Catherine Deneuve in „Ein Kuss von Beatrice“: Erste Schritte, letzte Wege
Martin Provost hat einen Film für die beiden großen Catherines des französischen Kinos geschrieben: Catherine Deneuve und Catherine Frot in „Ein Kuss von Beatrice“.
Man kennt Lebemänner. Aber Lebefrauen? Hier ist eine: Beatrice, gespielt von Catherine Deneuve, rücksichtslos mondän noch immer. Beatrice hat Claire um ein Treffen gebeten. Claire ist die Tochter eines Mannes, den sie einst liebte. Beatrice ist zwar eher eine Transitliebende, aber der Zwischenstopp bei Claires Vater glich damals schon fast einem stationären Aufenthalt. Und dann sitzt sie ihrer Beinahe-Stieftochter von einst gegenüber, zum ersten Mal nach vielen Jahren.
„Du siehst genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe“, meint Beatrice zur Begrüßung. Die Adressatin darf sicher sein, dass es sich dabei nicht um ein Kompliment handelt, aber Beatrice sagt solche Sätze nicht in kränkender Absicht. Sie neigt nur zu einer leicht frivolen Aufrichtigkeit. Ganz anders Claire: Alles an ihr ist Reserve, Deckung. Die eine redet, die andere schweigt, beide in einander ebenbürtiger Militanz.
Der französische Regisseur Martin Provost mag Frauengeschichten. Sein „Séraphine“ von 2008 gewann sieben Césars. „Ein Kuss von Beatrice“ hat er für die beiden großen Catherines des französischen Kinos geschrieben: für die Grande Dame Catherine Deneuve und Catherine Frot, die zuletzt in „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“ zu sehen war. Und für seine Hebamme. Als erwachsener Mann erfuhr Provost, dass die Frau, die bei seiner Geburt assistierte, ihm mit einer Blutspende zugleich das Leben rettete.
Die Ich-Sagerin entdeckt das Du-Sagen
Es gibt Bürgen unseres Daseins, deren Namen wir nicht einmal wissen, und denen wir niemals danken. Frauen wie Claire. Bei ihrem ersten Wiedersehen fragt Beatrice: „Was machst du? Lass mich raten. Sozialarbeiterin? Bibliothekarin?“ Fast. Claire arbeitet als Hebamme, die Tendenz stimmt: stummer Dienst am Nächsten. Beatrice dagegen leistete ihr Leben lang aufopfernden Dienst an sich selbst.
Das französische Kino mag solche Gegensätze. Es steckt viel Witz und Wahrheit darin, selbst wenn durchaus vorhersehbar ist, was kommen wird. Die Ich-Sagerin entdeckt das Du-Sagen, und die Inhaftierte in sich selbst erhält wieder Ausgang. Genauso wird es auch kommen, und dabei doch ganz anders, auf vorhersehbare Weise unvorhersehbar.
Denn der kritische Punkt in der Biografie eines jeden Lebemannes, einer jeden Lebefrau, ist das Alter, genau gesagt: der Tod. Beatrice hat einen Tumor unter der Schädeldecke, den sie ignoriert, so gut sie kann. Aber nun braucht sie jemanden, der bei ihr bleibt. Und da dachte sie eben an Claire, diesen so rätselhaften, zur Graumäusigkeit neigenden Menschen, der ohnehin nur für andere lebt. Warum also nicht auch für sie? Immerhin gehörte sie einmal fast zur Familie. Natürlich lehnt Claire zunächst ab. Ihr Vater hat sich das Leben genommen, sie gibt Beatrice eine Mitschuld daran. Und diese Frau ahnte nicht einmal was davon.
Ja, es ist ein Duell. Catherine Deneuve und Catherine Frot setzen ihren ganzen darstellerischen Ehrgeiz in den Existenzbeweis ihrer Figuren. Nur die ewigen Kleinbürger des Lebens glauben, dass die Wahrheit grundsätzlich in der Mitte liege. Doch Beatrice und Claire haben keinerlei Talent zur Mitte, das macht sie so interessant. Und es wäre ganz und gar unsinnig, aus Claire eine Beatrice machen zu wollen. Oder umgekehrt. Eine Trivialkomödie hätte diesen Ansatz wohl gewählt, aber Provost geht einen anderen Weg.
Natürlich ist „Ein Kuss von Beatrice“ auch eine anthropologische Erkundung. Sind wir Nomaden der Freiheit oder doch mehr fürs Dableiben gemacht? Vielleicht sogar latent heimatsüchtig? Claire ist eine Dableiberin. Als die Entbindungsabteilung ihres Krankenhauses schließt, weigert sie sich, dem Ruf an eine große Geburtsklinik zu folgen, wo die Schwestern auftreten wie PR-Agentinnen und eine Hebamme nicht mehr Hebamme heißen darf. Ihre Stärke ist das Beharren.
Die heilende Kraft des Genusses
Und Beatrice? Die leichter leben, sterben die auch leichter? Auch Stil ist eine Stärke, und den hat sie. Sie lässt sich von einem Hirntumor nicht in ihrem Speiseplan beirren, auf dem Wein und Steak stehen. „Ich glaube an die heilende Kraft des Genusses“, erwidert sie auf Nachfragen Claires, die es dann doch nicht schafft, Beatrice sich selbst zu überlassen.
Aber nicht nur die Frauen und Claires Gartennachbar, der zunehmend über den Zaun in ihr Leben vordringt, bekommen ihre Auftritte. Auch der Tumor meldet sich zu Wort. Wenn er spricht, bricht der Ton ab. Vielleicht kann man den Einbruch der absoluten Kontingenz nicht besser zeigen. Gibt es das, eine Eleganz der letzten Wege, eine Horizontverschmelzung am Ende? Den eigenen Tod, nicht den der Ärzte? Dieser schöne, einfache Film lässt einen daran glauben.
In 11 Berliner Kinos, OmU: Cinema Paris, Filmrauschpalast, Hackesche Höfe
Kerstin Decker
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