Buch über Londoner Ausstellung: Mit Kunst gegen Hitler
Vor 80 Jahren wurde in London eine große Ausstellung deutscher Kunst der Moderne eröffnet – als Antwort auf die NS-Aktion „Entartete Kunst“.
Am 7. Juli 1938 wurde in London die Ausstellung „Twentieth Century German Art“ eröffnet. Sie versammelte knapp 300 Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, mithin nicht nur moderne, sondern zeitgenössische Kunst. Kein Museum hatte sich zu einer solchen Ausstellung bereitgefunden. Es waren die privaten New Burlington Galleries, die in ihren noblen Räumen im Kunsthandelsviertel der britischen Hauptstadt diese Übersicht zeigten, wie es sie in keiner anderen Stadt Europas zu sehen gab.
Die Ausstellung war als Antwort auf die Schandausstellung der Nazis, „Entartete Kunst“, gedacht, die genau ein Jahr zuvor in München eröffnet worden war, parallel zur ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“. Die Londoner Ausstellung war beinahe die einzige derartige Antwort, die die Verhöhnung der Moderne durch die braunen Machthaber im Ausland fand. Die Londoner Ausstellung war zunächst nur auf drei Wochen ausgelegt, blieb dann aber einen weiteren Monat lang geöffnet und hinterließ so als Protestruf der in ihrem Heimatland verfemten Künstler einen nachhaltigen Eindruck.
80 Jahre ist die Ausstellung her; ihre Bedeutung ist heute unbestritten. Ihr Zustandekommen wie ihr genaues Aussehen in den noblen Galerieräumen hingegen sind nur in Umrissen bekannt. Wenngleich sich die Forschungslage insbesondere durch die umfangreiche Berliner Ausstellung „Stationen der Moderne“ 1988 und den begleitenden Katalog deutlich gebessert hat, fehlte es bislang an einer exakten Chronologie der Ereignisse. Sie wird nun mit dem Buch „London 1938“ geliefert, das eine Kabinettausstellung von Dokumenten derzeit in der Londoner Wiener Library – einer Forschungsbibliothek zum Holocaust – begleitet und im Herbst zu einer Ausstellung von rund drei Dutzend der damals gezeigten Kunstwerke in der Berliner Liebermann-Villa am Wannsee aufliegen wird.
Zwei Kunsthändlerinnen hatten die Idee zur Ausstellung
Eine Ausstellung mit 300 Werken von 64 Künstlern zu zeigen, die – bis auf zwei – in Deutschland selbst als „entartet“ diffamiert wurden und deren Arbeiten aus allen Museen und öffentlichen Sammlungen entfernt worden waren, war ein außerordentlich schwieriges Unterfangen. In britischen Museen gab es fast keine deutsche Kunst der Gegenwart, die hätte ausgeliehen werden können. Insofern hat sich die jetzige, von Lucy Wasensteiner und Martin Faass geleitete Forschung insbesondere auf die Frage nach der Herkunft der damals gezeigten Arbeiten und den Verbindungen konzentriert, die ihre Ausleihe nach London ermöglichten.
Es waren zwei Kunsthändlerinnen, Noel Norton in London und Irmgard Burchard in Zürich, die 1937 unabhängig voneinander die Idee eine Protestausstellung gegen die Nazi-Aktion „Entartete Kunst“ entwickelten. Burchard, die über ihre Züricher Galerie verfemte deutsche Kunst, unter anderem von Paul Klee, verkaufte, traf in London mit Norton zusammen, woraufhin sie nunmehr gemeinsam das Projekt einer Ausstellung verfolgten, wie Lucy Wasensteiner aus dem in Moskau lagernden Nachlass des Kunstkritikers Paul Westheim rekonstruieren konnte. Westheim, Herausgeber und Hauptautor der maßgeblichen Weimarer Zeitschrift „Das Kunstblatt“, war 1933 nach Paris emigriert und hatte dort 1937 in Reaktion auf die „Entartete Kunst“ den Deutschen Künstlerbund als Vereinigung der verfolgten Künstler gegründet. Auch der Künstlerbund wollte eine Ausstellung organisieren; Norton und Burchard erfuhren davon und gewannen Westheim zur Mitarbeit.
Die allerdings gestaltete sich schwierig; auch davon berichtet das vorliegende Buch. Die Rücksichtnahme, die die Londoner gegenüber Nazi-Deutschland glaubten üben zu sollen, später dann die Bedenken des für den Erfolg der Ausstellung wichtigen englischen Kunsthistorikers Herbert Read, die Ausstellung könne Vorurteile der britischen Öffentlichkeit gegen Immigranten und Juden schüren, verärgerten Westheim, der seine Mitarbeit aufkündigte, dies wieder zurücknahm und sich schließlich endgültig zurückzog. In Paris organisierte Westheim mit dem Künstlerbund später eine eigene Protestausstellung, die anders als das Londoner Unternehmen heute weitgehend vergessen ist.
Die Eröffnung der Schau war ein Ereignis
Was die Londoner Ausstellung deutlich macht, ist, dass es 1938 noch möglich war, quer durch Europa zu reisen und Kunstwerke zu verleihen. Durch Irmgard Burchards Vermittlung beteiligten sich etliche Schweizer Privatsammler mit Leihgaben; anderes kam aus Exilorten, so aus Paris das große Triptychon „Die Versuchung“ (1936/37) von Max Beckmann, das dessen Sammler und Förderer Stephan Lackner zur Verfügung stellte. Werke von Wassili Kandinsky vermittelte Peggy Guggenheim, die damals eine Galerie in London unterhielt und mit Norton bekannt war. Besonders zahlreich waren die Leihgaben von Nell Walden, der in der Schweiz lebenden Ex-Ehefrau des Berliner Galeristen Herwarth Walden, die allein 39 Arbeiten beisteuerte.
In Nortons Galerie hätte die Ausstellung stattfinden sollen. Doch die Galeristin, mit einem britischen Diplomaten verheiratet, musste kurzfristig London verlassen und fiel damit aus. Jetzt kam der angesehene Herbert Read ins Spiel. Er fand sich bereit, als „Vorsitzender des Organisationskomitees“ zu fungieren, und über ihn kam der Kontakt zu den New Burlington Galleries zustande, wo er selbst Ausstellungen betreut hatte. Read schrieb die Einleitung zum (unbebilderten) Katalog. Er war es auch, der die Schirmherrenschaft der geplanten Ausstellung unter anderem durch den Direktor der National Gallery, Kenneth Clark, sicherte. Auf dem leuchtend gelben Ausstellungsplakat wurden die Namen prominent vermerkt; in der Mitte aber prangte die Abbildung der „Großen Blauen Pferde“ (1911) von Franz Marc, einem der am stärksten vertretenen Künstler.
Zumindest die Eröffnung war ein Ereignis; die Londoner Presse berichtete von heftigem Publikumsandrang. Die Reaktion auf die Kunst fiel durchweg freundlich aus. Aus heutiger Sicht waren, neben Größen der Malerei der Zwischenkriegszeit wie Otto Dix oder George Grosz, manch zweitrangige Künstler vertreten. Einer genoss sogar die Fürsprache des NS-Regimes: Georg Kolbe, der freilich mit einer Büste des jüdischen Kunsthändlers Paul Cassirer vertreten war, noch dazu aus dem Besitz des emigrierten jüdischen Bankiers Hugo Simon.
Die Londoner Schau war als Verkaufsausstellung angelegt; die darin gesetzten Hoffnungen erfüllten sich allerdings nicht. Lediglich der Ankauf von Max Liebermanns Einstein-Porträt für die ehrwürdige Royal Society stach neben ein paar Grafik-Käufen heraus. Dass die Ausstellung laut Wassensteiner „Tausende“ in die Galerieräume zog, hätte man allerdings gerne belegt gefunden, und die Feststellung, diese hätten sich „größtenteils beeindruckt“ gezeigt, ist Spekulation. Belegt hingegen ist die wutschnaubende Reaktion der Nazis. In mehreren Zeitungsartikeln wurde gegen die – Zitat – „Entartete Ausstellung in London“ gehetzt.
Beckmann war stolz, sein Triptychon in der Ausstellung zu sehen
Max Beckmann, der damals bereits im Amsterdamer Exil lebte, kam mit seinem Sammler Stephan Lackner von Paris herüber und war stolz, sein Triptychon als Hauptwerk der Ausstellung präsentiert zu sehen. Über Beckmanns Besuch ist im vorliegenden Buch merkwürdigerweise nichts zu lesen. Dabei hielt er am 21. Juli, zwei Wochen nach Eröffnung, den Vortrag „Meine Theorie der Malerei“, eine der raren öffentlichen Äußerungen des Künstlers. Zudem gab es – dies hingegen breit im Buch behandelt – ein „Festival of German Music“ in den Räumen der Galerie, mit gleichfalls verfemter Musik etwa von Kurt Weill.
Die gezeigten Kunstwerke sind heute überwiegend in Museumssammlungen zu finden, Marcs „Blaue Pferde“ beispielsweise in den USA. Beckmanns Triptychon hingegen wurde, als Lackner es nach Jahrzehnten veräußerte, von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München erworben und hing dann jahrelang in deren Staatsgalerie Moderner Kunst. Die war, Ironie der Geschichte, bis zum Bau eines eigenen Gebäudes untergebracht in Hitlers vormaligem „Haus der Deutschen Kunst“.
Lucy Wasensteiner, Martin Faass (Hrsg.): London 1938. Defending ,degenerate‘ art. Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler. Nimbus Books, Wädenswil/CH 2018. 264 S., engl./dt., 29,80 €.