Berlins Museums-Rochade: Entdeckung der Langsamkeit: Zur Zukunft der Sammlung Pietzsch
Was wird aus der Sammlung Pietzsch? Wo findet sie ihren Platz? Eine Machbarkeitsstudie könnte darüber Aufschluss geben. Doch die Staatlichen Museen halten sie zurück. Dabei drängt die Zeit.
„Die Erschütterung der Sinne“ heißt die schöne Ausstellung, mit der Ulrich Bischoff in Dresden dieser Tage seinen Abschied als Direktor der Galerie Neue Meister genommen hat. Eine kleine Erschütterung bescherte der scheidende Museumsmann damit auch Berlin, denn zu den zentralen Werken, die er in seiner letzten Vorstellung im Albertinum präsentierte, gehört auch ein Werk der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, jener Kollektion surrealistischer Werke, die die Berliner Kunstwelt seit einem Jahr in Atem hält.
Überraschend hatte Kulturstaatsminister Bernd Neumann kurz vor den parlamentarischen Ferien 2012 bei den Haushältern 10 Millionen Euro für den Umbau der Gemäldegalerie zu einer Galerie des 20. Jahrhunderts lockergemacht, in der auch die Schätze des Sammler-Ehepaars Platz finden sollen. Es folgte ein Aufschrei des Protests, getragen von der Befürchtung, dass die Alten Meister vor ihrem Umzug von der Gemäldegalerie auf die Museumsinsel womöglich auf Jahre ins Depot verbannt würden. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz tat sich mit ihrer desaströsen Öffentlichkeitspolitik keinen Gefallen: Erst allmählich gelang es ihr, die im Masterplan avisierte Neugestaltung der Berliner Museumslandschaft zu kommunizieren, die mehr Platz und eine intelligentere Präsentation für alle vorsieht, für die Kunst der Moderne wie für die Alten Meister.
Das in Dresden gezeigte Gemälde aus der Sammlung Pietzsch stammt vom Zentralgestirn der Kollektion, von Max Ernst und heißt „Junger Mann beunruhigt durch den Flug einer nicht-euklidischen Fliege“ (1947/1949). Zu sehen ist eine Maske, um die herum Flugbahnen getröpfelt sind. In gewisser Hinsicht benennt der Titel auch die gegenwärtige Verfassung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seitdem die Museumsrochade zur Debatte steht, herrscht Unruhe bei den Staatlichen Museen. Ideen schwirren durch den Raum. Eine Machbarkeitsstudie soll die Varianten berechnen: ein Neubau für die Alten Meister an der Museumsinsel oder für die Kunst der Moderne am Kulturforum.
Im September 2012 war die Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden, um endlich Klarheit darüber herzustellen, was für die Sammlungen sinnvoll, was finanziell möglich ist zwischen Kulturforum und Museumsinsel. Im Frühjahr sollten die Ergebnisse vorliegen, aber die Öffentlichkeit wurde vertröstet. Wird hier auf Zeit gespielt, um den nächsten Kulturstaatsminister nach der Bundestagswahl mit ins Boot zu nehmen? Als künftiger Vorsitzender des Stiftungsrats muss er – oder sie – das Ergebnis im Parlament vertreten und den Finanzausschuss des Bundestages überzeugen.
Mittlerweile liegt die Studie offenbar vor. Wurde man bislang bei Nachfragen von der Stiftung an das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung verwiesen, das die Studie erstellt hat, so wird man von dort nun wieder zur Stiftung geschickt. Deren Präsident Hermann Parzinger teilt mit, „nach unserer Auswertung der Berechnungen“ werde er gemeinsam mit dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Michael Eissenhauer, „noch in diesem Sommer über die Ergebnisse und unsere weiteren Vorstellungen ausführlich informieren“. Auch darüber, „welche Schlussfolgerungen wir aus der Studie und aus all den Diskussionen seit dem letzten Sommer ziehen“. Er kündigt ebenfalls an, eine konkrete Option – ob Neubau oder Umbauten – auf der nächsten Stiftungsratssitzung zu präsentieren. Die steht aber erst im Dezember auf dem Kalender.
Die Dresdner würden die Sammlung Pietzsch nur zu gerne aufnehmen
Eile scheint den Machern nicht geboten: Dabei wird es für Heiner und Ulla Pietzsch höchste Zeit, hatten sie doch schon im vergangenen Jahr damit gedroht, die dem Land übereigneten 120 Werke – vom Surrealismus bis hin zu Papierarbeiten des abstrakten Expressionismus – wieder zurückzuziehen. Die Dresdner würden ihre Sammlung nur zu gerne aufnehmen, die ständigen Verzögerungen in Berlin hatten die Hoffnungen in der Geburtsstadt des Unternehmers wieder geweckt. Erst jüngst hatte Heiner Pietzsch zwei Werke von Gotthard Graubner dem Albertinum vermacht. Doch Pietzsch weiß seine Sammlung in Berlin eigentlich am besseren Platz, hier würde sie eine Lücke füllen. Deshalb hat der heute 83-Jährige seine Schenkung an die Bedingung geknüpft, dass sie in eine noch zu gründende Galerie des 20. Jahrhunderts integriert wird.
Als langjähriger Schatzmeister des Vereins der Freunde der Neuen Nationalgalerie weiß er, wie es um die Platzverhältnisse im Mies-van-der-Rohe-Bau bestellt ist. Die Räumlichkeiten unter der gläsernen Halle reichen längst nicht aus, um die Kostbarkeiten des Hauses zu zeigen. Direktor Udo Kittelmann hat mit seinem Ausstellungskonzept den Druck sogar noch erhöht. Er präsentiert die Bestände der Moderne in einer Langzeit-Trilogie, also jeweils nur zu einem Drittel. Die Folge: Schon jetzt sind die größten Schätze, Grosz, Kirchner, Dix, Barnett Newmans Hauptwerk „Who is afraid of Red, Yellow and Blue?“ über lange Zeiträume nicht zu sehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Haus saniert werden muss und die Sammlung ab 2015 für mindestens drei Jahre komplett ins Depot geht. Die Pietzschens müssen sich weiter gedulden.
Eigentlich sollte die Platznot für die Neuen Meister ausgerechnet in Berlin, der in Deutschland wichtigsten Stadt für die Entwicklung der Moderne, eine Welle des Protests evozieren. Aber bekanntlich erregten sich nur die Freunde der Alten Meister. Deren Ängste konnten in Teilen zerstreut werden. Botticelli, Tizian, Rembrandt werden nicht verschwinden, damit die Moderne in die Gemäldegalerie einziehen kann. Eissenhauer wird nicht müde, das zu betonen. Sie verlassen nur dann ihren angestammten Platz, sollte ein neuer Standort gesichert sein.
Ein Kolloquium im Frühjahr im Bode- Museum versuchte zu klären, wie die Werke verteilt werden könnten: Malerei und Skulptur fortan vereint, die Kunst des Nordens und des Südens allerdings durch den Kupfergraben getrennt, der zwischen dem Bode-Museum und einem möglichen Neubau vis-à-vis verläuft? Die internationalen Experten sprachen sich für eine Zusammenschau von Malerei und Skulptur aus, da Plastik allein für das Publikum wenig Attraktivität besitzt, kombiniert mit Gemälden allerdings zur wechselseitigen Erhellung beiträgt. Während die Sammlungen in New York, London, Paris unverrückbar dastehen, hat Berlin die Chance zur Veränderung.
Präsident Parzinger gab schon im Frühjahr zu verstehen, man werde sich dem Diktum der Machbarkeitsstudie beugen, auch wenn die Stiftung einen Neubau für die Gemäldegalerie in Mitte favorisiert. Klar ist, diese große Lösung würde sehr viel teurer ausfallen als ein Neubau mit 2000 bis 3000 Quadratmetern mehr Nutzfläche für die Nationalgalerie auf der Brache vor dem Kulturforum an der Potsdamer Straße. Schließlich bleiben bei dieser Variante die Alten Meister unverändert an ihrem Platz. Die Entscheidung, so Parzinger damals, falle am Ende im Finanzministerium.
Noch ist die Studie nicht publik. Um wie viele Monate, Jahre sich dann die Entscheidungen im Stiftungsrat, im Finanzausschuss, bei Architekturwettbewerben und Auftragsvergaben verzögern, wie lange man auf einen Baubeginn wird warten müssen, ahnt man bereits. Optimisten sprechen von einer Eröffnung der Galerie des 20. Jahrhunderts in frühestens zehn Jahren. Schwer zu glauben, dass die Sammlung Pietzsch dann noch dazugehört.
Nicola Kuhn
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