Dresdener Doppelbühne: Ein verrücktes Paar
Dresden investiert 93 Millionen Euro in eine neue Doppelbühne: Das Theater der jungen Generation und die Staatsoperette rücken damit endlich von der Peripherie ins Stadtzentrum.
Na, das wird eine lustige Wohngemeinschaft: Gräfin Mariza und der kleine Muck, Schneewittchen, Momo und der Zigeunerbaron, vereint unter einem Dach! Unter der Stahlkonstruktion einer alten Maschinenhalle nämlich, die gerade zum gemeinsamen Foyer der Staatsoperette Dresden und des Theaters der jungen Generation (TjG) umgebaut wird. Im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte am Wettiner Platz, keine 800 Meter vom Zwinger entfernt, entsteht eine Doppelbühne, die zwei traditionsreiche Dresdner Kulturinstitutionen endlich ins Zentrum holt.
Direkt nach dem Krieg hatte man in einer ehemaligen Tanzgaststätte im Außenbezirk Leuben behelfsmäßig ein Haus für die Leichte Muse eingerichtet – das dann zum Dauerprovisorium wurde. Ebenso wie jener schmucklose Flachbau des TjG, immerhin des zweitältesten Kindertheaters Deutschlands, am anderen Ende der Stadt gelegen, draußen an der Meißner Landstraße. Während man in den sechziger Jahren einen monumentalen Kulturpalast neben der Frauenkirchenruine hochzog und in den achtziger Jahren dann die Semperoper im alten Prunkt wiedererstehen ließ, blieben just jene beiden Kunstsparten, auf die seitens der Hochkulturmacher und -besucher sowieso gerne abschätzig herabgeblickt wird, auch im urbanen Gefüge marginalisiert.
Am Wettiner Platz herrscht Bauhaus-Ästhetik
Damit aber ist jetzt Schluss, wenn Mitte Dezember der neue Kulturstandort Heizkraftwerk eröffnet wird. Insgesamt 120 Millionen Euro nimmt die Stadt in die Hand, um das 39 000 Quadratmeter große, tortenstückförmige Areal zu neuem Leben zu erwecken, 93 Millionen davon sind allein für die Doppelbühne reserviert.
Direkt am Wettiner Platz zieht eine elegante, streng-schöne Industriearchitektur die Blicke auf sich, Ziegelbauten in Bauhaus-Ästhetik, teils aus den Zwanzigerjahren, teils nach 1945 erbaut, mit schlanken, haushohen Fenstern. An deren Raster hat sich der in Hamburg ansässige Architekt Jörg Friedrich für seine Neubauten orientiert, die zwischen die historischen Hallen eingefügt werden. Rechteckige Metallplatten bilden die Außenhaut, teils durchlöchert, um Tageslicht in die dahinter liegenden Räume zu lassen. Im Sockelbereich wurde so genannter Corten-Stahl verwendet, der schon vor 50 Jahren einmal en vogue war und beispielsweise die „Rostlaube“ der FU Berlin optisch prägt. In Dresden harmoniert der Farbton, den die verwitterte Oberfläche annimmt, mit dem Backstein der Bestandsbauten. Roten Klinker wiederum hat Architekt Friedrich auch als Material für die beiden neuen Bühnentürme gewählt.
Kindertheater trifft auf Operette
Bereits 1994 war das Heizkraftwerk Mitte stillgelegt worden, lange wurde danach um die beste Nachnutzung gerungen. Manches Gebäude war schließlich nicht mehr zu retten, die Konstruktion der hohen Maschinenhalle aber erwies sich als tragfähig – und darum wurde hier die Pausenhalle angelegt, in archaischer Bestands-Optik mit unverputztem Mauerwerk, rostigen Stahlträgern und simplem Zinkblech als Dachverkleidung. Unter der Woche werden die zwei Zielgruppen sich hier kaum begegnen, weil die Kinder-, Jugend- und Puppentheaterstücke ja zumeist vormittags für Schulklassen gezeigt werden, während die Erwachsenen abends ins Haus kommen. Am Wochenende aber, bei Nachmittagsvorstellungen, können sich die sehr unterschiedlichen Besucherschichten mischen, also die tendenziell eher älteren Liebhaber der Operette mit den Familien. Und im Idealfall bekommen beide Lust, auch mal ins jeweils andere Genre hineinzuschnuppern.
Das Theater der jungen Generation wird innerhalb des Komplexes künftig über drei Spielstätten verfügen, zwei traditionelle Guckkastenbühnen mit 350 respektive 125 Plätzen sowie eine Blackbox für experimentellere Produktionen. Über 100 Plätze mehr als bisher kann die Staatsoperette bespielen, in einem modernen Saal, der mit seinen rot leuchtenden Wandverkleidungen, dem Eichenparkett und den schwarzen Sesseln versucht, eine zeitgemäß festliche Atmosphäre anzubieten.
Viel Raum für Gedanken in den umliegenden Straßen
Was die Klimatechnik und die Bühnenausstattung angeht, dürften selbst nostalgisch veranlagte Liebhaber von Johann Strauß, Lehár, Lincke und Co die Verbesserungen gegenüber dem alten Standort zu schätzen wissen. Knifflig waren die akustischen Anforderungen der Nutzer: Für Operettenabende soll die natürliche Akustik des Raumes ideale Voraussetzungen bieten, bei Musical-Produktionen, die rund die Hälfte des Repertoires ausmachen, braucht man eine ausgetüftelte Tontechnik.
Der Haupteingang der Staatsoperette wie des TjG liegen im Herzen des Areals, an der neuen Theatergasse, über die die Besucherströme künftig vom Wettiner Platz ins Innere des Kreativquartiers geleitet werden. Auf der gegenüberliegenden Seite gehen erst im Herbst die Umbauarbeiten der historischen Industriebauten los. Als Mieter stehen aber bereits die Dresdner Musikhochschule, die Heinrich-Böll-Stiftung sowie das städtische Schütz-Konservatorium fest. Außerdem sollen hier Galerien, Ateliers, Co-Working-Spaces, Kneipen, Klubs und ein Energiemuseum Platz finden. Viel Raum für Gedanken ist auch noch in den umliegenden Straßen. Während das retrobarocke Puppenstubenviertel rund um die Frauenkirche seiner Vollendung entgegenstrebt, trifft man hier noch auf die typische Dresdner Mischung aus schmucklosen Fünfzigerjahre-Wohnblocks, real existierenden Plattenbauten, vorbildlich renovierten Gründerzeit-Häusern und den glatten Fassaden der Nachwende-Investorenarchitektur.
Weitere Infos: www.tjg-dresden.de und www.staatsoperette-dresden.de
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