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Der Kampf um literarische Anerkennung und die schwierige Freundschaft mit Simone de Beauvoir: Martin Provosts "Violette".
© dpa

Martin Provosts mitreißendes Biopic „Violette“: Schreiben gegen die Einsamkeit

Sie waren Freundinnen - die exzentrische Schriftstellerin Violette Leduc und Simone de Beauvoir, deren Unterstützung sie ihren Ruhm verdankte. Martin Provost hat die stürmische Beziehung nun als Biopic verfilmt.

Violette Leduc (Emmanuelle Devos) klopft bei ihren Stammkunden an, zaubert Leberpastete, Champagner oder Schokolade aus der Tasche und kassiert dicke Geldbündel, die sie abends sorgsam hinterm Bett verstaut. Die Frau in Seidenstrümpfen und taillierter Garderobe treibt im Großraum von Paris fleißig Schwarzmarktgeschäfte.

Auf den ersten Blick eine leicht ramponierte Dame du Monde, scheint sie am Zweiten Weltkrieg nur insofern interessiert, als er ihre – der Brecht’schen Courage nicht unähnliche – Handelstätigkeit berührt. Ihr scheinbar souveräner Realitätssinn kippt jedoch in peinlich aggressive Raserei, wenn der schwule Freund, mit dem sie die Notunterkunft teilt, vor ihrem Liebesverlangen flüchtet, Simone de Beauvoir sie kühl abblitzen lässt oder die Pariser Buchhändler ihr erstes Buch „L’Asphyxie“ partout ignorieren.

„Violette“, Martin Provosts fiktive Biografie Violette Leducs, konzentriert sich auf den Kampf der Exzentrikerin um literarische Anerkennung und, vor allem, auf die schwierige Freundschaft und Komplizenschaft mit Simone de Beauvoir. Von Leducs erstem Flop 1946 bis zum Roman-Hit „Die Bastardin“ 1965 verhalf sie dem Werk der Freundin zum Erfolg. Zeitlebens war Leducs Thema ausschließlich sie selbst und ihr Schicksal als ungeliebtes Kind.

Schreiben gegen Einsamkeit

1907 unehelich geboren, wuchs Violette bei der Großmutter auf. Von ihrer unterkühlten Mutter auf eine fatale Mischung aus kapriziöser Gefälligkeit und Abneigung gegen die Männer konditioniert, verliebte sie sich in eine Mitschülerin und eine Lehrerin, beides Gründe für ihren Rauswurf aus der Schule. Es folgten gescheiterte Ehen, eine blutige Abtreibung, bisexuelle Affären und das Trauma, hässlich, enervierend und ungeliebt zu sein. Nur das Schreiben, nachts im Bett bei Kerzenlicht, ließ Violette Leduc die Einsamkeit ertragen. Radikal egozentrisch wie alle autobiografischen Zeugnisse rechnet „L’Asphyxie“ mit der Mutter ab. Angespornt vom Lob der Beauvoir, in das Genet, Cocteau und andere einstimmten, schrieb die Autodidaktin weiter, in steter Angst vorm Liebesentzug durch die literarischen Mandarine.

Bei Recherchen zu seinem vorangegangenen Film „Séraphine“ verliebte sich der Regisseur in die vitale kreative Kraft der Leduc. Beide, die Malerin und die Schriftstellerin, wurden in der patriarchalisch dominierten Kunstszene des 20. Jahrhunderts zu Außenseiterinnen gestempelt. Ohne die Lotsenhilfe der Beauvoir, einer Ikone der Pariser Verlagswelt, wäre Leduc verloren gewesen.

Die Begegnung zweier gegensätzlicher Frauen

Provost konzentriert sein mitreißendes Porträt auf die Begegnung der gegensätzlichen Frauen, schildert die Gefühlstumulte, die die strengen künstlerischen Maßstäbe der Beauvoir in der liebeshungrigen Freundin auslösen, auch ihre Bitterkeit, als sie durchschaut, dass der Scheck, den ihr der Verlag monatlich schickt, tatsächlich von Beauvoir gedeckt wird. Sandrine Kiberlain verkörpert sie als formvollendete Königin, deren Hofleute in der französischen Nachkriegsszene weitgehend ausgeblendet bleiben. Beauvoirs mächtiger Freund Jean Paul Sartre ist – eine Pointe der Dramaturgie – in dieser fordernden und fördernden Frauenfreundschaft nicht vorhanden. In allmählich sich aufhellenden Bildern und Violettes Rückzug in die Schreib-Einsamkeit deutet der Film an, dass seine Heldin sich auch aus der Bindung an Beauvoir emanzipiert.
Cinemaxx, FaF, Hackesche Höfe, Kant, Yorck; OmU: Cinema Paris und Rollberg

Claudia Lenssen

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