zum Hauptinhalt
Der Auto-Fahrer. Abbas Kiarostami, 2003 in Berlin.
© Kai-Uwe Heinrich

Zum Tod des iranischen Meisterfilmers Abbas Kiarostami: Erzählungen für die Ewigkeit

Seine Filme verzichten auf Antworten. Und eröffnen stattdessen einen Raum. Ein Nachruf auf den großen iranischen Regisseur Abbas Kiarostami.

Eine fast zu naheliegender Gedanke vielleicht, damals vor dreizehn Jahren, ein Interview mit Abbas Kiarostami im Auto zu führen. Und doch: allzu verführerisch, da doch so viele seiner Filme zumindest teilweise in Autos spielen, in diesem geschlossenen Raum, in dem man offen reden kann und der während der Fahrt die bewegten Kinobilder des Draußen von selber hinzuliefert. Also sitzt Abbas Kiarostami, eingeladen zur Entgegennahme des Konrad-Wolf-Preises der Berliner Akademie der Künste und müde von einer Flugreise, deren Bewilligung durch die iranischen Behörden bis zuletzt ungewiss gewesen war, im Auto des Tagesspiegel-Fotografen - und reist, weil der Interviewer diese komische Idee hatte, durch Berlins alte und neue Mitte.

Klar gibt es Fragen, politisch neugierige, und Antworten, ruhige, diplomatische, man könnte auch sagen, vorsichtige. Im gleichmütigen Tonfall eines Mannes jenseits der Sechzig, der sich weder über die Zensurverhältnisse in der Heimat noch das Verbot seiner Filme noch aufregen mag, eines Mannes auch, der sein Werk in aller Gelassenheit von berühmten Kollegen wie Kurosawa, Godard oder sogar Tarantino bewundert sieht. Richtig aufmerksam allerdings wird der Regisseur angesichts der Kunst des Zeitungsfotografen, den Wagen umsichtig durch den Frühabendverkehr zu lenken und gleichzeitig, die Kamera locker zwischen die Vordersitze gehalten, seine Arbeit zu machen. „Kompliment, da haben Sie mich übertroffen!“

Das Leben feiern, in aller Schwere

Die kleine Szene ist plötzlich präsent an einem Tag, der einer leise einsickernden und sich schmerzhaft ausbreitenden Trauer darüber gehört, dass Abbas Kiarostami am Montag, 76 Jahre alt, in Paris an Krebs gestorben ist. Es ist eine schwerelose Augenblickserinnerung an einen Regisseur, dessen Werke das Leben in aller Schwere feiern; der in seinen bedeutendsten Filmen völlig unsentimental auf den Tod schaut, um ihn in scheinbar spröden, schmucklosen Situationserfindungen auf seine Weise zu überwinden. In „Der Geschmack der Kirsche“, mit dem Kiarostami in Cannes 1997 die Goldene Palme gewann und, spät im Leben, endgültig weltberühmt wurde, passiert weiter nichts, als dass ein Mann einen Tag lang in seinem Range Rover herumfährt, um Zufallspassanten zu einem wenig anstrengenden, gut bezahlten Job zu verpflichten: Andernmorgens sollen sie 20 Schaufeln Erde auf seine Leiche werfen, das Grab hat er in kahlem Hanggelände bereits ausgehoben. Der Suizid aber, den er mittels Schlaftabletten plant, ist in Iran verboten, weshalb die Gesprächspartner sich scheuen oder das Vorhaben islamkonform verdammen. Und dann löst ein Passagier, der im Verlauf der Begegnung den Geschmack der Kirschen feiert, das Vorhaben in etwas Ungefähres auf.

Entweder-Oder-Fragen beantwortet Kiarostami nie

Nimmt der Autofahrer sich schließlich das Leben oder nicht? Falsch gefragt. Der Zuschauer weiß verlässlich nur, dass der Suizidkandidat auf der individuellsten menschlichen Freiheit besteht; das ist das Wesentliche. Oder später, in „Copie conforme“ (2010), als Kiarostami längst lieber ungestört außer Landes und mit Profi-Schauspielern drehte: Sind die zwei, gespielt von Juliette Binoche und William Shimell, ein Paar, das sich gerade kennen lernt und frisch ineinander verliebt – oder ein aneinander altgewordenes, das die Verheißung des Anfangs nur spielt? Was stimmt denn nun, die erste oder die zweite Hälfte des Films, den der deutsche Verleih damals arg interpretationswütig mit „Die Liebesfälscher“ übersetzte?
Solch simple Entweder-Oder-Fragen beantworten Kiarostamis Filme nie. Sondern sie lehren, das Eine im Anderen zu sehen und umgekehrt – und dieses Gleichgewicht auch auszuhalten. In den Brackwasserteich der ungezählten auserzählten Kinogeschichten pumpen sie geradezu revolutionären Sauerstoff. Manche Interpreten haben das scheinbar Uneindeutige als Zurückweichen vor der Zensur gegeißelt, Kiarostami selbst bestand grundsätzlich darauf, es liege in der Natur der Kunst, dass sie „eine gewisse Ambiguität braucht“. Wobei diese Haltung jenseits des explizit Politischen – durchaus anders als die der nächstjüngeren iranischen Regisseursgeneration – Kiarostami das Arbeiten unter den totalitären Umständen seiner Heimat sicher auch erleichtert hat.
Was jetzt schön wäre: sich zwei Tage einschließen und die früheren und frühesten Filme Kiarostamis wiedersehen, von „Quer durch den Olivenhain“ (1994) und „Wo ist das Haus meines Freundes“ (1987) immer weiter zurück. Und seine Filme trinken „wie Wein“ – Kiarostamis eigener Vergleich; wie etwas, das kein Alter kennt, so anders als das Leben eines Menschen.

Zur Startseite