Ausstellung im Museum für Fotografie: Eine Woche, zweimal dargestellt
Ein Kino mit Klappsitzen und vier Leinwänden: Das Künstlerduo M+M präsentiert im Museum für Fotografie eine Filminstallation, die die Besucher in ein spannendes Bilderlabyrinth lockt.
Am Mittwoch sitzt der Mann allein im Auto. Eine Nachtszene, die Fenster feucht, Lichter gleiten vorbei. Ins Motorbrummen mischt sich ein innerer Monolog: „Warum erst anrufen? Wenn eine Frau einem so eine Nachricht schickt, macht man sich direkt auf den Weg“, sagt die Stimme, denkt der Mann. Eigentlich ja zwei Stimmen, zwei Männer. Denn in der Filminstallation „7 Tage“ des Künstlerduos M+M sieht man doppelt.
Die Mehrfachperspektive ist eine Spezialität von Marc Weis und Martin De Mattia, die seit 1994 als M+M firmieren. Bereits in ihrem „Johanna-Zyklus“ (2000) oder der Installation „Schlagende Wetter“ (2010) haben sie mit parallel ablaufenden Filmfragmenten gearbeitet. 2014 machten sie mit dem Gemeinschaftswerk „Der Stachel des Skorpions“ Furore. Die sechsteilige Arbeit nach einem Buñuel-Film mit Beiträgen von Tobias Zielony, Chicks on Speed, Keren Cytter, Julian Rosefeldt, John Bock und M+M wurde in München und Darmstadt als begehbare Installation gezeigt, im Berliner Radialsystem als Kino-Kompilation.
Ähnlich wird jetzt zur deutschen Uraufführung von „7 Tage“ verfahren. Im Casino Luxembourg und in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais bewegte sich das Publikum noch durch sieben Räume. Der Fürstensaal des Berliner Museums für Fotografie hat sich dagegen in ein Kino mit Klappsitzen und vier Leinwänden verwandelt. Jede Parallelprojektion belegt zwei Screens, die Szenenpaare der fiktiven „Woche“ wandern auf der Gesamtbildfläche hin und her. Zur irrlichternden Persona des Helden – siebenmal vom österreichischen Schauspieler Christoph Luser verkörpert – passt das gut. Verliebt, zärtlich, melancholisch, gewalttätig: ein Mann mit allzu vielen Eigenschaften. Verrückt, irgendwie schizoid auch die Werk-Identität.
Ausgangspunkt war Kubricks "Shining"
Der linearen Erzählweise konventioneller Filme setzen die Künstler eine anti-naturalistische Verästelung entgegen. Andererseits beziehen sie sich auf Kinoklassiker: etwa die Autofahrt Jean-Louis Trintignants zu Anouk Aimée in „Ein Mann und eine Frau“ oder John Travoltas Karrierestart „Saturday Night Fever“.
Angefangen habe es mit dem „Montag“, erzählen Weis und De Mattia in Berlin, und mit der Idee, „sich mit den psychischen Aspekten von Familie auseinanderzusetzen“. Ausgangspunkt war Jack Nichols’ beginnender Wahnsinn im Kubrick-Film „Shining“ (1980). In einer frühen Szene des Thrillers spricht der Vater mit dem Sohn, der auf seinem Schoß sitzt. Erst zärtlich, dann bohrend, mit aggressivem Unterton. In der Reinszenierung von M+M sitzt eine Tochter auf Vaters Schoß. Dann drehten die Künstler den Dialog noch einmal – mit Christoph Luser, der nun eine Frau umarmt und bedroht.
Die sieben Sequenzen wurden in sieben Jahren hergestellt. Gedreht wurde auf Zelluloid, für ein leicht nostalgisches Kinogefühl. „Wir mussten Szene für Szene die Produktionsmittel zusammenbekommen“, erzählen M+M. Die Doppelsequenzen wurden parallel gedreht, Take um Take musste Christoph Luser die Stimmung wechseln. „Als ob Clint Eastwood in einer ,Dirty Harry’-Rolle jemand anders wird, nur weil eine zweite Figur hinzutritt“, sagt Weis. Die doppelte Besetzung der Nebenrollen zieht sich durch. Dienstag, im Barbershop, wird Luser links von einer Frau rasiert, rechts von einem Mann. Das Rasiermesser und ein kurz eingeblendetes Botticelli-Gemälde – Holofernes kopflos – schlagen den Bogen zum Freitag, in dem der Held zum Killer mutiert. In der Splatterszene à la Dario Argento bringt der Protagonist synchron eine junge und eine ältere Frau um. Schizophren auch die anderen Tage. Luser als Industriellensohn, der in einer Vorstandssitzung aufs Erbe verzichtet. „Franziskus, was habe ich falsch gemacht?“, fragt links der Vater, auf der rechten Leinwand fleht die Mutter. In der Disco wird Luser von einem Mann angebaggert, in der Alternativszene von einer Frau.
Die Erzählung wird zum ausgefaserten AriadnefaDie Erzählung wird zum ausgefaserten Ariadnefadenden
Weil es unmöglich ist, beide Projektionen simultan in den Blick zu nehmen, springt der Betrachter zwischen den filmischen Parallelwelten hin und her. Auch versucht man, sich über die „Tage“ hinweg einen Reim auf die Hauptfigur zu machen. Die Erzählung wird zum ausgefaserten Ariadnefaden, der ins Bilderlabyrinth lockt statt aus ihm herauszuführen. Mit ihrem Brecht’schen Kunstgriff der gespaltenen Leinwand bringen M+M die Illusionsmaschine Kino aus der Balance.
Aber was geschieht, wenn schon die Vorlage zahlreiche Sollbruchstellen besitzt? Wo künstlerisch Hochrangiges im Spiel ist, droht der Nachschöpfung das Kunstgewerbliche. Für den „Sonntag“, der auf Godards „Verachtung“ basiert, reinszenierten M+M die berühmte Szene mit der nackten Brigitte Bardot auf dem Bett, die von Michel Piccoli Elogen auf ihre Schönheit einfordert. Ein Missgriff, denn die minderjährige Zweitbesetzung (neben einem blassen Bardot-Double) bringt einen unangenehmen Lolita-Effekt auf die rechte Leinwandseite. Nun hat jeder mal einen schlechten Tag. Insgesamt aber lohnt das funkelnde Stück „Expanded Cinema“ den Museumsbesuch.
Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 3. 7., Di/Mi, Fr 10 – 18, Do 10 – 20, Sa / So 11 – 18 Uhr.
Jens Hinrichsen
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