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Spielwiese. Den Siegerentwurf der Künstler Marc Weis und Martin de Mattia und des Berliner Architekturbüros Annabau fanden viele in Leipzig zu abstrakt.
© Annabau

Offener Brief: Schreibt das Leipziger Einheitsdenkmal neu aus!

Der Wettbewerb für das Einheitsdenkmal ist gescheitert. Das ist keine Schande, schreibt der Stadtplaner Florian Mausbach. Doch jetzt müssen die richtigen Schlüsse für den zweiten Anlauf gezogen werden.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Burkhard Jung, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Als einer der Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit sowie Mitwirkender bei der Standortsuche für ein Leipziger Denkmal der Friedlichen Revolution verfolge ich mit Anteilnahme und Sorge die Denkmaldiskussion in Ihrer Stadt. Der Wettbewerb für das Einheitsdenkmal ist im ersten Anlauf gescheitert. Das ist schade, aber kein Unglück. Es wäre ein Zeichen von Souveränität, wenn die Stadt den Wettbewerb durch Ratsbeschluss aufhebt und Lehren für einen zweiten Anlauf zieht. Es bleibt richtig und notwendig, dass die Stadt und ihre Bürger zur Erinnerung an die Leipziger Montagsdemonstrationen und den für die friedliche Revolution entscheidenden 9. Oktober 1989 ein würdiges Denkmal errichten.

Das Denkmal soll zunächst ein Zeichen des Dankes und der Anerkennung für die mutigen Frauen und Männer sein, die im Herbst 1989 ihre Angst überwanden und sich auf die Straße wagten, um gewaltlos der Gewalt gegenüberzutreten. So über sich hinauswachsend erkämpften sie – „Wir sind das Volk!“ - die Freiheit, stürzten in einem zweiten Schritt - „Wir sind ein Volk!“ - das Unrechtsregime, erstritten Freiheit und Einheit. Als Beispiel für kommende Generationen soll das Denkmal ein dauerndes Zeichen der Ermutigung setzen für aufrechten Gang und Zivilcourage, ohne die Freiheit, Demokratie, nationale Einheit und Gemeinsinn weder errungen noch verteidigt werden können. Diesen Anspruch hat keiner der Entwürfe erfüllt. Das lag zunächst an der irreführenden Namensgebung. Schon die quälenden Anfänge des Berliner Einheitsdenkmals auf der Schlossfreiheit - auch dort scheiterte der erste Wettbewerb - zeigten, dass der Name „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ die Künstler zu dem Missverständnis verführt, abstrakte Symbole zu entwerfen.

Gerade in Leipzig, wo die Volksbewegung der Revolution zum Durchbruch verhalf, sollte das Denkmal aber anschaulich und ergreifend an die Heldentat der 70 000 Montagsdemonstranten am 9. Oktober 1989 erinnern. Der erste Schritt zu einem neuen Wettbewerb sollte deshalb ein neuer Name sein wie „Denkmal der Leipziger Herbstrevolution“ oder „Leipziger Montagsdenkmal“.

Vor allem aber ist das Scheitern des Wettbewerbs einer irreführenden Auslobung geschuldet. Sie erlaubte „eine flächige Ausdehnung“ des Denkmals „innerhalb der Grenzen des Wettbewerbsgebiets“. Das verführte die Teilnehmer zu Flächenkunstwerken und unbenutzbaren Plätzen. Ziel eines zweiten Wettbewerbs muss es sein, einen volkstümlichen öffentlichen Platzraum zu gewinnen, einen Rathausplatz in der Umgebung von Rathaus, Stadtbücherei, neuer Kirche und Markthalle, der für vielfältige Zwecke wie Kundgebungen, Feiern, Feste und Markt zur Verfügung steht. Das Denkmal sollte den Platz prägen und krönen, nicht aber den ganzen Platz für sich beanspruchen. Der Augustusplatz – mit Gewandhaus, Oper und seinen großen Brunnenanlagen eher ein sonntäglich vornehmer Platz – ist dafür weniger geeignet. Umso mehr hätte der neue Platz der Friedlichen Revolution die Chance, ein lebendiger „Volksplatz“ zu werden.

Laut Auslobung „soll“ (nicht kann!) das Denkmal „den tradierten Formen der Denkmalkunst früherer Epochen eine neue Formensprache entgegensetzen“. Warum kann man die Jahrtausende alte Denkmalkunst nicht in zeitgemäßer Weise fortentwickeln, statt ihr krampfhaft etwas entgegenzusetzen? Bestärkt wurde dies durch die Forderung: „Das Kunstwerk sollte mit zeitgenössischen formalen und ästhetischen Mitteln arbeiten.“ Diese einschränkende Verpflichtung auf Noch-nicht-Da-Gewesenes schließt Künstler mit anderen Ansätzen von vornherein aus. Vollends in die Irre führt die Aufmunterung, „auch konzeptuelle Kunst und partizipatorische Ansätze“ zu liefern. Historische Denkmäler, die ja auf Dauer angelegt sind, eignen sich nicht für unfertige Konzepte und modische Mitmach-Spielereien.

Diese Forderungen haben aus dem Wettbewerb für ein historisches Denkmal einen Wettbewerb für experimentelle Kunst gemacht, mit der Kunstszene als Adressat. Ein an das Volk als Adressat gerichtetes Denkmal wendet sich aber an die Allgemeinheit und die Nachkommen. Mit hohem künstlerischem Anspruch und zugleich mit bildnerisch-anschaulichen Mitteln sollte es historisches Verständnis und demokratisches Bewusstsein wecken, das Gefühl ansprechen und ein Pathos erlauben, das der Leipziger Herbstrevolution von 1989 und der von ihr ausgelösten Zeitenwende gerecht wird.

Der Autor ist Stadtplaner. Von 1995 bis 2009 war er Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.

Der Wettbewerb für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal wurde im Juli 2012 entschieden, den ersten Preis gewann der bunte Entwurf der Münchner Künstler Marc Weis und Martin de Mattia sowie des Berliner Architekturbüros Annabau. Aber viele Leipziger Bürger kritisieren ihn als zu abstrakt, noch ist unklar, ob er realisiert wird. Auch der Termin wackelt: Eigentlich sollte das Denkmal 2014 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz eingeweiht werden, zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution. (Tsp)

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