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Ganz Ohr. Der 1964 in Wien geborene Christoph Lieben-Seutter ist seit 2007 Intendant der Laeiszhalle sowie der Elbphilharmonie.
© Michael Zapf

Eröffnung der Elbphilharmonie: Begegnung mit Intendant Christoph Lieben-Seutter

Zehn Jahre hat es von der Planung bis zur Eröffnung gedauert. Christoph Lieben-Seutter im Gespräch über die Erwartungen an die Akustik, seine Programmlinien – und den hysterischen Vorverkauf.

Wer abergläubisch ist, könnte das für ein schlechtes Omen halten: Zehn Tage nach der Eröffnung der Elbphilharmonie treten dort die Einstürzenden Neubauten auf. Der Intendant des Hauses, Christoph Lieben-Seutter, dem man seinen Geburtsort Wien deutlich anhört, ist dagegen ein „eher ironisch veranlagter Mensch“. Weshalb es dem 52-Jährigen durchaus reizvoll erschien, „das Recht der ersten lauten Nacht“ an die 1980 gegründete Berliner Band zu vergeben.

„Wir wollten eine stilbildende deutsche Formation einladen, und wenn man genauer darüber nachdenkt, gibt es da gar nicht so viele Gruppen, die sich anbieten.“ Die Neubauten haben dann auch sofort zugesagt, am 21. Januar „Greatest Hits“ zum Besten zu geben. Lieben-Seutter, dem ihre experimentelle Musik seit der Kindheit vertraut ist, nennt sie „Klassiker der Avantgarde“.

Während des dreiwöchigen Eröffnungsfestivals wird auch Jazz zu hören sein – der Pianist Brad Mehldau gibt einen Soloabend – sowie Weltmusik: mit dem indischen Sarangi-Virtuosen Dhruba Ghosh einerseits sowie an einem Abend, bei dem der Cellist Yo-Yo Ma auf syrische Musikerkollegen trifft. Akustisch ausgerichtet aber ist der große Saal vor allem für klassische Sinfonik. Neben internationalen Gastorchestern – beim Eröffnungsfestival werden die Wiener Philharmoniker und das Chicago Symphony Orchestra als Gratulanten dabei sein – sollen künftig vor allem zwei Hamburger Ensembles das Programm prägen.

Zum „Residenzorchester“ wurde das Orchester des Norddeutschen Rundfunks gekürt, das sich darum auch jüngst in NDR Elbphilharmonie Orchester umbenannt hat. Mit Thomas Hengelbrock hat es seit 2011 einen stilistisch ungemein vielseitigen Chefdirigenten, der in der ersten Saison so unterschiedliche Werke wie Haydns „Schöpfung“, Mahlers 2. Sinfonie, Songs von Gershwin, britische Barockkompositionen oder auch Wagners „Rheingold“ interpretieren wird.

Extrem ehrgeizig zeigt sich Kent Nagano, der Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper: Seine Elbphilharmonie-Konzertserie startet mit einer abendfüllenden Uraufführung. Beim derzeit äußerst gefragten Komponisten Jörg Widmann hat Nagano ein Oratorium in Auftrag gegeben. Im April wird er dann Gustav Mahlers „Sinfonie der Tausend“ aufführen, im Juni schließlich die nicht minder anspruchsvollen „Gurre-Lieder“ von Arnold Schönberg.

Das dritte Orchester der Hansestadt, die von Jeffrey Tate geleiteten Hamburger Symphoniker, treten dagegen weiterhin überwiegend in der traditionsreichen Laeiszhalle auf. Wer noch mit der ultramodernen Architektur der Elbphilharmonie hadert oder generell glaubt, dass sich eine festliche Atmosphäre nur in historischen Gebäuden einstellt, ist mit dem 1908 eröffneten, neobarocken Haus bestens bedient. Zudem, gibt Lieben-Seutter zu bedenken, ist die Laeiszhalle sehr bequem zu erreichen und verkehrstechnisch bestens angebunden.

Nun liegt auch die Elbphilharmonie nicht gerade peripher – eigentlich sogar „genau im Herzen der Stadt, an dem Fluss, durch den Hamburg erst Hamburg wurde“, wie der Intendant betont. Doch die Position an der Spitze der Insel, die jetzt Hafencity heißt, macht längere Fußwege von den nächsten Nahverkehrsstationen unvermeidbar. „Zudem müssen auch noch einige Höhenmeter überwunden werden, um zur Elbphilharmonie zu gelangen“, fügt Christoph Lieben-Seutter hinzu und meint damit die Position des Saales, der auf dem Dach des ehemaligen Kaispeichers errichtet wurde.

Wer aber erst einmal oben ist, den erwartet ein neuartiges Raumerlebnis. Und eine exzellente Akustik. Nachdem die NDR-Musiker ihre erste Probe im neuen Saal absolviert hatten, standen vielen von ihnen Tränen der Freude und der Rührung in den Augen, berichtete Christoph Lieben-Seutter im September in der Hamburgischen Landesvertretung in Berlin. Und auch jetzt noch, beim Interview kurz vor der Eröffnung, kommt er aus dem Schwärmen über die idealen Arbeitsbedingungen für die Instrumentalisten gar nicht mehr heraus. Sogar in den Sitzreihen, die sich hinter der mittig platzierten Bühne befinden, war er bislang mit dem Klangeindruck zufrieden. Und zwar selbst dann, wenn Choristen mitwirkten, die den dort Sitzenden ja zwangsläufig den Rücken zudrehen.

Karten sind kaum noch zu bekommen

Seinen Lieblingsplatz hat der Intendant darum noch nicht im neuen Saal gefunden: „Ich laufe ständig herum, wenn geprobt wird, kann mich immer nur kurz an einer Stelle halten, bevor es mich weiterzieht. Eines aber kann ich schon sagen: Von den oberen Rängen, wo die günstigeren Plätze liegen, ist der Blick in den Saal nicht nur atemberaubend – es klingt dort auch fantastisch.“

All jenen, die unbedingt und ganz schnell das neue Hamburger Wahrzeichen live erleben möchten, ist es derzeit allerdings fast egal, wo sie sitzen – Hauptsache, sie ergattern überhaupt ein Ticket. Nachdem sich die Abonnentenzahlen bereits lange im Voraus verdoppelt hatten, läuft der im Sommer vielversprechend gestartete Vorverkauf mittlerweile geradezu „hysterisch“, berichtet Lieben-Seutter. Und rät darum dazu, den Newsletter der Elbphilharmonie zur abonnieren: „Wir sind ständig dabei, Konzerte nachzuprogrammieren und geben die Termine dort dann aktuell bekannt.“

Um den Bürgern der Hansestadt, die zehn Jahre lang auf die Eröffnung der Elbphilharmonie warten mussten und deren Steuergelder in dem Prestigebau stecken, die Möglichkeit zu geben, sich „ihren“ neuen Konzertsaal zu erobern – gerade wenn sie noch nicht zur Klassik- Stammkundschaft gehören –, haben Christoph Lieben-Seutter und sein Team die „Konzerte für Hamburg“ erfunden: einstündige Kompaktkonzerte im Großen Saal mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und hochkarätigen Solisten. 60 000 Tickets ab sechs Euro waren für die 23 Termine zu vergeben. Und damit die Karten auch bei den richtigen Adressaten ankamen, wurden sie nur im Direktvertrieb vergeben, über die städtischen Büchereien sowie über einen Vorverkaufsbus, der durch die Viertel der Stadt gondelte wie einst ein motorisierter Tante-Emma-Laden über die Dörfer.

Das Programm - ein klassisches Viermaster

30 Prozent des Programms kann Lieben-Seutter mit seinem Etat selber veranstalten. Doch sowohl mit den örtlichen Orchestern wie auch mit den privaten Konzertdirektionen, die den Saal regelmäßig mieten, klappt die Kooperation so gut, dass nicht nur Repertoire-Doppelungen vermieden werden, sondern die Partner sogar bei den Festivalprojekten des Intendanten mitmachen. In dieser Saison rücken diese beispielsweise New York und Island ins Zentrum und bieten Rising Stars, Kompositionen aus Syrien oder auch amerikanischer Minimal Music ein Forum.

Als klassischer Viermaster präsentiert sich also das Elbphilharmonie-Programm, mit traditioneller Sinfonik, Neuer Musik, Jazz und Poppig-Rockigem. Neben den Einstürzenden Neubauten werden aus Berlin in dieser Saison übrigens auch auch Simon Rattle und die Philharmoniker sowie Daniel Barenboim und seine Staatskapelle die Akustik des neuen, spektakulären Hauses austesten.

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