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Klang der Abwesenheit. In ihrem Projekt „Museum of the Diagonal Man“ greift Renata Lucas auf irritierende Weise in die Architektur ein.
© Renata Lucas/Neugerriemschneider

Ausstellungen: Ein Rundgang durch das Gallery Weekend

Die Etablierten, die Neuen, die Unterschätzten: Beim Gallery Weekend vom 1. bis 3. Mai punkten die Künstlerinnen – semiabstrakt, mit Textilskulpturen und rostendem Stahl. Das große Thema der ausgestellten Werke: Der Umgang mit dem Material und das Ergründen des Sozialen.

Hinter der braunen Plattenbaufassade vermutet man weder Glamour noch Kunst. Doch findet sich, versteckt im Hof einer Wohnanlage, das Domizil der Galerie Neu. In einer würfelförmigen Remise aus Waschbeton zeigt die Berliner Künstlerin Klara Lidén eine Installation aus Plastikkanistern und Gehwegplatten, die keineswegs so willkürlich angeordnet sind, wie es zunächst scheint. Wenige Straßen weiter hat die brasilianische Künstlerin Renata Lucas im Hof der Galerie Neugerriemschneider einen Brunnen gebaut. Kunst schmiegt sich in Räume, wanzt sich unbemerkt an den Betrachter und tut unscheinbar, wo sie große Fragen verhandelt. Was oft so marginal aussieht, sind in Wirklichkeit präzise Setzungen, bei denen es auf die Details ankommt. Das große Bild erschließt sich beim Gallery Weekend nur im Überblick – und den muss man sich bei dieser über die ganze Stadt verstreuten Superschau selbst erlaufen.

Die Kunst-Karavane zieht von Berlin nach Venedig bis nach New York

Die Galerien präsentieren nicht nur Kunst, sondern ebenso ihre Räume und die Stadt. Es ist genau diese Kombination, die das Wochenende so attraktiv macht. „In diesem Jahr haben sich viele Gäste aus New York und Südamerika angekündigt“, sagt Maike Cruse, seit zwei Jahren Direktorin der Veranstaltung. Parallel zu den offiziellen Teilnehmern öffnen weit über hundert andere Kunstorte ihre Pforten.

2014 verzeichnete das Weekend etwa 20 000 Gäste von außerhalb. Ähnliches ist auch diesmal zu erwarten. Gerade für Sammler, Kuratoren und Museumsleute aus Übersee beginnt damit ein anstrengender Kunstmarathon: Viele von ihnen reisen von Berlin weiter zur Biennale in Venedig, die nächste Woche beginnt. Einige Galerien haben deshalb auch am Montag geöffnet, um den Tag bis zur Preview in Venedig zu überbrücken. Mitte Mai fliegen dann alle nach New York zur Kunstmesse Frieze. Berlin ist in diesem internationalen Parcours nur dann ein lohnendes Ziel, wenn die Stadt Überraschungen bietet – wenn etwa die Begrüßung im Kino International über die Bühne geht und das exklusive Dinner für Kunstsammler, Galeristen und Museumsleute im Kronprinzenpalais Unter den Linden, an Orten mit nostalgischem DDR-Charme. Das dürfte zünden. Ansonsten wird zwischen den Ausstellungsstandorten gecruist, in der schwarzen Gallery-Weekend-Limousine, per Fahrrad oder zu Fuß. Und die rappelvollen Eröffnungen beweisen, dass das Weekend nicht nur ein Tummelplatz für Promis ist, sondern auch für kunstinteressierte Berliner.

Die Geschäfte machen immer noch die Männer, doch die Künstlerinnen kommen

Einen roten Faden wird man in diesem üppigen Kunstangebot nicht leicht finden. Ins Auge sticht allerdings die starke Präsenz von Künstlerinnen. Die sicheren Geschäfte werden im Kunstmarkt immer noch mit männlichen Positionen gemacht, doch nun scheinen die strategischen Nachteile der Frauen immer mehr zu schwinden. Etablierte Positionen wie Isa Genzken, Rosa Barba, Katharina Grosse und Magdalena Abakanowicz sind ebenso zu sehen wie Werke von um 1980 geborenen Künstlerinnen, die international erfolgreich sind, etwa von der in Berlin lebenden Koreanerin Haegue Yang mit Skulpturen in der Galerie Wien Lukatsch.

Entdeckungen gibt es auch. Die Galerie Croy Nielsen zeigt Installationen der in der Ukraine geborenen und in den USA ausgebildeten Olga Balema. Balema, deren „semiabstrakte“, objekthafte und dabei sehr emotionale Installationen zuletzt in Paris und New York großes Interesse weckten, hatte noch keine Soloausstellung in Berlin, obwohl sie hier lebt. Das Gallery Weekend ist also der perfekte Moment, um Balema mit neuen Arbeiten im großen Scheinwerferlicht zu zeigen, zudem in den eigenen Räumen der Galerie. „Das ist ein ganz anderes Erlebnis, als die Kunst an einem Messestand zu präsentieren“, meint Henrikke Nielsen, deren Galerie zum wiederholten Mal zum Gallery Weekend eingeladen ist. Nach wie vor gilt: Zur Teilnahme muss man von den veranstaltenden Galerien, die das Ereignis vor elf Jahren als Privatinitiative ins Leben riefen, um den schwachen Kunststandort Berlin zu beleben, explizit aufgefordert werden. Auch deshalb legen sich alle ins Zeug. Olga Balema hat die rechteckigen, mit Wasser, Stahlrohren, Drähten und bemalten Elementen gefüllten Kunststoffmatratzen, die sie 2014 im Fridericianum in Kassel zeigte, für ihre Schau bei Croy Nielsen weiterentwickelt. Die neue Serie ist voluminöser, medialer. Drähte rosten im Wasserbad, Farbpartikel lösen sich und verändern das Erscheinungsbild der Skulptur wie in einem Video.

Ein großer Mund schickt Worte in den Raum

Auch in Agnieska Polskas Kunst spielt das Wasser als kreatives Element eine Rolle. Polska beschäftigt sich in ihren Videoinstallationen, die sie in der Galerie Zak Branicka zeigt, mit Sprache. Bei ihr schwimmen Verben, Nomen und Adjektive in einer farbigen Flüssigkeit. Bei einer anderen Arbeit schickt ein großer Mund Worte in den Raum. Während Polskas Objekte in den Kreuzberger Galerieräumen installiert sind, hat die Galerie eine weitere Künstlerin aus einer anderen Generation eingeladen. Magdalena Abakanowicz, 1930 geboren, bekommt einen großen Auftritt in der St.-Elisabeth-Kirche in der Invalidenstraße. Die mit Textilskulpturen, den sogenannten Abakans, bekannt gewordene polnische Künstlerin wird in der Kirche eine Installation aus 83 kindgroßen Betonfiguren zeigen. Zusammen ergeben sie eine biomorphe Masse, in die der Besucher eintauchen kann.

Der Umgang mit Material, das Ergründen und die Visualisierung des Sozialen könnte ein gemeinsamer Nenner sein, der die Arbeiten der Künstlerinnen verbindet. Aber es reicht auch, sich den Details zu widmen. Bei Asta Gröting und der 1981 geborenen Maria Taniguchi aus Manila in der Galerie Carlier Gebauer lohnt sich das besonders, da beide ihre Themen – Familie, Beziehungen – beharrlich variieren, mit unterschiedlichen Materialien. Richard Mosse ist in derselben Galerie mit dokumentarischen Fotografien aus dem Kongo zu sehen, die in ein psychedelisches Pink getaucht sind. Und natürlich ist Mosse nicht der einzige Mann, der beim Gallery Weekend was kann.

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