Botho Strauß, Rüdiger Safranski, Peter Sloterdijk: Deutsche Denker gegen Angela Merkel
Rüdiger Safranski doziert, Botho Strauß grummelt, und jetzt spottet auch noch Peter Sloterdijk: Warum sich gegen Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik eine ganze Phalanx von prominenten Kritikern erhoben hat.
Die Diskussion um die Flüchtlingspolitik wird militanter. Einige von denen, die sich jetzt zu Wort melden, haben schon den Stahlhelm aufgesetzt. Stacheldraht ersetzt die Argumentation. Metaphern werden entsichert.
Ein Großmeister der politischen Metaphorik ist Peter Sloterdijk. Seine Philosophie kreist um Begriffe wie Blasen, Sphären, Globen. Vor ein paar Jahren erregte er Aufsehen, als er radikal marktliberal für eine „Abschaffung der Zwangssteuern“ plädierte. Nun fordert er wenig liberal und freigeistig die Abschottung von Märkten und Territorien. Die postmodernisierte Gesellschaft, sagte Sloterdijk dem „Cicero“, existiere in einem „surrealen Modus von Grenzenvergessenheit“.
Kultur der dünnwandigen Container
Er spricht – ein funkelndes Bild – von einer „Kultur der dünnwandigen Container“. „Schmale Membrane“ hätten die früheren „starkwandigen Grenzen“ ersetzt und würden nun „massiv überlaufen“. Von Flüchtlingen. Eine starkwandige Grenze, könnte man ergänzen, besaß beispielsweise die DDR. Der Denker wundert sich über die Naivität der Deutschen: „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei nur dazu da, um sie zu überschreiten.“ Genau darauf, auf der Überzeugung, dass Grenzen überwunden werden können, basiert die EU. Auch die liberale Marktwirtschaft braucht offene Grenzen. Sonst ließe sich kein Auto mehr zusammenbauen.
Schon im Dezember hatte der Bestsellerautor Rüdiger Safranski der Kanzlerin eine Staatsrechtslektion erteilt. „Zu einem souveränen Staat gehört, dass er seine Grenzen kontrolliert“, sagte der Goethe-Biograf, einst Dauergast von Sloterdijks „Philosophischem Quartett“, der Züricher „Weltwoche“. „Wenn eine Staatschefin wie Angela Merkel sagt: ,Wir können die Grenzen nicht mehr kontrollieren’, reiht man sich ein unter die zerfallenden Staaten, wie jene in Afrika.“ Zynisch zugespitzt ließe sich konstatieren, dass Sloterdijks Wunsch nach einem „Lob der Grenze“ bereits zwei Tage nach dem Erscheinen im „Cicero“ aufgenommen wurde. Da verlangte die AfD-Vorsitzende Frauke Petry, dass „illegale Grenzübertritte notfalls auch mit der Schusswaffe“ verhindert werden müssten.
Das Formulieren lange geübt
Gegen Merkel und ihre Flüchtlingspolitik hat sich inzwischen eine ganze Phalanx von prominenten Kritikern erhoben. Unter ihnen sind einige der bekanntesten Intellektuellen des Landes. „Den neuen nationalkonservativen Bewegungen wachsen nun offenbar Wortführer zu, die den Umgang mit Medien gewohnt sind und das öffentliche Formulieren lange geübt haben“, bemerkte die „Süddeutsche Zeitung“. So verdammte Botho Strauß, seit seinem berühmt-berüchtigten Essay „Anschwellender Bocksgesang“ ein Veteran des neorechten Menetekelns, die „Flutung des Landes mit Fremden“. Der Dramatiker stilisiert sich zum „letzten Deutschen“ und fristet eine randständige Existenz in der Uckermark, weitab von den Diskursen der Großstadt.
Der Schriftsteller Reinhard Jirgl, Träger des Büchner-Preises, der renommiertesten Auszeichnung für einen deutschsprachigen Autor, wendet sich in seinem Essay „Die Arglosen im Inland“ leidenschaftlich gegen den Vergleich der heutigen Flüchtlinge mit den Vertriebenen von 1945. Für Migrationswanderungen und Finanzkrisen macht er die „poröse“ europäische Politik und die USA verantwortlich, deren Absicht es sei, „Europa weiter wirtschaftlich und politisch zu deregulieren“. Erschienen ist sein verschwörungstheoretischer Text in „Tumult“, der in Dresden erscheinenden „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“.
Das aktuelle Heft ist ganz der „großen Einwanderung“ gewidmet. Die Stoßrichtung geht gegen „Hypermoral“ und eine „multitribale Gesellschaft“. Selbst Hans Magnus Enzensberger steuerte ein Gedicht bei. Herausgeber Frank Böckelmann klagt im Vorwort, wer in Deutschland darauf beharre, „mitbestimmen zu wollen, mit wem er (nicht) zusammenleben möchte“, werde in die Strafecke der „Fremdenfeindlichkeit“ gestellt. Böckelmann gehört zu den Altkadern der Studentenbewegung, er war in München ein Anführer der Subversiven Aktion und des SDS. Überhaupt fällt der große Anteil von ideologischen Renegaten unter den neuen nationalkonservativen Wortführern auf. Safranski hatte einst die maoistisch orientierte Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO) mitgegründet. „Ein bisschen peinlich ist mir das schon, aber das gehört zu meinem Leben“, sagt er heute.
Langzeitteilnehmer der Debatten
Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Botho Strauß und Frank Böckelmann sind Langzeitteilnehmer der deutschen Debattenkultur, zwischen 68 und 74 Jahre alt. Nur der in Ostberlin aufgewachsene Romancier Reinhard Jirgl, 63, war bislang nicht mit politischen Beiträgen aufgefallen. Ist die Hypothese zu gewagt, dass der Zorn der gesetzten Herren auf die Flüchtlingspolitik auch mit der Tatsache zu tun haben könnte, dass die Urheberin dieser Politik eine Frau ist?
Zu den liebsten Denkfiguren der neuen Nationalkonservativen gehört das Gegensatzpaar von Naivität und Souveränität. Naiv sind die Moralisten und Mehrheitspolitiker mit Merkel an der Spitze. Souverän, das sind sie selbst, die Denker mit Globalüberblick. Sie sehen sich als einzige Erwachsene in einer Welt der moralisch verblendeten Kleingeister. Sloterdijk spottet, dass die Deutschen, die für offene Grenzen plädieren, den „Schlaf der Gerechten“ träumen. Die Mächtigen seien „auf der Flucht vor den Tatsachen“. Safranski geißelt „weltfremden Humanitarismus“ und Außenpolitik als „moralische Mission“.
Denken ist wichtiger als Fühlen, so könnte man diese Anschauung zusammenfassen, in deren Genealogie so brillante wie kalte Geistesgrößen wie Carl Schmitt und Ernst Jünger gehören. Deutsche Politiker, klagt Safranski weiter, würden dauernd von der Menschenwürde sprechen, die „unantastbar“ sei. Ein „naives Menschenbild“. „Man tut so, als sei die Menschenwürde ein allen angeborenes Organ wie Arme und Beine.“ Dabei käme es doch auf „einen funktionierenden Staat“ als Voraussetzung an. Doch die Menschenwürde sowie die daraus abgeleiteten Menschenrechte gelten wenigstens in Europa seit der Französischen Revolution als ein universelles, unveräußerliches Gut. Das könnte auch der Ideenhistoriker Safranski wissen.
Der Lügenäther ist dicht
So scharf und spöttisch wie jetzt von Peter Sloterdijk im „Cicero“ ist der „Wir schaffen das“–Optimismus von Angela Merkel noch nicht kritisiert worden. Vieles, was er sagt, ist luzide und richtig. Etwa seine Anmerkungen zum Terror als „Genre der medialen Entertainmentindustrie“ oder die Prophezeiung, dass Merkel „zurückrudern“ werde. Seine Metaphern glitzern. Der Satz „Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr“ hat das Zeug zum Sloterdijk-Klassiker. Er gilt den Politikern, die ihre Wähler betrügen. Äther ist eine feinstoffliche Substanz, die lange für das Medium zur Ausbreitung des Lichts gehalten wurde. Doch es ist auch ein Synonym für die Ausstrahlung von Radio- und Fernsehprogrammen. So schließt Sloterdijks Bonmot an die perfide Pegida-Parole von der „Lügenpresse“ an.
Die Politiker sind korrupt, die Medien lügen. Wem kann man noch trauen? Nur Philosophieprofessoren? Ihre Botschaft ist apokalyptisch. „Bis zum Ende unseres kurzen Gesprächs“, sagt Sloterdijk, „werden tausend Flüchtlinge mehr die Grenze überschritten haben.“