Bode-Museum: Ausstellung "Das verschwundene Museum": Als die Kunst verloren ging
Die Ausstellung „Das verschwundene Museum“ im Berliner Bode-Museum rekonstruiert, welche Bilder und Skulpturen in den Bränden am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört oder beschädigt wurden.
Prachtvoll muss der Saal der flämischen Malerei im Kaiser-Friedrich-Museum ausgesehen haben, der Kürze halber auch Rubens-Saal genannt. Eine Fotografie von 1926 lässt eine der Wände erahnen; auf einer zweiten ist eine Malerin dabei, ein Bild zu kopieren. Das war Usus unter angehenden Malern: von den Meistern lernen.
Derselbe Saal im Museum, das heute den Namen des übermächtigen Wilhelm von Bode trägt, bietet derzeit vor allem Schwarz-Weiß-Fotografien. Allerdings vergrößert bis zum Originalformat jener Gemälde, die sie abbilden und die im Mai 1945 durch einen Brand im Flakturm Friedrichshain, ihrem Auslagerungsort, vernichtet wurden. 434 Gemälde gingen verloren, dazu 1507 Objekte der Skulpturensammlung. Was blieb, sind die briefmarkengroßen Abbildungen in der 1995 erschienenen „Dokumentation der Verluste“ der Staatlichen Museen. Diesem ersten Band mit dem Verzeichnis der Gemäldegalerie folgte elf Jahre später der Verlustkatalog der Skulpturen und Möbel.
In der Mitte des Rubens-Saals hängt jetzt ein Foto von Rubens’ figurenreichem Werk „Neptun und Amphitrite“, 230 auf 305 Zentimeter groß wie das verlorene Original. Bernd Lindemann, Direktor von Gemäldegalerie und Skulpturengalerie, beginnt vor dem Foto sogleich eine Neuinterpretation – ob es nicht eher eine Personifikation des Flusses Nil sei, erkennbar etwa an dem Krokodil zu Füßen des Meeres- oder doch Flussgottes?
Die verschwundene Kunst
Bei der Vorbesichtigung der Ausstellung „Das verschwundene Museum. Die Berliner Skulpturen- und Gemäldesammlungen 70 Jahre nach Kriegsende“ im Bode-Museum weist Lindemann auf einen wichtigen Aspekt der Kunstvernichtung hin. Die zerstörten, in ruinösem oder fragmentiertem Zustand erhaltenen Werke sind auch aus der Forschung verschwunden. Man kann sie ja nicht mehr sehen, geschweige denn untersuchen. Dabei prägten sie bis zum Sommer 1939, als die Museen wegen des vom NS-Regime beschlossenen Kriegsbeginns ihre Pforten dicht machen mussten, das Bild der jeweiligen Künstler und ihres Œuvres.
Erstmals wird in der in sechs Kapitel gegliederten Ausstellung sinnlich erfahrbar, welche Verluste die Staatlichen Museen durch die Brände erlitten haben, die wohlgemerkt erst nach der Einstellung der Kampfhandlungen in Berlin im Mai 1945 im Flakturm Friedrichshain ausbrachen. Es war der letzte Rückzugsort für alle Objekte, die nicht (mehr) in die thüringischen Salzbergwerke gebracht werden konnten, im Fall der Gemälde schon aufgrund der Formate. Sie passten nicht in den Förderkorb des Schachts.
Manches konnte in Moskau restauriert werden
Warum der Flakturm von der Roten Armee nicht gesichert wurde, die gleichzeitig seit Ende 1943 präzise Listen von in die Sowjetunion als „Trophäen“ zu verbringenden Kunstschätzen besaß, ist bis heute ungeklärt. Augenzeugen hatten Plünderer gesehen, die im lichtlosen Bunker mit Papierfackeln hantiert haben sollen. Die von Hoffnung genährte Vermutung, die Rote Armee habe die Brände gelegt, um den vorangehenden Abtransport der Kunstwerke zu verschleiern, muss ins Reich der Legenden verwiesen werden, spätestens seit 2005. Damals hatte das Moskauer Puschkin-Museum – neben der Eremitage in St. Petersburg Hauptempfänger von „Trophäenkunst“ – die Ausstellung „Archäologie des Krieges“ veranstaltet, in der Scherben aus dem Brandschutt zu sehen waren, von antiken Vasen und Bronzen.
Manches konnte in Moskau restauriert werden, und auch die Berliner Ausstellung zeigt Beispiele von Restaurierungen. Darüber wurde in den Museen wohl heftig diskutiert. Jedenfalls sagt Julien Chapuis, Leiter der Skulpturensammlung und Initiator der Ausstellung, nichts sei einfach in dieser Schau: „Es gibt zu dieser Thematik keine allgemein gültige Haltung. Jede Generation seit 1945 ist anders damit umgegangen.“ Insbesondere dreht sich die Diskussion darum, ob Kriegsschäden sichtbar belassen werden sollen oder die ästhetische Einheit des Kunstwerks wiederherzustellen sei, „in den wenigen Fällen, in denen es möglich ist“.
Gipsabgüsse sind oft die einzige Erinnerungsstütze für verlorene Werke
Dazu bietet die Ausstellung vielfältiges Anschauungsmaterial. Vor einem Foto der Sammlungspräsentation der Bode-Zeit um 1910 sind zwei Skulpturen aufgebaut, die – ja, was – die Zeiten überstanden haben? Nicht ganz; die von Antonio Tamagnanini im Jahr 1500 geschaffene Büste eines Edelmannes zeigt deutliche Kriegsschäden, etwa eine abgeschlagene Nase. Rechts davon ist der Kopf einer Prinzessinnenbüste von Francesco Laurana (um 1470) zu sehen, dem seit dem Krieg die stützende Schulterpartie fehlt. Dahinter dann der vollständige Abguss aus den Regalen der Gipsformerei.
Ohne die Gipsformerei wäre die Ausstellung nicht möglich gewesen. Abgüsse, die seit dem Ende des Wilhelminismus aus den Schausammlungen verbannt wurden, erweisen sich als große, beinahe einzige Erinnerungsstütze für die verlorenen Bildwerke. Am Beispiel eines Reliefs von Antonio Rossellino – eine Madonnenszene um 1460 – lassen sich die verschiedenen Stadien erkennen: Foto aus der Vorkriegszeit, Vergleichsrelief mit Hinweisen auf die ursprüngliche Bemalung, Abguss von 1902, Foto des beschädigten, teilrestaurierten Zustands und Relief nach Vollrestaurierung 2012 – mit Hilfe einer Silikonform nach dem Abguss von 1902.
Lindemann: Beeindruckend bestürzende Schau
Museumsdirektor Lindemann spricht von einer „ebenso beeindruckenden wie bestürzenden“ Schau. 2000 Kunstwerke, die in einem unbeaufsichtigten Hochbunker zugrunde gingen, lassen sich auch mit dieser verdienstvollen Vergegenständlichung nicht ins Bewusstsein zurückholen. Dass ein solcher Verlust an Welterbe mitten in Berlin geschehen konnte, bleibt eine schwere Hypothek auch für unsere ach so kulturbewussten Zeiten.
Bis 27. 9. Di – So 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Kein Katalog, aber weitere Informationen unter
www.smb.museum/ausstellungen/detail/das-verschwundene-museum.html
Bernhard Schulz
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