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Jochen Kowalski als Nutrice und Katharina Kammerloher in der Rolle Ottavias haben Probleme mit der Akustik in der wiedereröffneten Staatsoper.
© Bernd Uhlig

Eröffnung Staatsoper: Elementare Einsamkeit

Mit Eva-Maria Höckmayrs „Poppea“–Inszenierung enden die Eröffnungsfeiern an der Staatsoper.

Zum Theater gehört von jeher der Impresario, dem es gelingt, gesuchte Künstler zu umgarnen, zahlendes Publikum zu binden und sich vermögender Gönner zu versichern. Lediglich mit der Billet-Kasse durchzubrennen, ist an den Staatsbühnen von heute ein bisschen schwieriger geworden. Jürgen Flimm verkörpert gerne den Hausherrn alten Schlags, und er genießt seine letzten großen Auftritte bei der Wiedereröffnung der Staatsoper, bevor er im Frühjahr seinen Platz ganz frei macht für Matthias Schulz.

Es ist die zweite Premiere an diesem lang erwarteten Staatsopern-Wochenende, Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ in der Regie von Eva-Maria Höckmayr. Der Gegenstand von Flimms launiger Ansprache hängt über den Köpfen des Publikums. Der gewaltige Kronleuchter im Zuschauerraum mit seiner des Nachhalls wegen angehobenen Decke will einfach nicht gänzlich verlöschen. So wie Flimm sich in seinen Dialog mit dem Beleuchtungskörper hineindreht, könnte man den Eindruck bekommen, hier spreche einer mit sich selbst. Der Kronleuchter leistet Widerstand, entzieht sich dem Diktat der neuerbauten Bühnentechnik – und taucht das Parkett den ganzen Abend in ein seltsames Zwielicht.

Kluft zwischen Bühne und Publikum

Die divergierenden Lichttemperaturen verstärken die Kluft, die sich in dem kleinen Opernhaus, das ehemals als intim galt, zwischen Bühne und Publikum auftut. Doch die Proportionen haben sich nachhaltig verschoben, und die Wege wirken weit, besonders, wenn die Bühne im Grunde genommen leer bleibt. Die Spielfläche für Monteverdis letzte Oper, genau 100 Jahre vor Einweihung der Staatsoper 1642 uraufgeführt, ist ein steil ansteigendes Band. Unangenehm für das Stehvermögen der Darsteller, ermöglicht es den Zuschauern aber, was die Rekonstruktion des Saals unterließ: eine bessere Sicht vom Parkett aus.

Nur gibt es nicht viel zu sehen. Der Boden ist beschmutzt, es scheint sich um halbherzig entfernte Blutlachen zu handeln. Bevor die Sänger in Richtung St.-Hedwigs-Kathedrale entschwinden können, wölbt sich der Boden jäh zu einer Wand empor, gegen die man in Verzweiflung anspringen kann. Diese Möglichkeit der Selbstverletzung zieht aber niemand ernsthaft in Betracht. Herbert Fritsch würde toben angesichts einer solchen frei von jedem Theatersinn aufwändig verbauten Gelegenheit.

Universelle Schönheit und Tiefe

Über den Sängerinnen und Sängern die leere Oberbühne, neben ihnen die leeren Seitenbühnen: eine Szenerie elementarer Einsamkeit. Leider auch akustisch, weil Musik ohne einen definierten Raum nicht zum Klingen kommen kann. Das gilt umso mehr für Monteverdis feingliedriges, fragiles Instrumentarium, für seine Stimmen, egal, ob sie aus Instrumenten aufsteigen oder aus Kehlen. Weil inszenatorisch keinerlei Fokussierung angestrebt wird, klingt diese „Poppea“ offenbar auf allen Plätzen extrem unterschiedlich – und nirgendwo in lebendiger Balance. Unerklärlich, wie man an der Staatsoper für einen mal schmierig schimmernden, mal goldgleißenden Spielflächenkeil alle Gesetze der Akustik zu opfern bereit ist. Da kann die Nachhallgalerie den Darstellern auch nicht mehr helfen – und noch nicht einmal ein beherzter Dirigent wie Diego Fasolis. Ein Musikforscher, ein Klangkreativer, wie es ihn für diese Musik braucht, deren Notentext rudimentär ist, die aber universelle Schönheit und Tiefe vereint.

Fasolis steht einem italienisch-preußischen Orchester vor, zusammengestellt aus der Akademie für Alte Musik Berlin und Musikern seines Barockensembles I Barocchisti, das er seit 1998 leitet. Mit ihm hat Fasolis schon Kompositionen der Vergessenheit entrissen, die weit weniger Substanz aufweist als Monteverdi, und sich an der Seite von Cecilia Bartoli in aufwühlende Klangerkundungen gestürzt. In der Staatsoper betont der Dirigent das theatralische Moment mit wuchtigen Auftakten, Schlagwerkakzenten und einer Diktion, die den Sängern einen deklamatorischen Stil nahelegt.

Skrupellose Verführungskunst

Während bei John Eliot Gardiners „Poppea“-Gastspiel beim Musikfest alles fließen durfte und zugleich persönlich ungemein artikuliert klang, kommen an der Staatsoper die Sänger nicht dazu, wirklich berührend mit ihrer Partie zu verwachsen. In dieser prekären Lage zeigt sich die überragende musikalische Phantasie von Anna Prohaska in der Titelrolle, der es gelingt, den einzigen klingenden Menschen auf die Bühne zu bringen: eine Frau, die hör- und sichtbar Spaß daran findet, auf Verführung und Skrupellosigkeit zu setzen.

Dass gerade sie am Ende nach dem Willen der Regie Gewissenbisse einholen sollen, ist aus musikalischer Sicht eine Bankrotterklärung. Max Emanuel Cencic bringt als Nerone wenig eigene Impulse ein, sein Widersacher Ottone wirkt in der Verkörperung von Xavier Sabata überwiegend stumpf. Mit abgründiger Lust gestaltet Mark Milhofer die Partie von Poppeas Amme Arnalta, Evelin Novak ist als schwärmerische Drusilla passend besetzt, das Charakterbild Senecas durch Franz-Josef Selig bleibt blass. Das ist zu wenig Individualität und Klasse für einen langen Musiktheaterabend, zu dessen Gelingen die Regisseurin außer der Idee, dass niemand den Raum verlassen darf, nichts beitragen konnte.

Schummeriges Rampenlicht

Was sind also die Erkenntnisse nach diesem Wiedereröffnungsdouble? Dass hier ein Befreiungsschlag nicht gelingen konnte, weder theaterästhetisch noch bühnentechnisch. Die Regisseure, ob Altmeister Achim Freyer oder die als Theaterhoffnung gehandelte Eva-Maria Höckmayr, finden am neuen alten Haus zu keiner künstlerischen Stringenz. Wer immer sie auf ihrem Weg begleitet hat, konnte ihnen offensichtlich nicht helfen. Und der widerspenstige Kronleuchter scheint ein Symptom dafür zu sein, dass hinter den Kulissen lange noch kein Regelbetrieb einkehren wird. Schenkt man Gesprächen auf der Premierenfeier Glauben, steht in den Theatersternen, ob die Staatsoper alle geplanten Wiederaufnahmen in vollem technischem Umfang auf ihre Hightech-Bühne wird wuchten können. Das Haus liegt wieder im Rampenlicht – und zeigt an, dass seine Geister nun umfassend neu geweckt sein wollen.

Weitere Aufführungen am 13. Dezember sowie am 8., 12. und 14. Juli

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