Andreas Spechtl von Ja, Panik: "Sleep": Einfach mal pennen
Nix Rebellion, nix Systemfrage: Andreas Spechtl, der Kopf von Ja, Panik, befasst sich auf seinem Solodebüt "Sleep" mit dem Schlafen.
Was machen Deutsche nach Einbruch der Dunkelheit? Na, gefährlich werden, behauptet Andreas Spechtl, und es folgt: „So watch out in Dresden, München, Berlin“. Freital, Tröglitz, Remchingen, Böhlen muss man sich dazudenken.
Mit dieser Warnung erschöpft sich dann auch schon die politische Agitation, ansonsten deutet auf „Sleep“ (Staatsakt) zunächst wenig darauf hin, dass hier Andreas Spechtl, Mastermind der burgenländischen, in Berlin schaffenden Popband Ja, Panik musiziert. Das ist schon eine ziemliche Überraschung: Nix Rebellion, nix Systemfrage, Spechtls geballte Faust sollte man sich ausnahmsweise mal nicht in die Luft gereckt vorstellen, sondern besser als Unterlage, auf dem sich der immer schwerer werdende Kopf eines sehr müden Menschen abstützen kann.
Der Spechtl macht's jetzt solo
Das gesamte Album, es ist sein Solodebüt, hat Andreas Spechtl dem Themenkreis Schlaf und Nacht gewidmet. Überraschend elektronisch und verspielt ist es geraten, mit Dub-, Ambient- und Jazzanleihen. Vieles bleibt skizzenhaft. In „Duérmete Niño“ hat Spechtl ein spanisches Kinderlied gesampelt, anderen Stellen mischte er Tonspuren unter, die er in der Tradition der field recordings auf Reisen mit dem Smartphone aufzeichnete. Zum Beispiel die Hintergrund-Atmo einer nächtlichen Taxifahrt durch eine Großstadt Ugandas. Rund zwei Jahre hat Spechtl an den sphärischen Stücken gebastelt, eine Veröffentlichung war zunächst nicht geplant, Gesang auch nicht. Viele Demos nahm er unterwegs auf, nachts, wenn der Rest der Band schlief, so ergab sich das Leitmotiv von ganz allein. Wobei Schlaf überwiegend als Fluchtort erscheint, als Möglichkeit, den herrschenden Verhältnissen und ihren Zumutungen zu entkommen. „From time to time, it’s time to leave“, singt Spechtl bedächtig.
In Berlins Kulturszene zählt der 31-Jährige zur Schar der sehr patenten, halbjungen Männer mit Verweigerungshang – diesen Polleschs, von Lowtzows, Friebes, Justs und Eidingers –, die in ihrem Schaffen über Jahre solche Stilsicherheit bewiesen, dass neue Werke gerechterweise Vertrauensvorschuss genießen. Der Spechtl macht’s jetzt solo? Muss man reingehört haben! Deshalb schmerzt es ein wenig, wenn man begreift, dass „Sleep“ phasenweise ziemlich mäandert. Ja, dermaßen einlullt, dass auch der wohlmeinende Hörer leicht die Konzentration verliert und, ohne es zu merken, einfach wegdä...
"Sleep" riecht nach Rückzug ins Private
Man vermisst sie, diese Wut, wie sie sich etwa auf dem 2011er-Album „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“ niederschlug. Auf dem jüngsten Ja, Panik-Werk „Libertatia“ von 2014 verflüchtigte sich das Gefühl bereits, stattdessen wurde eine fiktive Pirateninsel als Erlösungsutopie besungen. Jetzt will Spechtl einfach pennen. Riecht nach Rückzug ins Private. Hat er etwa die Kapitulation der Siebziger-Jahre-Protestbewegten im Zeitraffer vollzogen? Gute Nacht, Andy-Boy?
Nein, die acht Songs auf „Sleep“ stellen eher eine Nebenlinie von Spechtls Schaffen dar, in gewollter Abgrenzung zu Ja, Panik. Denn was Spechtl überhaupt nicht mag, sind Sänger von Bands, die solo kein bisschen anders klingen und damit suggerieren, der Rest der Truppe sei ohnehin überflüssig. Aus diesem Grund verzichtet Spechtl auch auf das Ja, Panik-typische Deutsch-Englisch-Gemisch. Die Band existiert also weiter, will noch dieses Jahr an neuen Stücken schreiben.
Zu den Höhepunkten auf „Sleep“ zählt der schwermütige Schlusssong „Jinja Nights“, in dem die Grenze zwischen wach und schlafend zu verschwimmen und alles wunderbar unwirklich scheint, ganz so wie damals am Ende von Sebastian Schippers (noch so ein patenter Halbjunger!) Debüt „Absolute Giganten“, als die Protagonisten heillos übermüdet im Auto sitzen, Kindheitserlebnisse austauschen und dann irgendwann einer unvermittelt fragt: „Wie spät ist es eigentlich?“
Die große Sensation ist „Sleep“ leider nicht geworden. Vielleicht ist es wie mit der geheimnisvollen Kiste auf Opas Dachboden, in der dann leider doch keine Schätze verborgen sind, sondern nur Erinnerungsfotos. Aber die können ja bekanntlich auch lohnen.
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