Afrikanische Autoren beim Literaturfestival: Eines Tages werde ich über Afrika schreiben
Zum Abschluss des Internationalen Literaturfestivals Berlin: Autoren aus Sambia und Kenia über die Identitäten ihres Kontinents und die Ghettoisierung von Literatur.
Die Frage verfolge ihre Schriftstellergeneration wie ein Geist, sagt Namwali Serpell aus Sambia: „Sind Sie eine afrikanische Autorin?“. Auch beim Literaturfestival in Berlin will das Publikum es von ihr wissen. Serpell lächelt: „Das mag eine gute Frage sein, um auf einer Cocktailparty ein Gespräch anzufangen, aber für eine literarische Kategorie taugt sie nicht.“
In den sechziger Jahren, als die erste Generation moderner, afrikanischer Romanciers die Literaturbühne betrat, wäre sie leichter zu beantworten gewesen. Die Autoren verstanden sich oft als Stimme Afrikas, als Lehrer, Vermittler. Doch selbst auf der ersten Konferenz afrikanischer Schriftsteller 1962 konnte man sich kaum darauf einigen, was das Etikett bedeuten solle: Literatur über Afrika, aus Afrika? Könne sie jedes Sujet bedienen oder müsse es speziell afrikanisch sein?
Afrikanische Literatur gibt es nicht
Der nigerianische Schriftsteller Obi Wali erklärte einen solchen Literaturbegriff bald zur Sackgasse. Die umjubelte Debütantin Taiye Selasi hatte sein Statement zur Eröffnung des Literaturfestivals vor drei Jahren wieder aufgegriffen: „So etwas wie eine afrikanische Literatur gibt es nicht.“ Die Vielfalt an Sprachen, Themen und Stilen sei zu groß, als dass man sie in einer derartig überdehnten Kategorie zusammenbringen könne. Der ästhetische Wert werde übergangen, und die Geschichten würden von den Verlagen nach stereotypen Themenfeldern wie Rassismus, Kolonialismus oder Korruption vermarktet. Eine Kritik, die von der Literaturwissenschaftlerin Ainehi Edoro kürzlich auch im „Guardian“ aufgegriffen wurde.
Dabei kennt die neue Schriftstellergeneration, zu der auch Namwali Serpell zählt, die Heimat ihrer Eltern oft nur aus der Ferne. Viele haben in Harvard, Oxford oder Cambridge studiert, für einige hat sich der Ausdruck „Afropolitan“ etabliert, in Anlehnung an den Weltbürger, den Metropolitan. Bestes Beispiel dafür ist etwa der Nachwuchsschriftsteller Tope Folarin, der mit einer Geschichte über einen schwarzen Jungen in Texas 2013 den Caine-Preis gewann, den wichtigsten Literaturpreis Afrikas.
Drei Veranstaltungen waren dem afrikanischen Kontinent gewidmet
Folarin wuchs in den Südstaaten auf, studierte in Oxford und hat Nigeria seit seinem ersten Lebensjahr nicht mehr gesehen. Gleichwohl versteht er sich als nigerianischer Schriftsteller in der Diaspora. Auch Serpell kam mit neun Jahren aus Sambia in die USA. Heute unterrichtet sie englische Literatur in Berkeley, setzt sich als Kritikerin mit US-Autoren wie Jonathan Franzen und Bret Easton Ellis auseinander. Am liebsten würde sie sich „Afro-Saxon“ nennen, sagt sie.
Dieses Jahr waren drei Veranstaltung des Internationalen Literaturfestivals, das am Samstag zu Ende ging, dem afrikanischen Kontinent gewidmet. Stella Gaitano und Abdelaziz Baraka Sakan aus dem Südsudan sprachen über Krieg, Flucht und die Folgen für ihr Schreiben; der kenianische DAAD-Stipendiat Binyavanga Wainaina stellte seine Memoiren vor, „Eines Tages werde ich über diesen Ort schreiben“. Und Serpell präsentierte ihre Kurzgeschichte „The Sack“, für die sie 2015 ebenfalls mit dem Caine-Preis ausgezeichnet wurde.
Identität ist keine starre Konstruktion
Serpells Text bricht mit den Erwartungen, verweigert die Sinnstiftung. Die Beschreibung des titelgebenden Sacks, der oft als Metapher für den Sklavenhandel genutzt wird, leitet Anfang und Ende der Geschichte ein: „Grau. Wie altes kwacha. Kratzer an der Außenseite. Nein. Schatten.“ Er taucht in Traumsequenzen auf, nimmt immer neue Bedeutungen an. Genauso mysteriös auch die Beziehung der beiden Männer, um die sich die Geschichte entspinnt. Einer heißt nur „der Mann“, der andere J. Einer ist alt, der andere putzt und kocht, weil er in dessen Schuld steht. Der eine nennt den anderen bwana, Swahili für Meister, der andere ihn mzungu, eine Bantu-Bezeichnung für Weiße. Aber wer von beiden der Weiße oder der Meister ist, bleibt offen. Identität ist keine starre Konstruktion, sondern eine Mysterium, eine dunkle Ahnung.
Der Kenianer Binyavanga Wainaina, einer der einflussreichsten Autoren Afrikas, mag es eindeutiger, wenn er mit Stereotypen aufräumt. Mit seiner satirischen Gebrauchsanleitung „Wie man über Afrika schreiben soll“ hatte er 2006 Furore gemacht. Dort schrieb er: „Behandeln Sie Afrika als ein einziges Land. Es ist heiß und staubig mit sanft geschwungenem Weideland und riesigen Tierherden und großen dünnen Menschen, die hungern. Oder: Es ist heiß und schwül mit sehr kleinen Menschen, die Affen essen. Verlieren Sie sich nicht in präzisen Beschreibungen. Afrika ist groß: 53 Länder, eine Milliarde Menschen, die zu beschäftigt sind – mit Hungern, Sterben, Kriegführen und Auswandern –, um Ihr Buch zu lesen.“
Mit Humor gegen die Ghettoisierung der Literatur
Das Afrika seiner Memoiren ist der Gegenentwurf dazu. Wainaina beschreibt das Aufwachsen in einer Mittelklassefamilie im Kenia der siebziger Jahre, erzählt von seiner Studienzeit in Südafrika, seinen Aufenthalten in Uganda und Nigeria, wo er später als Creative-Writing-Professor arbeitet. Ein humorvolles Stück Zeitgeschichte, eine Sinnsuche, vom jungen Mann bis zum Erfolgsautor, voller Brüche in den Identitäten.
Die Frage, ob er sich als afrikanischer Autor sehe, hat Wainaina schon vor langer Zeit in einem Interview beantwortet: Er empfindet es als Ghettoisierung der Literatur, eine merkwürdige kulturelle Pflicht – wie Spinat essen. Er habe in den letzten 15 Jahren in Nigeria vier Generationen an Schriftstellern erlebt, die unterschiedlich waren wie das Dutzend Sprachen, das dort gesprochen wird.
Serpells und Wainainas Lesungen beim Literaturfestival zeigen einmal mehr, dass das unablässige Bedürfnis nach dem „Afrikanischen“ in der Literatur vor allem die Sehnsucht nach Authentizität hier im Westen spiegelt, nach harmonischer Repräsentation. Geister sind eben schwer totzukriegen.
Giacomo Maihofer
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