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Danny (Adam Sandler) versucht für seine Tochter Eliza (Grace Van Patten) ein besserer Vater zu sein.
© Netflix

Netflix-Komödie „The Meyerowitz Stories“: Eine schrecklich nette Familie

Nach der Netflix-Kontroverse in Cannes. Noah Baumbachs Komödie „The Meyerowitz Stories“ ist ab Freitag auf dem Streamingportal verfügbar.

Talent überspringt im Meyerowitz-Clan eine Generation. Eliza hat die künstlerische Ader ihres Großvaters Harold (Dustin Hoffman) geerbt, also beginnt Noah Baumbachs emotional komplizierte Familienchronik „The Meyerowitz Stories (New and Selected)“ gleich mit einem Abschied. Eliza wechselt ans renommierte Kunstcollege Bard, wo Harold, nach einem kurzen Karrierehoch in den Sechzigern bis zu seiner Pensionierung gelehrt hat. Ihre erste Arbeit ist ein nicht jugendfreier, feministischer Kurzfilm mit dem Titel „Pagina Man“ – die von Eliza gespielte Superheldin hat einen Penis und eine Vagina. Danny (Adam Sandler) fühlt sich sichtlich unwohl, das Video seiner nackten Tochter im Beisein des Vaters zu sehen. Harold hingegen denkt sich nichts dabei, er ist mit seinen Gedanken ohnehin bei der eigenen, einst hoffnungsvollen Karriere, die sich nie materialisiert hat.

Die kontrastreichen Persönlichkeiten von Danny und Harold spiegeln pointiert die mentale Konstitution der Meyerowitz-Familie. Danny ist, was die amerikanische Komödie gerne als awkward bezeichnet: ein Begriff, dessen schillernde Bedeutungsnuancen sich kaum adäquat ins Deutsche übersetzen lassen. Seine soziale Retardierung findet in „The Meyerowitz Stories (New and Selected)“ auch eine körperliche Entsprechung, Danny humpelt mit einer lädierten Hüfte durch den Film.

Liebloser Vater, schlechter Ehemann

Harold dagegen, den Dustin Hoffman mühelos mit fast nachlässigen Gesten charakterisiert, ist ein hoffnungsloser Narzisst in vierter Ehe. Er war kein liebevoller Vater und ist ein noch schlechterer Ehemann – kein Wunder, dass seine neue Frau Maureen (eine grandiose Emma Thompson als hängengebliebenes Blumenkind) ein Alkoholproblem hat. Die Dysfunktionalität setzt sich in den Dialogen fort, die eher aus parallelisierten Monologen bestehen. Die Mitglieder der Meyerowitz-Familie reden ständig aneinander vorbei.

Sandlers wunderbar schiefe Performance offenbart erneut seine oft geschmähte Comedy-Sensibilität. Regisseur Baumbach („Greenberg“) kanalisiert Sandlers kindliche Frustration in herzerweichende Momentaufnahmen eines von der eigenen Familie enttäuschten Sohnes, der um jeden Preis ein besserer Vater sein möchte. Letzteres immerhin mit Erfolg: Eliza ist die strahlende Zukunft der Meyerowitz-Erbfolge. Grace Van Patten hat nur wenige Auftritte, aber ihr natürlicher, unerschütterlicher Optimismus lässt erahnen, dass in dieser verkorksten Familie nicht alles schiefgelaufen sein kann.

Missverständnisse unter Brüdern

Das Problem ist eher die Generation dazwischen. Danny, der ein Künstler wie Harold werden wollte (seine Musikerkarriere verlief im Nichts), leidet darunter, dass der Vater ihm stets seinen Halbbruder Matt (Ben Stiller) vorgezogen hat. Der wiederum hat von der Bewunderung seines Vaters nichts mitbekommen, weswegen er – ein symbolischer Vatermord – jetzt irgendwas mit Finanzen macht. Das große Missverständnis zwischen den Brüdern wird ganz nonchalant am Schluss verraten (wenn auch nicht versöhnlich aufgeklärt): Das Kunstwerk, das der Vater dem einen Sohn (Matt) gewidmet hat, steht eigentlich dem anderen (Danny) zu. Ihr Streit auf dem Rasen vor dem Krankenhaus, in das Harold nach einem Schlaganfall eingeliefert wird, ist die schönste Szene des Films. Ungehemmte Emotionen unter Kindmännern. Nachdem sich die Brüder ihre Gefühlen gestanden haben, endet das Gespräch in einer Prügelei. Awkward ist gar kein Ausdruck.

Im vertrauten New Yorker Milieu

Baumbach schlägt mit „The Meyerowitz Stories“, der in Cannes im Mittelpunkt der sogenannten Netflix-Kontroverse stand, keine neuen Töne an, er findet in seinem vertrauten Milieu, der jüdischen Mittelklasse New Yorks, aber einen griffigen Naturalismus, nicht zuletzt dank Kameramann Robbie Ryan.

Zwischen die männlichen Neurosenbündel schiebt sich mit zunehmender Präsenz Schwester Jean (Elizabeth Marvel), die still unter der Familie leidet. „Ihr habt ja keine Ahnung“, meint sie einmal mit geknickter Körperhaltung, „was es heißt, in meiner Haut aufgewachsen zu sein.“ Jeans spröde Kommentare sind das Korrektiv in dieser Katastrophenfamilie, die die prägendste Eigenschaft ihres Oberhaupts schmerzhaft verinnerlicht hat: eine hohe Toleranzschwelle für zwischenmenschliches Unbehagen.
Ab 13. Oktober auf Netflix

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