Eröffnung der Elbphilharmonie: Nach dem Vorbild der Natur gebaut - Ein Rundgang
Von außen erhebt sich die Elbphilharmonie wie ein glitzernder Kristall, im Innern vereint sie glasklare Akustik und atemberaubende Sicht auf den Strom der Elbe. Ein Rundgang.
Kein Bericht, geschweige denn eine Geschichte über die Elbphilharmonie kann ohne ausführliche Schilderung des Finanzdesasters auskommen, das die Entstehung dieses Bauwerks begleitet hat. Die Architekten, das Basler Duo Jacques Herzog und Pierre de Meuron, machten sich vor ein paar Jahren bei der Architekturbiennale in Venedig einen Spaß daraus, die Zeitungsartikel mit den dröhnendsten Schlagzeilen an die Wände zu heften – als ihren Beitrag zur weltweit bedeutendsten Architekturausstellung!
Seht her, sollte das heißen, über uns wird so negativ berichtet, aber uns ficht das nicht an, wir machen einfach großartige Architektur. Und damit trafen die beiden Baumeister ins Schwarze. Fortan verstummte das kritische Geraune, das bis dahin auch in Architektenkreisen zu vernehmen war. Dass das Gebäude zehn Mal so viel gekostet hat wie ursprünglich von der Privatinitiative geschätzt – geschenkt. Die Freie und Hansestadt Hamburg erkannte, dass es nur einen Weg aus den schlechten Schlagzeilen gab und gibt: nämlich unendlich stolz zu sein auf dieses Bauwerk und es als architektonisches Weltwunder zu preisen.
Und, ja, ein architektonisches Weltwunder ist es in der Tat. Selbst wenn man als letzten verbliebenen Einwand ins Feld führt, dass auch mindestens ein Wunder herauskommen muss, wenn man derart viel Geld in der Elbe versenkt beziehungsweise, pardon, auf den alten Speicher an der Spitze der Speicherstadt aufhäuft.
Die Idee, einen Konzertsaal und, mehr noch, einen Musiksaalkomplex plus Wohnungen und Hotel auf ein vorhandenes Backsteinlagerhaus aufzusatteln, ist spektakulär genug. Was sich aber am Ende der künstlichen Elbinsel erhebt, ist ein glitzernder Kristall, ein Gebirge, ein Gletscher oder aber ein Segelschiff mit geblähten Segeln – und was der Metaphern mehr sind, die sich unwillkürlich einstellen angesichts des Zusammenspiels von Wasser, dunkel-schwerem Unterbau und weiß glänzendem, gezackten Aufsatz. Dass Architektur und Musik verwandt seien, hat schon die Antike postuliert, bei Platon finden sich ausgefeilte Analogien. Goethe hat die Architektur eine „verstummte Tonkunst“ genannt und dabei ältere Formulierungen aufgegriffen. Herzog & de Meuron waren solche Analogien selbstverständlich bewusst, und sie konnten in der Gestaltung sowohl des großen Konzertsaales wie in dem sich zur Inselspitze hin gezackt aufschwingenden Dach auf das Berliner Vorbild von Hans Scharouns Philharmonie am Tiergartenrand zurückgreifen. Man darf durchaus sagen, dass die Elbphilharmonie eine Abwandlung dieses Vorbildes darstellt, denn sowohl die Rundum-Anordnung der Hörer im Großen Saal mit seinen 2091 Plätzen wie auch das unregelmäßige Auf und Ab dieser veritablen „Dachlandschaft“ hat Scharoun vorgeprägt.
Höchstmaß an technischen Maßnahmen
Das Hamburger Bauwerk allerdings ist ungleich größer und komplizierter, fasst es doch – von der vorgegebenen Grundfläche des massigen Kaispeichers ausgehend – zusätzlich ein Hotel und zahlreiche Wohnungen in eine einzige, verbindende Hülle, übrigens aus mit Pixeln unregelmäßig bedruckten Glaspaneelen, die im Licht der Sonne farbig glänzen.
Die ingenieurtechnischen Schwierigkeiten der Elbphilharmonie mag man sich kaum ausmalen; allein die Forderung, die Motorengeräusche und Vibrationen der auf dem Fluss vorbeifahrenden Ozeanriesen vollständig auszublenden, um den Orchesterklang bis ins leiseste ppp nicht zu stören, und umgekehrt nicht beim Tutti die Hotelgäste aufzuschrecken, zeitigte ein Höchstmaß an technischen Maßnahmen – voran die Lagerung des Saales auf 362 Federbeinen. Die Architektur verbirgt die Technik. Herzog & de Meuron sind keine Funktionalisten der zwanziger Jahre, die die technischen Eingeweide vorzeigen, sondern im Gegenteil Meister der Verhüllung.
Das beginnt bei der spektakulären Rolltreppenauffahrt, nach Londoner Vorbild „Tube“, also Röhre geheißen, die mit einer sich verengenden und dann wieder weitenden Hülle umgeben ist, als ob der Besucher sozusagen „auf die Welt kommen“ soll. Dann der inszenierte Blick auf die Elbe durch das große Fenster oben im Kaispeicher; auch das ist Teil der Architektur.
Über das „Plaza“ genannte Foyer geht es weiter nach oben bis in den Großen Saal. Der nun brilliert mit 11 000 individuell computergefrästen Gipsfaserplatten, die eine perfekte Akustik sicherstellen sollen. Auch hier ist wieder ein organisches oder allgemein der Natur nahes Moment sichtbar, denn die unregelmäßigen Vertiefungen der Platten lassen an die Baupläne von Pflanzen oder an Mineralien denken, an Einheit in der Vielfalt.
Die Sitzreihen des Saales steigen steil an, der maximale Abstand zum Dirigenten überschreitet nicht die 30-Meter-Marke. Derlei ist heute Standard, etwa in der Pariser Philharmonie von Jean Nouvel. Die Farbgebung ist zurückhaltend; die weißen, eher weißgrauen Akustikplatten harmonieren mit den grau gemusterten Wollbezügen der eigens entworfenen Klappsessel sowie dem Boden aus Eichendielen; mattschwarz nehmen sich die Geländer zurück, die wegen des Anstiegs der Ränge vor jeder Sitzreihe aufragen; mattweiße Kugellampen geben mildes Licht.
Ein Kristall mit allerreichstem Innenleben
Der Kleine Saal vereint maximal 572 Plätze auf ansteigenden Reihen in frontaler Anordnung. Hier sind die Akustikwände aus gefräster Eiche, die Decke hingegen – oval über dem Rechteck des Saalgrundrisses – ist offen für variable Scheinwerferkonfigurationen.
Die anderen Bereiche des Bauwerks bekommt der gewöhnliche Besucher nicht zu sehen, weder das Hotel noch gar die (Luxus-)Apartments, die die beste Seite mit Blick über den Strom elbabwärts für sich haben. Das vielleicht Erstaunlichste an den Basler Baumeistern ist, dass sie für jede Aufgabe eine völlig neue, eigenständige Architektur entwickeln. Mit Wohnungen im gehobenen Segment haben sie erst jüngst Erfahrungen sammeln können; so schufen sie in New York einen 60 Stockwerke hohen Wohnturm mit wie Schubladen auskragenden Balkonen.
Das war in Hamburg nicht möglich: Hier sind die Fassaden glatt und geschlossen, das Gebäude wirkt wie ein – ja, eben wie ein Kristall. Aber einer mit allerreichstem Innenleben.