Klaus Lederer zur Öffnung der Kultur: „Es gibt auch Instrumente, die man mit Mundschutz bedienen kann“
Die Beschränkungen im öffentlichen Leben sollen abgebaut werden. Was bedeutet das für die Berliner Kultur? Ein Gespräch mit Kultursenator Klaus Lederer.
Herr Lederer, bei den Beschlüssen der Bundesregierung zum schrittweisen Abbau der Einschränkungen im öffentlichen Leben kommt die Kultur mit keinem Wort vor. Was bedeutet das für die Szene?
Das ist schon sehr bitter: In der laufenden Spielzeit wird es keine Premieren mehr geben. Und auch die kommende Saison wird an unseren großen Häusern keine normale Spielzeit sein, wie wir sie üblicherweise kennen. Es gilt jetzt Szenarien zu entwickeln, wie man sich eine gewisse Flexibilität erhalten und trotzdem künstlerisch anspruchsvoll arbeiten kann.
Was sagen Sie den Intendantinnen und Intendanten, die bei Ihnen anrufen?
Wir sind ja im permanenten Austausch. Und da ist schon klar, dass vieles nicht so gehen wird, wie es geplant war. Jetzt ist Kreativität über das hinaus gefragt, was in der Vorplanung festgelegt wurde. Wir brauchen jetzt Konzepte und Ideen, wie die Planungen so umgestellt werden können, dass sie realisierbar sind. Vielleicht auch in Varianten. Im Mittelpunkt wird stehen, dass Ansteckungsgefahren vermieden werden; Sicherheitsabstände beim künstlerischen Personal und dem Publikum sind da nur ein Stichwort.
Wenn zwischen den Musikern ein Abstand von 1,5 Meter eingehalten werden muss, sind Sinfonieorchester aber überhaupt nicht spielfähig.
… und darum müssen wir davon ausgehen, dass wir im September oder Oktober ein vollbesetztes Orchester im Graben eines Opernhauses oder auf einer Konzertbühne nicht erleben werden, dazu braucht man keine besonderen hellseherischen Fähigkeiten. Hingegen wird aber Kammermusik möglicherweise stattfinden können. Und es gibt ja auch Instrumente, die man auch mit Mundschutz bedienen kann.
Ältere Menschen sind besonders gefährdet. Müssen Sie Künstler wie den 77-jährigen Daniel Barenboim jetzt mit einem Auftrittsverbot belegen?
Nein, auf keinen Fall! Ich habe ihm - wie allen anderen Künstlern, mit denen ich gesprochen habe - Mut gemacht, gemeinsam mit mir darüber nachzudenken, welche Wege wir gehen können, damit möglichst viele Menschen bald wieder die Kultur erleben können, die wir zur Zeit so schmerzlich vermissen.
Kann man festlegen, dass nur noch Personen, die jünger als 70 Jahre sind, Theater-, Opern- und Konzertkarten erwerben dürfen?
Ich hätte generell ein großes Problem damit, wenn einzelne Bevölkerungsgruppen komplett vom sozialen Leben ausgeschlossen würden. Das scheint mir kein akzeptabler Weg zu sein. Die kulturelle Infrastruktur ist nun einmal für alle da.
Wir müssen auf das Verantwortungsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung setzen. Menschen, die in besonderer Weise gefährdet sind, müssen auch in besonderer Weise darauf achten, welchen Risiken sie sich aussetzen. Natürlich ist es gleichzeitig unsere Pflicht, diese Risiken so weit wie möglich zu minimieren.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Wie kann das konkret aussehen?
Museen, Galerien, Bibliotheken und Gedenkstätten haben es leichter als die Bühnen. Das Stichwort dort heißt „crowd management“. Man kann ja dort den Strom der Besucher gut lenken, indem man durch entsprechende Vorkehrungen dafür sorgt, dass die Zahl der Menschen, die sich auf einer bestimmten Fläche verteilen, kontrollierbar bleibt.
Mit den Theatern und Konzerthäusern richten wir uns auf die bestehende Situation ein und versuchen trotzdem, hochwertige Kunst zu machen. Auch wenn im Augenblick niemand sagen kann, ob es in den nächsten Monaten tatsächlich ein kontinuierliches Öffnungsszenario geben wird oder ob möglicherweise pandemische Lagen eintreten, bei denen man dann auch wieder in eingeschränkteren Möglichkeiten arbeiten muss.
Wie kann die Verwaltung die Kulturszene jetzt unterstützen?
Wir begleiten die Entwicklung der verschiedenen Szenarien für die unterschiedlichen Bereiche intensiv. Wir ermutigen die Einrichtungen, sozial verantwortungsbewusst zu agieren, also gegenüber freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, denen durch die Absagen jetzt Gagen weggebrochen sind, möglichst kulant zu agieren.
Wir stellen uns nicht auf die Position: Wenn im Vertrag dazu nichts vereinbart ist, wird auch nicht gezahlt. Sondern wir versuchen, jeweils adäquate Lösungen zu finden, die sozialen Bedingungen für Kunst und Kultur und die Existenz der Einrichtungen zu sichern. In einer Stadt wie Berlin ist die Hilfe für die Kultur Selbsterhaltung.
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Neben der Soforthilfe II für Soloselbständige gibt es jetzt auch ein Förderprogramm in Höhe von 30 Millionen Euro für die mittelgroßen Kulturakteure mit mehr als zehn Angestellten. Wie weit ist die Verwaltung mit dem Projekt?
Wir werden es an den Start bringen, sobald der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zugestimmt hat. Die privaten Kulturbetriebe arbeiten ja meist nicht als Profit-Center. Hier wird mit einem Maximum an persönlichem Einsatz und eigenem finanziellen Risiko der Laden irgendwie am Laufen gehalten. Einnahmen und Ausgaben halten sich mehr oder weniger die Waage, Rücklagen können kaum oder gar nicht gebildet werden. Mit Krediten würde den meisten dieser Betriebe nur ein Mühlstein um den Hals gehängt, der ein Liquiditätsproblem zum dauerhaften Schuldenproblem macht und letztlich später zur Insolvenz führt.
Diesen Betrieben wollen wir helfen. Wir haben einen Verfassungsauftrag, die Kultur gerade in schwierigen Zeiten zu schützen. Darum wollen wir nach genauer Prüfung laufende Kosten so decken, dass der Betrieb seine Arbeit wieder aufnehmen kann, wenn die Krise vorüber ist.
Sie sind ja nicht nur Berlins Senator für Kultur, sondern auch für Europa. Welchen Anteil hat dieser Aufgabenbereich derzeit bei Ihrer Arbeit?
Wir beobachten sehr genau, was in den Gremien der EU stattfindet, sowohl im Rat als auch in der Kommission, und wir mischen uns auch in die Debatten ein.
Zusammen mit Finanzsenator Matthias Kollatz habe ich mich beispielsweise in der vergangenen Woche dezidiert für die Ausgabe von Corona-Bonds ausgesprochen. Auch die Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Haushalt gehen trotz Corona weiter. Es sieht im Moment leider so aus, als ob die Kohäsionsfonds, von denen Berlin bisher profitieren konnte, deutlich zurückgefahren werden sollen. Dagegen positionieren wir uns.
Wenn der Kulturbetrieb dann endlich wieder anlaufen kann, auf welche Art von Live-Erlebnis freuen Sie sich am meisten?
Ich gestehe, dass es mich, gerade nach den wunderbaren Wohnzimmerkonzerten des Pianisten Igor Levit, schwer begeistern würde, in einem großen Konzertsaal mit vielen anderen Menschen gemeinsam Musik zu erleben! Meine Vermutung ist aber, dass andere Kulturerlebnisse schneller möglich werden. Und so freue ich mich auch auf die nächste tolle Ausstellung in einem Berliner Landesmuseum.
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