„Das Ende des Donjon“: Fantasie statt Weltflucht
Mit „Das Ende des Donjon“ erhält die aberwitzigste Fantasy-Comic-Serie der Welt einen würdigen Abschluss. Ihr Schöpfer Lewis Trondheim ist in dieser Woche gleich mehrmals live in Deutschland zu sehen.
Comic-Enten neigen zum Anti-Heldentum: Der jähzornige Daffy Duck, die vegetarische Vampir-Ente Graf Duckula, der raffgierige Onkel Dagobert, der melancholische Privatdetektiv Canardo und der cholerische Faulpelz Donald Duck. Kein Wunder, dass auch der Enterich Herbert von Vaucanson, Hauptfigur in Lewis Trondheims und Joann Sfars überdrehtem Fantasy-Comic-Epos „Donjon“, ein Anti-Held par excellence ist: Ein verbannter Adliger, der sich vom arbeitsscheuen Tunichtgut zu einem skrupellosen Abenteurer wandelt, von einer bösen Macht namens „Die Schwärze“ ergriffen wird, als tyrannischer „Großer Khan“ den Planeten Terra Amata erst zum Stillstand und schließlich zum Zerbrechen bringt, ihn aber am Ende geläutert und als Greis von enormer Macht wieder zusammenfügt.
Ziemlich viel Stoff für eine Comic-Serie, weshalb ihre Schöpfer sie prophylaktisch auf über 200 Bände angelegt haben – von -99 bis 111. Veröffentlicht davon wurden bislang 36, mit Band 111 „Das Ende des Donjon“ erschien nun jedoch bereits der vorläufige Abschluss der Serie.
Ebenso größenwahnsinnig wie charmant
Freunde linearer Literatur packt das Grausen, Verfechter postmoderner Erzählstrategien schnalzen mit der Zunge, denn die in mehrere Haupt- und Nebenserien aufgeteilte Story wurde bislang nur fragmentarisch (und nicht chronologisch) erzählt: So sind etwa die Bände -99 bis -97 sowie -84 und -83 erschienen, nicht aber die zwölf Bände, die laut Zählung dazwischen liegen, geschweige denn die Alben -82 bis -1 oder 7 bis 99 – dazwischen ist eine riesige unsichtbare Story angesiedelt, die sich aber aus den anderen Bänden rekonstruieren lässt. Eine ironische Verbeugung sowohl vor endlosen Fantasy-Roman-Zyklen als auch vor zig-bändigen Manga-Serien. Letztere haben die Autoren wohl auch dazu inspiriert, ihre Helden über den Verlauf der Serie altern und sogar sterben zu lassen.
Aufgrund des gewaltigen Erzählpensums waren bislang 21 verschiedene Zeichner an der Serie beteiligt – Donjon ist ein ebenso größenwahnsinniges wie charmantes Projekt, das in der Comic-Welt seinesgleichen sucht. Es ist nicht vermessen, Donjon als das hochkarätigste französische Comic-Werk der Gegenwart zu bezeichnen, immerhin zählen die Hauptzeichner Trondheim („Herr Hase“), Sfar („Die Katze des Rabbiners“), Christophe Blain („Isaak der Pirat“) und Manu Larcenet („Der alltägliche Kampf“) zu den wichtigsten aktuellen Vertretern der neunten Kunst. Ein schöner Nebeneffekt: Durch die zahlreichen Gastzeichner kommen vor allem nicht-französische Leser in Kontakt mit hervorragenden, aber weniger bekannten Zeichnern.
Versöhnliches Ende für die „Schwarze Festung“
Mit „Das Ende des Donjon“ (atmosphärisch gestaltet von Mazan) erhält das Mammut-Projekt nun einen würdigen Abschluss: Nachdem die um den Lavakern von Terra Amata schwebenden Inseln von der Schwärze gekidnappt und ihres Sauerstoffs beraubt wurden, machen sich Herbert und der gealterte Marvin auf, die dunkle Macht endgültig zu verbannen – ausgerüstet mit Luft-Beuteln, die ständig von den unerschöpflichen Lungen eines Trolls nachgefüllt werden. Im Schlachtgetümmel wird schließlich auch der zur Schwarzen Festung pervertierte Donjon endgültig zerstört und die wenigen verbleibenden Mauerreste von der Natur überwuchert.
Ein schöner, actionreicher Band, der gewohnt mit aberwitzigen Ideen und Dialogen aufwartet, aber ein etwas zu einfaches Happy End angesichts der vielschichtigen Vorgeschichte des Donjons, welche in den drei Hauptserien erzählt wird.
Aufstieg und Fall des Donjon
In „Abenddämmerung“ entsteht aus dem Ritter-Stammsitz Hyazinth de Cavallères der Donjon (sprachlich verwandt mit dem englischen dungeon = Verlies), aufgebaut durch fleißige Kobolde und von einem befreundeten Wissenschaftler zu Forschungszwecken mit Ungeheuern bevölkert.
In „Zenit“ fängt Herbert als kleiner Laufbursche im Donjon an – eine mittlerweile mit Monstern, Schätzen und tödlichen Fallen vollgestopfte Festung, die natürlich etliche Abenteurer auf der Suche nach Ruhm und Reichtum anlockt. Doch die Möchtegern-Helden werden fast ausnahmslos abgemetzelt und ihrer eigenen Schätze beraubt, denn der Wärter des Donjon nutzt das Fantasy-Klischee schlicht als kommerzielles Geschäftsmodell. Die Monster sind nichts anderes als Angestellte, die auch mal streiken oder von der Konkurrenz abgeworben werden können.
„Abenddämmerung“ ist mit seiner endzeitlichem Stimmung vielleicht der düsterste Teil der Serie: Die Terra Amata hat aufgehört sich zu drehen, nur auf dem Streifen zwischen tödlicher Sonne und eiskalter Nacht ist noch Leben möglich. Herbert ist zum schwarzen Fürst geworden und befehligt vom Donjon aus die Gehenna, welche den Rest der Welt unterdrückt.
Die Ideen würden für 200 Alben reichen
Nicht nur die komplexe Story sondern auch das überbordende World Building und die skurrilen Charaktere machen den Reiz von Donjon aus, an das in dieser Hinsicht höchstens noch der Manga „One Piece“ herankommt: Ein roter Krieger-Hase, der sich per Nitro-Kanonen-Rüstung durch die Fragmente des zerbrochenen Planeten Terra Amata bewegt, ein arrogantes Schicksals-Schwert, das mit der einen Seite schneidet ohne zu töten und sich nur ziehen lässt, wenn man mit bloßen Händen drei große Taten vollbracht hat, ein intriganter Gockel und Winkeladvokat, der nur mit juristischen Betrügereien ganze Städte ins Unglück stürzt, ein Palast auf Rädern, der ständig über eine sich drehende, schwebende Insel gezogen werden muss, um nicht herunterzurutschen…
Nicht zu vergessenen ein unüberschaubares Bestiarium von schrecklichen und lustigen Monstren von liebeskranken Riesen, elefantischen Barbaren-Mönchen und kiffenden Drachen bis hin zu Ninja-Fröschen, automatischen Uhren-Monstern und fleischfressendem Gras. Donjon zeigt, was die Fantasy leisten kann, denn bei Trondheim und Sfar heißt Fantasy nicht Weltflucht, sondern tatsächlich „Fantasie“ im besten Sinne des Wortes – also Einfallsreichtum.
Anti-Helden braucht die Fantasy
Es reicht nicht, Donjon als reine Fantasy-Parodie zu bezeichnen, denn bei allem Witz ist die Serie oft erstaunlich ernst, düster und brutal – und damit voll auf der Höhe der Zeit, wie der Erfolg von „Game Of Thrones“ zeigt. Strahlende Helden haben keinen Platz in der Donjon-Welt, wie allein der Werdegang von Herbert zeigt: Als Kind tötet er seinen Lehrer, muss sich deshalb mit seinem eigenen Vater duellieren, schlägt ihm den Arm ab, verliert später sein Herz durch Nekromantie, wird zur Über-Ente, die alle Gegner mit grüner Haut mit einem Fingerschnipsen zerfetzen kann und tötet als Großer Khan tausende von Opfern.
Letztlich sind fast alle Donjon-Hauptfiguren (außer der rebellischen und emanzipierten Prinzessin Isis) Anti-Helden mit inneren Brüchen und Schwächen: Hyazinth de Cavallère, der zuerst als das „Hemd der Nacht“ Kriminelle bekämpft und schließlich selbst zu einem wird, Marvin der Drachist, der mit seinem Glauben und Illusionen bricht, oder der Rote Marvin, ein Schürzenjäger und Raufbold, der von seiner Sippe wegen seines roten Fells verstoßen wurde. Donjon ist ein Hort von Anti-Helden und damit ähnlich erfrischend und innovativ für die Fantasy, wie es einst die düster-zynischen Italo-Western für den klassischen Western gewesen sind.
Trondheim und Sfar bleiben ihren Anti-Helden bis zum Schluss treu: Im letzten Band der Serie muss Herbert unmittelbar vor der entscheidenden Endschlacht gegen die Schwärze, die kurz davor ist, die Welt endgültig zu vernichten, noch mal aufs Klo. „Mag sein, dass die Helden in allen Büchern, die ihr gelesen habt, niemals aufs Scheißhaus mussten, aber ich bin lebendig, und ich muss mal!“, stellt er fest und geht seelenruhig auf den Lokus. Das ist ein Grund, warum wir Anti-Helden so mögen – sie sind so menschlich. Auch (oder gerade?) wenn sie Enten sind.
Veranstaltungshinweis: Wer den Donjon-Autor persönlich kennenlernen will, hat in dieser Woche gleich mehrfach die Gelegenheit dazu. Lewis Trondheim und seine Koloristin Brigitte Findakly sind auf Deutschland-Tour, hier die Termine:
Montag, 18. Mai, Berlin:
15:30-17 Uhr – Modern Graphics: Signiertermin (Modern Graphics, Oranienstraße 22, D-10999 Berlin), www.modern-graphics.de
19:30 Uhr – ExRotaprint: Von Hasen und Enten - Lewis Trondheim und Brigitte Findakly im Gespräch mit Matthias Wieland (ExRotaprint Projektraum, Gottschedstr. 4, 13357 Berlin), www.reprodukt.com, Eintritt: 5 EUR, ermäßigt: 3 EUR
Dienstag, 19. Mai, Hannover:
16-18 Uhr – Comix Comicbuchhandlung: Signiertermin (Comix Comicbuchhandlung, Goseriede 10, D-30159 Hannover), www.comix-hannover.de
Mittwoch, 20. Mai, Hamburg:
15:30-17 Uhr – Strips & Stories: Signiertermin (Strips & Stories, Seilerstraße 40, D-20359 Hamburg), www.strips-stories.de
19:30 Uhr – Literaturhaus Hamburg - Graphic Novel Tage: “Alleskönner”: Lewis Trondheim und Flix im Gespräch mit Christian Gasser und Andreas Platthaus. Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, D-22087 Hamburg, www.literaturhaus-hamburg.de, Eintritt: 12 EUR, ermäßigt: 6 EUR
Donnerstag, 21. Mai, Frankfurt:
15:30-17:30 Uhr – T3 Terminal Entertainment: Signiertermin (T3 Terminal Entertainment, Große Eschenheimer Straße 41a, D-60313 Frankfurt am Main), www.t3ffm.wordpress.com
19:30 Uhr – Literaturhaus Frankfurt: Barbara Yelin & Lewis Trondheim, ein Comic-Abend in zwei Teilen mit Pause, Lewis Trondheim zu Gast in der Reihe “Stories + Strips” – im Gespräch mit Jonas Engelmann und Dominique Petre. Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2, D-60311 Frankfurt am Main, www.literaturhaus-frankfurt.de, Eintritt: 7 EUR,ermäßigt: 5 EUR
Auf der Website des Reprodukt-Verlages findet sich ein Überblick über alle auf Deutsch veröffentlichten Donjon-Alben.
Weitere Artikel unseres Autors Erik Wenk finden Sie hier. Sein Weblog mit Essays und Comics findet sich hier: elfenbeinbungalow.de.
Erik Wenk
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