"Emma und Eginhard" an der Staatsoper: Liebesstricke und Neidkrater
Leibeslust allein hilft auch nicht weiter: René Jacobs und die Akademie für Alte Musik bringen an der Staatsoper Telemanns „Emma und Eginhard“ auf die Bühne.
Wenn man sich anschaut, welche Krisen in Europa derzeit nahezu ungehindert wüten können, dann wäre es eigentlich höchste Zeit für seinen Auftritt: Der Sage nach schlummert Karl der Große seit Jahrhunderten im Innern eines Bergs und wird erwachen, wenn es gilt, das einst von ihm geeinte Reich zu retten, dessen Erben wir alle sind. Was wartet er also noch!
In der Staatsoper im Schiller Theater taucht Kaiser Karl jetzt wieder auf, als vage Hoffnung unserer Tage und Kriegsheimkehrer in Georg Philipp Telemanns Oper „Emma und Eginhard oder die Last-tragende Liebe“. Nach langer und, wie es aussieht, erfolgloser Verhandlung erscheint er einem desillusionierten Entscheidungsträger von heute, auf dessen Dienstkaminsims die blaue Fahne mit den goldenen Sternen steht. Wir sehen die Dokumentenmappen geschlossen und alle Fragen offen, dazu flackert ein Fernseher. Und wir sehen den starren Blick eines Mannes, der ohne seinen Prachtumhang und die Kaiserkrone wie ein Eremit wirkt, fremd geworden in der eigenen Hofwelt, die er in den vergangenen 33 Jahren Krieg immer wieder verlassen musste.
„Die Waffen an die Wände / vom Streiten müde Hände. / Weil uns der Frieden nun ergötzt.“ Mit großer Pracht entfaltet sich Telemanns Eröffnungschor, doch wirklich ergötzlich läuft die Rückkehr der siegreichen Krieger nicht ab. Die Kaiserin stellt ein gestanztes Gattenlob gleich einer Mauer in den Saal und nimmt danach keinen Kontakt mehr zu Karl auf. Auch seine Tochter Emma scheint anderes im Kopf zu haben, weil das plötzliche Angebot an Männern den Hof zu Aachen vor Schwierigkeiten stellt. Im besten Falle führt das zu kurzen Erwägungen über das Wesen der Liebe, deren vor allem körperliche Unausweichlichkeit hier nicht einmal die Kirche infrage stellt. Aber auch Frust und Hass bahnen sich im neuen Frieden ihren Weg und finden aus Sicht den Adels gleich ein Ziel: Eginhard, dem als Bürgerlichem der Aufstieg bis zum engsten Vertrauten der Kaisers gelang.
Die Liebenden trotzen den Standesgrenzen
Die Falle ist also mit Liebesstricken und Neidkratern wohlpräpariert. Das Erstaunliche aber ist: Emma und Eginhard tappen sehenden Auges hinein, geben ihr Leben notfalls dran – und tun auch noch so, als könnten sie ermessen, was das eigentlich bedeutet. Während die Briefe der Verliebten über die Drehbühne flattern, träumt General Alvo von den Zeiten, als er noch Schädel spalten und Glieder zerteilen konnten, dazu rauben und brennen. Der Frieden hat nur wenige Mitspieler – und gar keine Regeln. Und erschlafft in den Kulissen hängende Statisten suggerieren, dass Leibeslust allein da auch nicht weiterhilft. Schließlich schneit der gesamte Hofstaat herein und reagiert entsprechend eisig auf Emma und Eginhard, die Standesgrenzen zum Trotz vom Briefeschreiben ins Bett gewechselt sind. „Vermutlich werden sie kein Pater noster beten“, weiß Zofe Barbara. Und Karl, der als gerechter Herrscher gefeiert wurde, will in der furiosen Rache-Arie plötzlich nur noch eines: den Tod der Liebenden.
Zum dritten Mal nach „Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe“ und „Der geduldige Sokrates“ bringt René Jacobs eine Oper Telemanns auf die Staatsopernbühne. Mit „Emma und Eginhard“ hat er sich ein besonderes Werk ausgesucht, der Komponist schuf es zum 50. Geburtstag der Hamburger Oper am Gänsemarkt. Das bürgerliche Haus fasste 2000 Besucher, kannte keinen Vergleich in deutschen Landen und kämpfte von jeher mit dem finanziellen Ruin. Telemann, der ein unfassbar produktiver Autor war, vermochte sich als findiger Opernchef viele Jahre gegen den Untergang zu stemmen. Für das wegen seiner „Sau-Moral“ als „Satans-Capelle“ geziehene Theater entwickelte er einen Stil, der alles mit allem verband: unterschiedlichste musikalische Moden ebenso wie – dank einer gewieften Dramaturgie – die Posse mit dem Drama und Prachtentfaltung mit Gesellschaftskritik. Während Jugendfreund Händel in London noch mit der italienischen Opera seria reüssierte, gelang Telemann eine genuine Hamburger Mischung.
Durchlässigkeit der Jahrhunderte ist gewünscht
Diese heute sinnfällig auf die Bühne zu bringen, ist nicht leicht. Deshalb kann man es der jungen Regisseurin Eva-Maria Höckmayr auch nicht verübeln, dass sie im Schiller Theater Beistand beim Karlsmythos sucht und dabei die europäische Jetztzeit zumindest sacht touchiert. Für ihr Bühnenspiel schwebt ihr eine Durchlässigkeit durch die Jahrhunderte vor, weshalb die Kostüme (Julia Rösler) beständig wechselnd auf mindestens ein halbes Dutzend Zeitebenen verweisen. Das ist gut gemeint, verliert aber rasch an Prägnanz, um fortan lediglich als Fleißarbeit der Ankleider ins Auge zu fallen. Auch die Drehbühne wird viel und meist mit logistischer Virtuosität in Gang gesetzt. Unübersehbar hat Höckmayr bei Claus Guth assistiert, bei dem die Szene oft meisterlich rotiert und der mit seiner Zürcher Inszenierung von Händels „Radamisto“ einst zeigen konnte, wie musikalisch und nervenzerfetzend aufregend Theatermaschinerie sein kann. So weit kommt es bei „Emma und Eginhard“ nicht. Auch wenn unsere Blicke immer wieder auf die Rückseite der Kulisse fallen (Bühne: Nina von Essen), dringen sie doch nicht in die Figuren. Und so zieht sich der knapp vierstündige Abend.
Dennoch gibt es wieder ausreichend Grund, der Staatskapelle und Daniel Barenboim weiterhin erfolgreiche Gastspielreisen zu wünschen. René Jacobs und die Akademie für Alte Musik übernehmen einmal mehr glorios den Orchestergraben. Ihr Telemann-Klang hat einen schönen Drang nach vorne und glänzt dabei silbrig, die Akademisten stürzen sich mit Lust in halsbrecherische Corno-da-caccia-Attacken und gurrende Flauto-d'amore-Flirts. Nichts scheint dabei jemals aus dem Senklot der Perfektion zu geraten. Beinahe sehnt man sich nach etwas rauem Küstenatem.
Das Herz des Abends aber schlägt in Robin Johannsen, die der Emma ein unentrinnbares Erröten schenkt. Der amerikanischen Sopranistin gelingt zudem der seelenvollste Umgang mit dem deutschen Textbuch von Christoph Gottlieb Wend, das reichlich Stolpersteine birgt. Ihr Eginhard (Nikolay Borchev) singt sich im Laufe des Abends ins Freie hinaus, zu einem feinen Liebes-ABC und dem euphorisierten Wettstreit darüber, wer für wen sterben wolle. Die Bühnenschneeberge bringt das nicht zum Schmelzen. Dafür bräuchte es viele heiße Herzen. Womit wir wieder beim Anfang wären.
Staatsoper im Schiller Theater, wieder am 29.4. sowie am 2., 8. und 10.5.