängt. Doch Essen und Trinken sind nur Beiwerk für die Musik, auch wenn der eine oder andere das Klirren der Flaschen lieber hört als die Töne der Trompeter. Die Bands stehen nicht steif am Wegesrand, sie ziehen durch die Straßen, von Tisch zu Tisch, von Station zu Station. Trompeter bilden die Basis der Truppen, dazu Posaunen und immer ist einer mit Pauke da. Bis zu zehn Musiker spielen jeweils auf. Besonders gut klingt es, wenn sich die Tonwellen von zwei Gruppen überschneiden.
Gregor winkt eine Band heran. Die Musiker kommen an unseren Tisch, halten die Trompeten dicht an unsere Ohren. Aus der Musik wird eine Klangwolke, laut und schön umfasst sie uns, so dass die Töne wohlig durch den Körper ziehen. Das Vergnügen hat seinen Preis. Das Trommelfell schmerzt. Zudem gilt: Nur wenn wir fleißig Dinar-Scheine in die Trompeten stecken, spielt die Band weiter. Und dann nach ein paar Minuten wieder Geld. Und wieder Dinar-Scheine. Bis sich die Musiker nach ungefähr zehn Minuten umgerechnet rund 15 Euro verdient haben und sich eine neue Gruppe an einer anderen Station suchen.
Das Publikum ist sehr gemischt. Aus vielen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens kommen die Besucher. Mag der Krieg die Menschen auch getrennt haben, in Guca werden die einstigen Bürger Titos wieder zu Brüdern. Zugleich, und das gehört zu den Widersprüchen dieses Orts, ist das Festival ein Hort des serbischen Nationalismus. So kann man dem Bild Radovan Karadzics in Guca kaum ausweichen. In Den Haag wurde der ehemalige Anführer der bosnischen Serben wegen Völkermords angeklagt, hier ziert sein Konterfei T-Shirts und Tassen, die am Weg verkauft werden. Das Gesicht steht für ein rückwärtsgewandtes Serbien. Auf anderen T-Shirts ist Titos Bild aufgedruckt, darunter steht sinngemäß: „Ich beobachte Euch. Ihr Scheißkerle.“ Gregor und seine Freunde juckt das nicht. Sie wollen in Guca die Politik vergessen und im Alkohol ertränken.
Wir ziehen weiter, von Station zu Station. Schließlich landen wir kurz vor Mitternacht auf dem Sportplatz. Boban Markovic, der Star unter Serbiens Trompetern, soll hier auftreten, doch zuvor steht noch eine Band aus Deutschland auf dem Programm. Aus Franken kommt sie und hat das mit dem Blasmusikfestival gründlich falsch verstanden. Nicht behäbige Töne sind hier verlangt, kein gemütliches Tumtamtam wie bei einem bayerischen Volksfest. Nein, südöstlich der Alpen haben die Türken auch musikalisch ihren Einfluss geltend gemacht. Vor allem jedoch prägen Zigeuner die Musik. Wem der Takt wichtiger ist als das Feuer der Musik kann das Publikum hier nicht begeistern. Doch die Band aus Deutschland hat noch ihre Vorstellung von Blasmusik im Kopf und bringt keine Bewegung in die Füße der Zuhörer. Die nippen verlegen an ihrem Bier.
Bis die Markovics kommen. Dann geht ein Brausen durchs Publikum, viel schwungvoller ist die Musik der einheimischen Band. Es ist der Balkan-Brass, emotionaler und mit einer tiefen Seele vorgetragen. Das Stadion tobt, es kocht und brodelt. Zwei Uhr nachts ist es schon, als wir wieder hoch zu Mila gehen. Der Klang der Bands steigt noch immer die Hügel hoch, und das sind auch die Töne, die uns morgens wecken werden.
Drei Tage dauert das Festival, ein durchschnittlicher Mitteleuropäer hält das nicht so lange aus. Höhepunkt ist am letzten Tag die Verleihung der „Goldenen Trompete“ in einem Wettbewerb, der live im serbischen Fernsehen übertragen wird. Da fahren wir schon mit dem Auto wieder durch die Hügellandschaft. Unsere Ohren haben sich eine Pause verdient und unsere Leber ein paar Tage ohne Alkohol.
Nach einer Stunde erreichen wir das Ovcar-Gebirge. Dort oben in den Bergen verstecken sich Klöster im Wald. Über schmale Straßen, durch Haine mit Pflaumenbäumen erreichen wir das Kloster Sretenje, was so viel heißt wie „zur Begegnung des Herrn“. Hier, in dieses unwegsame Gelände, hatten sich Nonnen und Mönche vor den Türken zurückgezogen. Die islamischen Herrscher sollten am besten gar nicht mitbekommen, dass neue Christen-Klöster gebaut wurden.
Wie ein schmuckes kleines Dorf liegt das Kloster vor uns. Ein Zwiebelturm krönt die Kirche, drumherum finden sich die Gräber der Nonnen aus mehreren Jahrhunderten. Im Garten blühen Blumen, drinnen im Gotteshaus zeigen Fresken die Farbenpracht des Glaubens. Im Hof herrscht Stille. Keine Trompeten, keine grölenden Slowenen. Die Ohren rauschen dennoch, es ist eine Art Verlustton. Das Gehör hat sich noch nicht auf die Ruhe umgestellt. Auf einer Veranda des Konventgebäudes wird der Tisch für uns gedeckt. Kaffee, Obst und Ratluk, eine Süßigkeit aus Fruchtgelee, reicht uns die junge Nonne. Sie fragt, wo wir herkommen. Aus Guca!? Ihre Augen leuchten. Da wollte sie auch immer mal hin.
Hartmut Kühne