Gegen den Kulturkampf von rechts: Es ist Zeit, das Klima unserer Demokratie zu schützen
Die AfD führt deutschlandweit eine aggressive Kampagne gegen Kultureinrichtungen. Die offene Gesellschaft muss sich dem entgegenstellen. Ein Gastbeitrag.
Helga Trüpel ist Literaturwissenschaftlerin, war von 1991-95 Kultursenatorin in Bremen und Vizepräsidentin des Kulturausschusses des Europäischen Parlaments.
Wolfgang Kaschuba ist Kulturwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, war dort von 2015-18 Gründungsdirektor des Berliner Instituts für Migrationsforschung und ist Vorsitzender des Kulturausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission.
Mittlerweile ist unübersehbar geworden, dass sich ganz rechts eine politische Bewegung in Deutschland formiert, die hoch aggressiv und destruktiv agiert. Dies zeigt sich auch im Feld von Kultur und Kulturpolitik.
Dort zielt die Politik vor allem der AfD darauf ab, in den Parlamenten mit ihren Anfragen zur Aufgabe und Finanzierung demokratischer Kultureinrichtungen wie zivilgesellschaftlicher Initiativen bewusst Irritation zu stiften und Legitimation in Frage zu stellen.
Dagegen muss kulturpolitisch klar Position bezogen werden, um die Grundwerte wie die kulturelle Vielfalt in Deutschland und der Europäischen Union zu verteidigen. Nur so lassen sich die Offenheit unserer Gesellschaften und ihre pluralen Lebensweisen erhalten.
Denn was wir in den letzten Jahren in allen europäischen Ländern erleben, ist ein gezielter Kulturkampf von rechts: ein systematischer Angriff auf andere Meinungen und Lebensstile, auf andere Religionen und Herkünfte. Ihm müssen wir unseren demokratischen Kulturbegriff entgegensetzen, der sich nicht über andere Menschen und Kulturen als „Fremde“ und „Feinde“ erhebt, sondern stets auf unserem Grundgesetz und der Charta der Menschenrechte fußt.
Denn: Migration ist keineswegs die Mutter all unserer Probleme, wie unser Mann aus Ingolstadt und gelegentlich fürs Grobe, Horst Seehofer, noch im letzten Jahr formuliert hatte. Migration ist vielmehr die Mutter von Gesellschaft!
Dafür steht insbesondere die Geschichte unserer Städte. Denn sie entwickeln sich in der Neuzeit dynamisch und nachhaltig erst durch die permanente Zuwanderung von neuen Menschen, von neuen Ideen und von neuen Waren. Also durch Migration und Markt, durch Massenkultur und Bürgerschaft.
Das prägt seitdem ihr Lebensgefühl. Deshalb betrachtet der große Soziologe Max Weber die moderne Stadt schon vor 100 Jahren als den neu entstehenden „Ort der Zusammengesiedelten“, nicht mehr nur der Eingeborenen und Einheimischen wie im Dorf. Und deshalb sieht er in ihr den gesellschaftlichen Raum des „Aufstiegs aus der Unfreiheit in die Freiheit“.
Der urbane Raum verkörpert historisch wie aktuell jenen besonderen Ort, an dem sich Minderheiten in der Moderne überhaupt als soziale Gruppe formieren können. Nur hier erreichen sie jene „kritische Masse“, die es ihnen ermöglicht, eigene, auch abweichende Lebensstile öffentlich zu demonstrieren.
Nur hier können sie ihre Rechts- und Lebenssituation für legitim erklären. Nur hier, in der Stadt als der Heimat der Minderheiten, ist ihnen ein Leben in Respekt und Würde möglich. Das ist die große historische Idee und das große kulturelle Erbe der modernen Stadt!
Dies galt und gilt für Arbeiterkulturen wie Migrantengruppen, für jüdische Gemeinden wie Freidenker, für Frauenbewegungen wie Protestbewegungen, für Schwulenszenen wie für künstlerische Subkulturen, für ökologische Initiativen wie vegetarische Milieus.
Ihre „anderen“ Werte und Ideen, ihre „eigensinnigen“ Praktiken und Rituale, ihre „offenen“ körperpolitischen wie partnerschaftlichen Formen prägen die Stadtkultur heute inzwischen nachhaltiger als viele einheimische Traditionen à la „Mir san mir!“ in München oder „America first!“ in New York.
Nun stehen diese besonderen Formationen und Traditionen mehr denn je in der Gefahr, von diesen rechten Gedanken und populistischen Bewegungen zerstört zu werden. So spricht der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland von den „heimatlosen“ Eliten und Migranten, die unser „Volk“ angeblich von den Städten aus „überfremden“ und die „echten Deutschen“ an den Rand drängen. In offen rechtsextremer und rassistischer Sprache wird da versucht, zu diskriminieren, zu hetzen und zu spalten.
Die AfD will etliche Einrichtungen schließen lassen
Insofern ist diese Politik der Rechten gerade auch auf die Bekämpfung dieser besonderen Beheimatungsqualität der großen Städte ausgerichtet. In Gestalt auch von administrativen Offensiven und Angriffen wie eben jener Strategie der „Kleinen Anfrage“, die etwa im Falle des Kinder- und Jugendtheaters in Rostock zum Einsatz kam.
Dort forderte die AfD im Stadtrat Auskunft über das Konzept dieses Theaters, seinen Stellenplan und seine Finanzierung. Eine fast wortgleiche Anfrage liegt für das Deutsche Theater in Berlin vor und für das dortige multireligiöse Zentrum „House of One“ – wie mittlerweile für hunderte andere Museen, Theater, Jugendclubs, Migrantenvereine, Rundfunksender in deutschen Städten.
Das Staatstheater Stuttgart soll der AfD-Landtagsfraktion im November 2019 auch Auskunft darüber geben, wie viele nichtdeutsche Mitglieder seiner Tanzcompagnie angehören. Und bei der Bundesförderung „500 Landinitiativen“ wird gefragt, weshalb diese auch „der Integration von Flüchtlingen“ dienen soll.
Tenor all dieser Anfragen: Diese Einrichtungen stünden für eine „linke Minderheiten- und Meinungskultur“. Sie dürften daher haushaltlich nicht weiter bedacht, sondern sollten vielmehr geschlossen werden.
Das zivile Erbe verteidigen
Mit dieser Kampagne wird versucht, Kultureinrichtungen systematisch in eine defensive Position zu bringen. Weil lokale Politik und Medien oft nicht begreifen, dass es hier nicht um langweilige Verwaltungs- und Haushaltsrituale geht. Weil sie sich deshalb oft nur halbherzig vor diese Einrichtungen stellen. Weil sie diese perfide Taktik der systematischen Delegitimierung öffentlicher Einrichtungen wie sozialer Gruppen für „legal“ halten.
Und weil sie damit diesem Versuch der letztlichen Kontrolle öffentlicher Debatten, öffentlicher Räume und öffentlicher Haushalte nicht entschlossen genug entgegentreten.
Dagegen muss das zivile Projekt als das große kulturelle Erbe unserer Städte von allen Demokraten mit allem Nachdruck verteidigt werden: als jener „Raum der Freiheit“ Max Webers - für uns wie für die anderen!
Damit kommt dieses Erbe dann auch keineswegs arrogant und exklusiv daher. Vielmehr respektiert es bewusst auch jene anderen, wohl stärker gemeinschaftlich orientierten Lebensweisen und Traditionen, wie sie in ländlichen oder kleinstädtischen Gesellschaftsregionen gepflegt werden. Denn eine wirklich demokratische Kulturpolitik muss stets und überall beidem verpflichtet sein: der kulturellen Vielfalt wie der sozialen Selbstbestimmung!
Wolfgang Kaschuba, Helga Trüpel