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Gebäude der Volksbühne
© Jens Kalaene/dpa

Volksbühnen-Streit: Meine liebe Scholle!

Deutsches Nationaltheater: Um die Volksbühne ist ein Kulturkampf entbrannt. Berlin kann sehr unfreundlich sein.

Im Streit um die Volksbühne fliegen die Briefe hin und her. Der erste, datiert vom 20. Juni, war ein Brandbrief, unterzeichnet von den Regisseuren und Schauspielern, die das Haus bedeuten, und von den wichtigen Mitarbeitern, die das Theater in seinen Gewerken so besonders machen. Ja, es gibt kein zweites Theater wie die Volksbühne. Die Frage ist – wie lange noch?

All diese aufgebrachten Volksbühnenmenschen wollen verhindern, dass Chris Dercon in gut einem Jahr die Nachfolge von Frank Castorf antritt. Nach 25 Jahren Castorf-Volksbühne. Auch das gibt es nirgendwo anders. Nur muss man wissen: Es gab Jahre, da war Castorf kaum präsent, dümpelte die Volksbühne vor sich hin, war nicht mehr das Zentrum Berlins und der Theaterwelt. Vielleicht hat das drohende Ende der Ära die Kräfte freigemacht, die jetzt wirken, positiv und negativ. Dercon, so klingt es aus der Wagenburg, habe keine Ahnung vom Theater, verkaufe alte Hüte, seine Rede sei banal, das Haus solle künstlerisch abgewickelt werden. Zeter, mordio!

Die verstehen doch nichts vom Theaterwesen!

Der zweite Brief, vom 1. Juli, ist ein Löschbrief. Die Unterzeichner kommen aus München, Paris, London, Brüssel, auch Berlin. Allesamt prominente Kuratoren, Museumsdirektoren, Kunstmenschen. Sie sagen: Dercon ist ein guter Kerl. Erfahren, risikofreudig, solidarisch und durchaus in der Lage, die Volksbühne zu leiten, auch wenn er nicht vom Theater kommt.

Das Problem wird deutlich. Dercon fehlt der Stallgeruch. Aber seine Unterstützer sind ebenso wenig Bühnenmenschen wie er. Das schwächt ihre Initiative, weil man denkt: Die verstehen doch auch nichts vom Theaterwesen. Man kann es aber auch anders betrachten: Wie wichtig ist die Stellung des Theaters, wenn die Kunstfraktion sich derart ins Zeug legt für einen der Ihren?

Wo ist Dercon? Er müsste werben um die Volksbühne, Berlin jetzt schon bespielen und charmieren. Es ist allerdings sein gutes Recht, noch nichts zu sagen. Er befindet sich in der Vorbereitungsphase, kann seine Pläne noch nicht im Detail vorstellen. Ähnliches gilt für Neil MacGregor und das Humboldt-Forum. Auch er wird ständig unter Druck gesetzt, endlich sein „Konzept“ vorzustellen. Das Humboldt-Forum eröffnet 2019, frühestens.

Der scharfe Ton der Dercon-Disser

MacGregor und Dercon erleben, wie Berlin auch sein kann – unfreundlich, ungeduldig, misstrauisch, abweisend. Von wegen: weltoffen, kosmopolitisch. Das gilt so lange, wie eigene Empfindlichkeiten und Besitztümer nicht berührt werden. Man kommt zu dem Schluss, dass Dercon und MacGregor die Stadt erst kennenlernen. Sie hatten keine Ahnung, was sie hier erwartet. Sie haben keine Zeit.

Auch erfahrene Berliner überrascht der scharfe Ton der Dercon-Disser. Aber dann kramt man in der Erinnerung und findet, dass Castorf immer schon gern mit totalitären Gesten und rechtslinksradikaler Begrifflichkeit gespielt hat. Er selbst verhält sich ruhig, wird als Regisseur am Berliner Ensemble erwartet. Das militante Wort führt Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann, der Hegemon. Es genügt, nicht ausdrücklich für Castorf und nicht klar gegen Dercon zu sein, dass man zum Verräter wird.

Ob man den Neuen doch mögen kann?

Der Streit um die Volksbühne ist ein Kulturkampf. Die Volksbühnenwächter verteidigen ihre Biografie der Widerspenstigkeit, beharren auf der Scholle, gegen das böse Draußen. In einem Gespräch mit Hegemann nennt Boris Groys in der „FAS“ Chris Dercon einen Vertreter des „neoliberalen Kapitalismus“. Und sagt, bitte festhalten: „Danach wird die massive Forderung kommen, die Volksbühne wieder umzugestalten in eine Bühne, wo die gloriose Geschichte des deutschen Geistes gefeiert wird, nicht als Tragödie, sondern als Geschichte des Sieges und des Triumphs.“

Wenn das keine Satire ist, klären sich endlich die Fronten: An der Volksbühne spielt die wahre Deutschnationalmannschaft. Und da ist Chris Dercon ganz der Richtige. Er hat schon einmal so ein dickes deutsches Brett gebohrt, das Haus der Kunst in München. Wenn die Hegemänner so weitermachen, kann man den Neuen nur mögen.

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