Börne-Preis für Rüdiger Safranski: Einmischer und Apokalyptiker
Seltsame Ehrung: Rüdiger Safranski bekommt den Ludwig-Börne-Preis, weil er sich "in aktuelle Diskussionen" einmischt. Zuletzt tat er das, als er sagte, Kanzlerin Merkel wollen Deutschland mit Flüchtlingen "fluten". Texte dazu gibt es nicht von ihm.
Früher gehörte das Einmischen zu den Kernkompetenzen der Linksintellektuellen. In den Zeiten von Nachrüstung, Atomkraft und Deutschem Herbst waren es Schriftsteller und Künstler wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Klaus Staeck, die zuverlässig zur Stelle waren, wenn es galt, Einspruch zu erheben. Den Typus des engagierten Denkers, der sich nicht „aufs Positive, aufs Jasagen, auf die Bestätigung herrschender Verhältnisse“ (Grass) reduzieren lassen möchte, gibt es jetzt wieder. Nur steht er diesmal im Zweifel rechts.
Kritiker im Gegenwind
Rüdiger Safranski erhält, wie bereits gemeldet, den mit 20 000 Euro dotierten Ludwig-Börne-Preis, weil er sich nicht scheue, „sich in aktuelle politische Diskussionen in Deutschland einzumischen“. Der Preis soll am 28. Mai in der Frankfurter Paulskirche verliehen werden. Bestimmt wurde der Preisträger vom Schauspieler Christian Berkel als Alleinjuror. „Den Gegenwind der politischen Klasse, die seine Meinungen und Analysen mitunter als störend empfindet, erträgt er gelassen“, lobte Berkel Safranski. Ludwig Börne war ein berühmt-berüchtigter Kritiker, Essayist und Polemiker. Seine „Briefe aus Paris“ sind bis heute lesenswert, die literarische Fehde mit Heine – der ebenfalls vor der deutschen Zensur geflohen und ebenfalls ein getaufter Jude war – ist legendär.
Börne hat sich mit Texten politisch eingemischt. Safranski tat das zuletzt nur mit O-Tönen. Als 2015 Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak nach Deutschland kamen, formulierte er Untergangsszenarien: „Die Politik hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten.“ Er geißelte eine „infantile Weltfremdheit, die sich im Moralismus ausdrückt“ als „spezifisch deutsches Phänomen“. Großbritannien und Frankreich hingegen wüssten noch, „dass es zu einem souveränen Staat gehört, dass er seine Grenzen kontrolliert“. Und er konstatierte: „Wir lügen uns um die Tatsache herum, dass Europa auch eine Festung sein muss.“
Literaturpreis für Interviews
Man würde gerne mehr von Safranski über seine so krude wie apodiktische Argumentation erfahren. Doch es gibt keinen einzigen Text von ihm zum Thema. Was er über Flüchtlinge und die Bundeskanzlerin gesagt hat, stammt aus mehreren Interviews und einem Zeitungsporträt. Dabei soll der von einer Stiftung getragene Börne-Preis Autoren gelten, die im Bereich des Essays, der Kritik und der Reportage „Hervorragendes“ geleistet haben. Dass ein Schriftsteller einen Literaturpreis für seine Interviews bekommt, wäre ein Novum.
Safranski, 72, gehörte während seines Studiums zu den Mitgründern der maoistischen KPD/AO. 1994 schrieb er einen Beitrag für den neorechten Sammelband „Die selbstbewusste Nation“. Bekannt geworden ist er mit Biografien über Schiller, Nietzsche oder Schopenhauer und seinem Buch über die Romantik als „deutsche Affäre“. Für diese Bücher ist Safranski vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Literaturpreis der Adenauer-Stiftung. Dass er nun aber eine Auszeichnung als politischer „Einmischer“ und „Störer“ bekommen soll, wirkt ziemlich windschief. Und was macht Christian Berkel zum Experten in Sachen Essayistik?
Zwischen Stammtisch und CSU
Safranskis Rhetorik bewegt sich in seinen letzten Interviews zwischen Stammtisch, AfD und CSU. Die Zukunft, so prophezeit er, wird schrecklich. „Wir sind erst am Anfang einer gigantischen Völkerwanderung. Nach neuesten Gallup-Erhebungen sollen es etwa 133 Millionen sein, die lieber heute als morgen sich in Richtung Europa auf den Weg machen würden“, sagt Safranski. „Wie sollen wir damit fertig werden? Ich weiß es nicht.“ Genau das wäre die Aufgabe eines Intellektuellen, dem der Börne-Preis zusteht: zu erklären, wie man mit Problemen fertig wird.
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