Nach der Sanierung: Berliner Staatsoper nimmt endlich den normalen Betrieb auf
Vor 275 Jahren wurde das Opernhaus Unter den Linden eingeweiht. Mit dem Geburtstagskonzert wird das sanierte Gebäude heute offiziell wiedereröffnet.
Wie bitte? 3000 Euro kosten die Tickets am 7. Dezember? Ja, sind die denn völlig übergeschnappt! Zum Glück ist hier nicht vom Festkonzert zum heutigen 275. Jahrestag der Einweihung der Berliner Staatsoper, sondern von der Mailänder Scala. Der Zufall will es, dass die dortige serata d’inaugurazione, der Start in die Spielzeit also, auf denselben Tag fällt wie das Jubiläum des Berliner Musentempels. Während das Datum bei uns allerdings normalerweise unbeachtet vorüberzieht, wird in der norditalienischen Metropole jedes Mal groß gefeiert. Weil der 7. Dezember der Tag des Stadtheiligen Sankt Ambrosius ist, der im 1. Jahrhundert Bischof von Mailand war und als einer der Kirchenväter der Spätantike verehrt wird.
Das Spektakel am Tag von Sant’Ambrogio ist mit Abstand das Dekadenteste, was der internationale Musiktheaterzirkus zu bieten hat. Mailand ist im Ausnahmezustand, berittene Polizei paradiert vor dem Opernhaus, linke Aktivisten demonstrieren für soziale Gerechtigkeit, Paparazzi lauern auf Prominente – denn jeder, der in Italien Rang und Namen hat, will beim größten gesellschaftlichen Ereignis der Saison dabei sein. Daher kann das Opernhaus an diesem Tag für die Tickets verlangen, was es will. Noch auf den allerschlechtesten Plätzen, ganz hinten im obersten Rang, ganz an der Seite, wo man fast nichts sehen kann von der Bühne, werden in der Scala am 7. Dezember 120 Euro aufgerufen. Solche Plätze gibt es auch in Berlin Unter den Linden. Nur kosten sie selbst beim heutigen Festkonzert lediglich 20 Euro. Und die besten Sitze im Parkett waren für 150 Euro zu haben.
Jetzt geht es endlich richtig los
In Italien mag die Oper erfunden worden sein, doch die Kunstform hat es sich dort schon lange in der Elite-Nische bequem gemacht. Das wahre Musiktheater-Paradies hingegen ist Deutschland. Nirgendwo sonst auf der Welt ist das Angebot so immens, nirgendwo sonst wird das Versprechen einer Zugänglichkeit für jedermann so konsequent eingelöst, dank großzügiger staatlicher Subventionen. Kultur für alle ist hier keine Hohlformel, selbst bei Gala-Abenden wie an diesem Donnerstag, wenn mit dem Auftritt von Daniel Barenboim und seiner Staatskapelle – die übrigens 2020 ihr 450. Gründungsjubiläum feiern kann – der Regelbetrieb in der generalsanierten Staatsoper endlich zum zweiten Mal startet.
Nach dem kurzen „Präludium“ Anfang Oktober war das Haus ja nochmals für zwei Monate geschlossen worden, um Restarbeiten ausführen zu können. Diese Zusatzzeit war auch nötig. Weniger im Zuschauerbereich, da fehlten nur noch ein paar Fußleisten, waren letzte Wandflächen zu streichen und frei hängende Kabel mit Lampen zu verbinden. Dort aber, wo die Künstler sich bewegen, wurde intensiv weiter gewerkelt. Und dort bleibt auch jetzt noch viel zu tun, nachdem die Bauarbeiter das Gebäude wieder an die Theaterleute übergeben haben.
Entgegen allen Unkenrufen und Befürchtungen, das Haus würde auch zum zweiten Termin nicht fertig, konnte die wichtige Übergabe in der vergangenen Woche tatsächlich vollzogen werden. Unter Auflagen zwar, denn die deutsche Bürokratie genießt ihren Weltruf nicht umsonst. Aber der Weg für die Kunst ist jetzt frei. Und doch werden den Bühnenarbeitern die Schweißperlen auf der Stirn stehen, am Freitag bei der Premiere von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und tags darauf bei der von Claudio Monteverdis „Krönung der Poppea“. Denn die größten Veränderungen betreffen den Bereich der Szene. Mag die Neo-Rokoko-Ausstattung im Zuschauerraum wieder so erstrahlen wie 1955, hinter dem Eisernen Vorhang wurde alles radikal erneuert. Statt Muskelkraft beim Bewegen der Dekorationen ist jetzt Hightech-Know-how gefragt.
Gestandene Männer, die es seit Jahrzehnten gewohnt sind, mit den Unzulänglichkeiten der alten Technik zurecht zu kommen, müssen ihren Job jetzt quasi neu lernen. Eine echte Herausforderung. Und Grund genug für Nachsicht aufseiten der Zuschauer, sollte nicht alles auf Anhieb reibungslos klappen.
Einmal brannte das Haus ab, zweimal wurde es zerbombt
1742 allerdings, bei der Einweihung des klassizistischen Musentempels waren die Verhältnisse wesentlich chaotischer. Kaum hatte Friedrich II. den Thron bestiegen, beauftragte er den Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff mit dem Bau eines Hoftheaters. Bei der Grundsteinlegung konnte der König dann allerdings nicht anwesend sein, weil er gerade in Schlesien Krieg führte. Der ging siegreich für die Preußen aus, die Arbeiten Unter den Linden dagegen zogen sich länger hin als erwartet.
Als die Geduld des musikliebenden Monarchen erschöpft war, befahl er einfach die Eröffnung: Es gab nur Holzbänke, überall standen Gerüste, vieles befand sich noch im Rohbau, als die erste Vorstellung über die Bühne ging.
Sieben weitere Male fanden seitdem Unter den Linden festliche Eröffnungen statt: Zunächst im Oktober 1743, als das „Zauberschloss“, wie Friedrich schwärmte, tatsächlich fertig war. Dann 1788 nach Umbauarbeiten, die sein Nachfolger angeordnet hatte. Im August 1843 brannte das Gebäude völlig aus, doch schon 16 Monate später konnte Generalmusikdirektor Giacomo Meyerbeer erneut den Taktstock heben, in einem Haus, das nun vier Ränge und 1700 Sitzplätze hatte.
Beim nächsten Umbau 1928 ging es vor allem darum, die Technik zu modernisieren. In der Nach vom 9. auf den 10. April 1941 zerstörten dann alliierte Bomben das Haus. Hitler persönlich erteilte den Befehl zum Wiederaufbau. Keine drei Jahre lang allerdings sollte in der fünften Staatsopern- Hülle gespielt werden, dann sank das Haus erneut in Schutt und Asche.
In der jungen DDR gab es Pläne, mit einer neuen, modernen Oper ein Zeichen zu setzen – doch der Dirigent Erich Kleiber, der schon vor dem Krieg Musikchef des Hauses gewesen war und den man gerne wiederhaben wollte, erwirkte die Rekonstruktion in Knobelsdorffschen Proportionen. Sein Amt trat er 1955 dann allerdings doch nicht an. Seine offizielle Begründung: weil die Behörden sich weigerten, den Schriftzug „Fridericus Rex Apollini et Musis“ wieder am Giebel anzubringen. Tatsächlich war dem Maestro aber wohl klar geworden, dass an ein von der Politik unabhängiges Arbeiten in Ost-Berlin nicht zu denken war.
Die letzte Wiedereröffnung fand schließlich 1986 statt, nach einer dreijährigen Renovierungsperiode mit Fassadenreinigung, Austausch von Stoffen im Zuschauerraum und Verbesserungen in den Bereichen der künstlerischen Belegschaft. Gleichzeitig kehrte auch Friedrichs lateinische Widmung wieder an ihren angestammten Platz zurück, dorthin, wo zwischenzeitlich neutral „Deutsche Staatsoper“ gestanden hatte.
Ein prächtiges Buch feiert das Jubiläum
All das hat der unerhört fleißige Dramaturg Detlef Giese für ein Jubiläumsbuch zusammengetragen, das unter dem Titel „Diese kostbaren Augenblicke“ im Carl Hanser Verlag erscheint. So mancher interessante Aufsatz ist da zu finden, zu „Frauen in der Oper“, zu Karl Friedrich Schinkel als Bühnenbildner oder auch zu „Daniel Barenboims Ahnen“. Im historisch-chronologischen Teil erfährt man, dass Achim Freyer, Regisseur und Ausstatter der „Hänsel und Gretel“-Neuproduktion, dem Haus seit 1968 verbunden ist. Damals entwarf er das Bühnenbild für Ruth Berghaus’ „Barbier von Sevilla“ – die Inszenierung ist immer noch im Repertoire. Monteverdis „Krönung der Poppea“ wiederum, die nun unter Regie von Eva-Maria Höckmayr herauskommt, ist eine der ältesten erhaltenen Opern überhaupt und war an der Staatsoper erstmals 1957 zu erleben, im Apollosaal. Nach der Doppelpremiere sind in den 22 verbleibenden Dezembertagen 20 Aufführungen geplant, auch Wiederaufnahmen der „Zauberflöte“ und von „La Bohème“.
Wenn das Staatsopern-Team bei dieser rasanten Rückeroberung des Hauses eine Maxime des alten Fritz beherzigt, wird es schon klappen: „Ich bereite mich auf jedes Ereignis, das da kommen könnte, vor. Mag das Glück mir günstig sein oder ungünstig, das soll mich weder mutlos machen noch übermütig.“
Das RBB Kulturradio überträgt das Konzert an diesem Donnerstag als Livestream aus der Staatsoper ab 19.30 Uhr. Arte zeigt ab 22.10 Uhr die Eröffnungspremiere der Mailänder Scala, mit Anna Netrebko in Umberto Giordanos „Andrea Chenier“.