Eröffnung der Elbphilharmonie: Eine Höhle voller Harmonie
Wie klingt sie denn nun, die Hamburger Elbphilharmonie? Unser Kritiker hatte keinen guten Platz, aber auch dort klang es: fantastisch! Und nach 21. Jahrhundert.
Hanseatisches Understatement geht anders: „Klang Welt Wunder“ schreit es in großen Lettern von den Plakaten, die überall die Eröffnung der Elbphilharmonie betrommeln. Wer so für sich wirbt, muss von sich überzeugt sein. Oder mächtig Druck haben. 15 Jahre sind seit der ersten Skizze für das Konzerthaus auf dem alten Kaispeicher vergangen, mit der die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron die Hamburger Herzen entflammten.
Zehn Jahre zähen Ringens beanspruchten die Bauarbeiten, am Ende flossen 789 Millionen Euro Steuergeld in den Prestigebau. Da muss das Ergebnis ja ein Knaller werden. Ein Hingucker, der die Kaufmannsstadt ins Bewusstsein der globalen Öffentlichkeit katapultiert. Vor allem: ein Klangweltwunder. Tatsächlich ist es den Architekten und ihrem Akustiker Yasuhisa Toyota gelungen, einen Saal für das 21. Jahrhundert zu schaffen, optisch wie akustisch. Klarheit, Wärme, lichter Klang – die Rechnung ging auf. Aber der Reihe nach.
Mit der Hitparaden-Logik hatten die Initiatoren von Anfang an argumentiert: Unter die Top Ten im internationalen Konzertsaal-Ranking würde es dieser neue Saal schaffen, in einem Atemzug zu nennen mit dem Wiener Musikverein, dem Concertgebouw Amsterdam, mit Boston, Luzern, Los Angeles – und der Berliner Philharmonie. Scharouns Wurf von 1964, der erstmals das demokratische Prinzip des „Weinberg“-Saals verwirklichte, bei dem das Publikum die Musiker umringt, galt Yasuhisa Toyota als Referenzgröße. Die Stararchitekten dagegen, in deren Portfolio ein Konzertsaal bislang fehlte, orientierten sich als bekennende Fußballfans eher am Stadionbau.
Auf der relativ kleinen Fläche, die vom Kaispeicher vorgegeben war, haben sie einen extrem steil aufragenden Saal geschaffen, als Pendant zu jenen Ballsportarenen, bei denen die Zuschauer nahe am Geschehen sitzen. Weil sich so die emotionale Erregung vom Platz am intensivsten auf die Ränge übertragen lässt. Bekanntestes Beispiel für diesen Sportstättentyp: der Spielplatz von Bayern München – von Herzog & de Meuron.
Wer am Mittwochabend nach umständlichem Eintrittskarten-Ausgabe-Prozedere und Personenkontrolle endlich den mit so viel Vorschusslorbeeren bedachten Raum betritt, dem drängt sich eine andere Metapher auf, die einer Höhle. Einer sehr geräumigen zwar, die den Besucher freundlich empfängt, aber eben doch einer Höhle. Weil die Wände so organisch gewachsen wirken, wie von urzeitlichen Strömen ausgewaschen.
Dabei ist hier alles Hightech. Der gesamte 2100Plätze-Saal wurde akustisch vom übrigen Gebäude abgekoppelt, damit weder Schiffssirenen noch das Stampfen von Lastkahnmotoren ins Innere dringen. Sein Gewicht von 12.500 Tonnen ruht auf 362 Stahlfederpaketen. Außerdem wurde jede einzelne Platte der „Weißen Haut“ – der Wandverkleidung – nach Computerberechnungen individuell gefräst. Das ergab bei 6000 Quadratmetern Oberfläche genau 999.987 Schallrillen – und kostete statt der zunächst avisierten 3,5 Millionen am Ende 15 Millionen Euro.
Im Großen Saal stecken also höchste Ingenieurskunst und raffinierteste 3D-Technik. Und doch wirkt er naturnah, ja fordert von seinen Besuchern alpinistischen Ehrgeiz. Viele, viele Treppen gilt es auf dem Weg zum Kunstgenuss zu bewältigen. Das Publikum auf den billigen Plätzen sollte schwindelfrei sein, denn die oberen Ränge hängen wie Schwalbennester in diesem Musikgletscher.
Ein Schallbrecher, der wie ein Ufo durch die Decke dringt
Hat man allerdings diesen Parcours hinter sich gebracht, weil einem am Eröffnungsabend ein Platz in höchster Höhe hinter dem Orchester zugewiesen wurde, dann eröffnet sich eine weitere faszinierende Perspektive: Auf den Schallbrecher über der Bühne nämlich, der wie ein Ufo durchs Deckengewölbe dringt, ein gigantischer Trichter, an dessen konvexer Unterseite Dutzende Scheinwerfer den Eindruck erwecken, als setzte ein Raumschiff zur Landung an.
Das Flugobjekt war eine Forderung des Akustikers: Bei einer Raumhöhe von 25 Metern würden die Töne des Orchesters sonst förmlich verpuffen. So aber können sie rechtzeitig reflektiert werden, um sich an den schrundigen Wandflächen erneut zu brechen, ehe sie zu Gehör kommen. Nur wenn die einzelnen Schallwellen unterschiedlich lange Laufzeiten haben, ergibt sich ein Nachhall, der noch schwingt, wenn der einzelne Ton bereits verklungen ist. Und nur eine solche Akustik empfindet der Mensch als angenehm.
Klarheit, Wärme, lichter Klang: Dirigent Thomas Hengelbrock sorgt für Brillanz
Mit mathematischen Vorberechnungen können Akustiker viel erreichen – bei der Elbphilharmonie gab es eine viermonatige Testphase in einem extra angefertigten, fünf mal fünf Meter großen Modell. Doch letztlich, das weiß Yasuhisa Toyota, entscheidet das persönliche Gefühl jedes einzelnen: „Mit der Akustik ist es ähnlich wie mit Whiskey: Selbst Experten können nicht erklären, warum der eine gut schmeckt und der andere nicht.“
Mittwoch um 23 Uhr, am Ende des vierstündigen Eröffnungsmarathons, gibt es verschiedene Meinungen, die je nach Sitzposition bis hin zu „steril“ oder gar „unzumutbar“ gehen. Ganz oben hinter dem Orchester aber, dort wo sich in konventionellen Sälen die miesesten Plätze befinden, klingt die Elbphilharmonie: fantastisch. Selbst das feinste Pianissimo hat hier noch eine enorme Präsenz. Klarheit und Wärme verbinden sich auf ideale Weise, das Blech entfaltet festlichen Glanz, die Streicher sind brillant, ohne allzu poliert zu wirken, und selbst bei voller Orchesterpower entsteht nie der Eindruck des Wuchtigen.
Die Optik tut ihr Übriges: Die grauen Sitzbezüge der vom italienischen Luxushersteller Poltrona Fraugefertigten Sessel, der helle Eichenfußboden, die Beige-Töne der Wandverkleidung lassen den futuristischen Raum wohnlich wirken. Der lichte, geradlinige Klang passt perfekt dazu – und hat alle Vorzüge des Protestantischen. Hier soll nicht im wattigen Wohlklang geschwelgt werden, hier wird kein Gottesdienstersatz geboten. Die Überwältigungsästhetik so mancher spätromantischen Partitur dürfte in der Elbphilharmonie kaum verfangen. In dieser Halle ohne Hierarchie stehen die Komponisten nicht auf dem Sockel.
Neugier und Mut - das Eröffnungskonzert wird zum Manifest
Hier findet auch keine Feier der glorreichen Vergangenheit statt, hier werden alte Werke lebendig für heutige Hörer. Beim Festakt, bei dem Bundespräsident Joachim Gauck von einem „Feiertag des Bürgersinns“ spricht und Jacques Herzog betont, er wolle Gebäude schaffen, die von ihren Nutzern geliebt werden, führt Thomas Hengelbrock, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, in den Zwischenspielen vor, wie das geht: Beethovens „Geschöpfe des Prometheus“, Mendelssohns „Ruy Blas“-Ouvertüre und der Schlusssatz aus Brahms’ 2. Sinfonie werden zu Musterbeispielen des vitalen Musizieren, ja, der klingenden Aufklärung.
Im eigentlichen Konzert wird Hengelbrock noch radikaler und stellt ein klingendes Manifest für das Hohe Haus an der Elbe vor: Neugier und Mut sollen regieren, interpretatorische Arbeit jenseits der Konventionen. Ausschließlich Werke des 16. und des 20. Jahrhunderts hat er für den ersten Teil ausgewählt. Hengelbrock lässt sie in pausenlosem Übergang spielen, im Wechsel von großer Besetzung und kleinen Formationen an verschiedenen Stellen im Saal, in krassen Kontrasten, bei denen auf die volle Phonstärke des Orchesters eine zarte Kombination von Harfe und dem Countertenor Philippe Jarrousky folgen kann.
In der Oper in Sydney ist die Akustik längst nicht so gut
Auch das „Parsifal“-Vorspiel zur Eröffnung des zweiten Teils wird bei Hengelbrock nicht zur Ouvertüre eines „Weihfestspiels“, sondern bleibt so transparent, dass man förmlich in die Struktur des Tonsatzes hineinschauen kann. Und auch Beethovens „Götterfunken“-Finale, das der Dirigent als einzigen Klassik-Hit im raffiniert konstruierten Programm duldet, kommt nicht staatstragend daher, sondern als Jubelfeier der Freiheit.
Mit der Elbphilharmonie hat Hamburg das Potenzial, Deutschlands Musical-Hauptstadt zu bleiben und eine Klassik-Metropole zu werden. Die Elbphilharmonie ist eben doch ganz anders geworden als das Opernhaus von Sydney, das gern zum Vergleich herangezogen wird. Der Bau hat 14 Jahre gedauert, 14 Mal so viel gekostet wie veranschlagt – und dem Kontinent letztlich nicht mehr als ein Logo beschert. Die Akustik in Sydney ist, laut Hamburgs Opernchef Kent Nagano, „vorsichtig ausgedrückt nicht optimal“.
Das neue Wahrzeichen in der Hafencity dagegen wird, wenn alles gut läuft, mehr sein als nur eine klangvolle Adresse.
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