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Marina Loschak und Hermann Parzinger
© Mike Wolff

Beutekunst in deutschen und russischen Museen: "Es ist unmöglich, nicht emotional zu sein"

Viele deutsche Kulturgüter sind heute immer noch in Russland. In Interview sprechen Puschkin-Direktorin Marina Loschak und Hermann Parzinger, Chef der Preußen-Stiftung, über Kooperationen zwischen den Museen.

Frau Loschak, Herr Parzinger, bisher standen bei den deutsch-russischen Museumsbeziehungen die archäologischen Objekte im Zentrum. Warum wenden Sie sich nun den Skulpturen zu?

MARINA LOSCHAK: Auch früher haben wir uns nicht nur auf archäologische Themen beschränkt. 2014 eröffneten wir die Ausstellung „Die Kunst des antiken Zypern“ mit Exponaten, die nach dem Krieg vom Puschkin Museum aufgenommen wurden. Schon die Ausstellungen „Archäologie des Krieges“ von 2005 und „Merowingerzeit: Europa ohne Grenzen“ von 2007 waren das Ergebnis einer Kooperation von russischen und deutschen Museen; Auslöser für die jetzige Beschäftigung mit Skulptur war eine konkrete Anfrage des Bode-Museums. Daraufhin haben wir uns mit den Donatellos in unserem Bestand beschäftigt. Nun sind wir mit der gemeinsamen Erforschung und Bearbeitung der Skulpturen sowie der Vorbereitung einer Publikation befasst.

HERMANN PARZINGER: Uns geht es um das Schicksal kriegsbedingt verlagerter Kunst und Kulturgüter. Wir wollen sie in den wissenschaftlichen Diskurs zurückführen, zugleich durch Ausstellungen den Menschen präsentieren. Ich freue mich, dass sich unser Portfolio nun zur Kunstgeschichte hin erweitert. Ich muss mich beim Puschkin-Museum in Moskau, der Eremitage in St. Petersburg und anderen russischen Museen für ihre außerordentliche Offenheit bedanken, die dies erst ermöglicht hat.

Nach dem Rücktritt von Irina Antonowa hat mit Ihnen, Frau Loschak, als Puschkin-Direktorin eine neue Generation Verantwortung übernommen, die die Kriegs- und Nachkriegszeit nicht kennt. Erleben wir nun Tauwetter im Museum?

LOSCHAK: Nach gerade mal zwei Jahren im Amt spüre ich die Last der Reflektionen noch nicht so sehr. Zugleich kann man die Vergangenheit nicht einfach ignorieren, der Krieg hat für die Geschichte unseres Museums eine eminente Bedeutung. Von 1945 bis 1955 befand sich die Dresdner Sammlung bei uns, die Werke wurden aufgenommen, gelagert, restauriert und dann präsentiert. Es gibt bei uns noch immer Kollegen, die daran beteiligt waren. Es ist also unmöglich, nicht emotional zu sein.

PARZINGER: Natürlich ist der Generationswechsel wichtig, um neue Perspektiven zu entwickeln. Gleichzeitig arbeiten wir mittlerweile seit zwanzig Jahren ausgezeichnet zusammen. Dadurch ist eine Vertrauensbasis gewachsen. Geschichte ist keine Generationenfrage. Ebenso wie unsere russischen Kollegen können wir die Geschichte nicht einfach vergessen. Der Zweite Weltkrieg, und mit ihm auch der Raub von Kunst und Kulturgütern, ging von deutschem Boden aus, das hat dann leidvoll auf Deutschland zurückgeschlagen. Das verpflichtet heute zur Zusammenarbeit.

Donatellos „Geißelung Christi“-Relief
Gerettet. Donatellos „Geißelung Christi“ (ca. 1430) überstand den Brand im Berliner Flakbunker nur mit größten Schäden. Heute befindet sich das Relief im Puschkin-Museum (Archiv-Bild).
© SBM

Übernehmen die Museen damit eine politische Aufgabe auf anderer Ebene?
PARZINGER: In der Politik trennt vieles, die Museen verbindet die Geschichte umso stärker. Darin liegt die Chance für die Zukunft: das zunächst trennend Wirkende als etwas Verbindendes anzusehen. Mich freut, dass gerade jetzt, wo die politischen Beziehungen schwierig sind, die kulturelle Brücke trägt. Diese Verbindung muss offen bleiben. Uns verbinden nicht nur Ausstellungen, sondern auch Forschungsprojekte zu Objekten, die heute im Puschkin Museum sind. So führen wir etwa zu den Goldfunden aus Eberswalde oder Dieskau gemeinsam materialkundliche Untersuchungen durch. So können wir sie mit Funden aus neuen Grabungen in Deutschland in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise kehren diese Altfunde in den wissenschaftlichen Diskurs zurück.

Der Dialog der Kultureinrichtungen ist eine Form, auf Betriebsebene zu kooperieren, seit mit dem Duma-Gesetz klar ist, dass Beutekunst nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird. Gibt es nicht einmal Aussichten für hiesige Ausstellungen?

LOSCHAK: Das hängt nicht von den Museen ab, sondern vom Staat. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die in unsere Sammlung gelangten Werke zu bearbeiten, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die Geschichte transparent zu machen. Das Wichtigste bleibt, dass die Werke wissenschaftlich bearbeitet werden, gesehen werden können.

Wie präsentieren Sie die Werke?

LOSCHAK: Wir beschriften sie entsprechend, damit die Besucher um ihre Geschichte wissen. Unter jedem Objekt steht genau, woher es kommt. Nur so können die Menschen deren tragische Geschichte erfahren und lernen, künftig törichte Schritte zu vermeiden.

PARZINGER: Natürlich träumen wir davon, kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter auch in Deutschland ausstellen zu können. Dagegen steht aber, dass Deutschland eine Rückgabegarantie erteilen müsste, was einer Anerkennung der russischen Rechtsposition gleich käme. Dazu wird es aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht kommen. Insofern ist es wichtig, die Objekte zumindest in Russland zu zeigen und das Schicksal der Sammlungen aufzuklären. Von vielen ehemals Berliner Beständen wissen wir ja gar nicht, wo und in welchem Zustand sie sich befinden.

Bei einer Tagung wurden jüngst Fotos fünf stark beschädigter Donatello-Skulpturen aus dem Berliner Flakbunker gezeigt. Gibt es mehr Donatellos? In Geheimdepots sollen zehntausende Objekte lagern. Besteht die Gefahr, dass sich ihre Spur verliert?

LOSCHAK: Die Werke, die nach dem Krieg vom Puschkin Museum aufgenommen wurden, werden bei uns genauso aufbewahrt wie unsere anderen Bestände. Alle Verluste sind das Ergebnis des Krieges. Dass die Werke aufgenommen wurden, war eine Rettung. Dank unserer Konservatoren existieren sie weiter. In unserer Ausstellung mit Objekten des antiken Zypern gibt es kriegsbeschädigte Exponate, die nur noch aus Fragmenten bestanden. Sieben Jahre lang haben die Restauratoren daran gearbeitet, ihnen neues Leben einzuhauchen.

Und Donatello?

LOSCHAK: Die deutschen Kollegen haben uns Fotos der Donatello-Werke gezeigt. Sie wussten von deren Existenz und wo sie sich befinden. Daraufhin wurden wir aktiv, haben uns mit ihnen beschäftigt und untersucht, ob sie echt sind, von Donatello oder aus seiner Werkstatt stammen. Und ob sie aus dem Bode-Museum kommen. Unsere Restauratoren bereiten nun mit den deutschen Kollegen eine mögliche Restaurierung vor. Es ist aufwühlend, wenn man mit Werken zu tun hat, die solche traurigen Spuren aufweisen. Es grenzt an ein Wunder, dass sie überhaupt noch existieren nach den Explosionen im Bunker.

Ist der deutsch-russische Museumsdialog ein Zwiegespräch siamesischer Zwillinge?
PARZINGER: Ich sage immer, die deutschen und russischen Museen können gar nicht ohne einander. Für den Dialog aber ist es wichtig, dass wir nicht nur über kriegsbedingte Verlagerungen sprechen, sondern auch über den Austausch von Fachleuten und allgemeine Fragen zur Museumsarbeit. Mit der Kulturstiftung der Länder, bei der die Geschäftsführung und Projektleitung des vor 10 Jahren gegründeten Deutsch-Russischen Museumsdialogs liegt, verfolgen wir gerade ein Forschungsprojekt über russische Museen im Krieg. Exemplarisch werden dabei die Museen in Pskow und Nowgorod sowie die Zarenschlösser um St. Petersburg im Hinblick auf ihre Sammlungsgeschichte im Krieg untersucht: Was passierte dort an Rettungsmaßnahmen? Und was geschah, als die Kulturgüter von Deutschland restituiert wurden? Der Verlust ist beidseitig, und verursacht beiden Seiten Schmerzen. Diese Beidseitigkeit muss man immer im Blick haben.

LOSCHAK: Wir alle sind für das Schicksal der Kunstwerke verantwortlich. Egal wo sie sich befinden. Wir betrachten uns als Team. Das ist eine erfreuliche Entwicklung insgesamt für die Kunstgeschichte. Andererseits ist es traurig, wie wenig die Menschen aus ihren Fehlern gelernt haben, wenn man in Richtung Osten sieht, nach Syrien, in den Irak, wo Kunstschätze vernichtet werden. Man kann kaum glauben, dass das alles heute passiert.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Nicola Kuhn

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