Mitte: Sehnsucht nach Ausstellungen ohne Tamtam
Die vier Finalisten für den Preis der Nationalgalerie präsentieren sich im Hamburger Bahnhof. Wer bekommt das Preisgeld von 50 000 Euro?
Auf dem Weg ins Museum hätte man sie fast übersehen, die Kunst im Außenraum: ein sonderbares Gestrüpp, das in Form geschnitten ist. Überall gibt es in Parks und an begrünten Grundstückgrenzen langweilige Eiben, nur diese hier sehen anders aus. Nicht zum Busch gerundet, nicht zur Hecke akkurat auf Kante gebracht, sondern zum Container coupiert, der keinen Abfall sondern hochgewachsenes Unkraut enthält. Ein schönes Paradox: ein Müllcontainer aus natürlichem Material, der die seit zwanzig Jahren währende Bausituation rund um den Hamburger Bahnhof ebenso reflektiert wie den Wildwuchs auf den Brachen, die es hier immer noch gibt.
Der Schwedin Klara Lidén gefällt es, dass ihre Arbeiten auf den ersten Blick nicht zu entdecken sind. Die Überraschung gerät dadurch umso größer, und beim Besucher wächst das nagende Gefühl, nächstes Mal genauer hinschauen zu müssen. Bei der Biennale in Venedig hat die in Berlin lebende Künstlerin für diese Strategie eine lobende Erwähnung durch die Jury erfahren. Die meisten Besucher waren achtlos an ihren verbeulten Mülleimern vorbeigelaufen, die sie in verschiedenen Metropolen abgeschraubt und nun im Arsenale an die Wand montiert hatte. Am liebsten scheint die Künstlerin sogar selbst verschwinden zu wollen. In einem herzzerreißenden Video filmt sie sich von hinten am Schreibtisch ihres leeren Ateliers, um dann in eine danebenstehende Mülltonne zu kriechen, während Neil Young „Helpless“ dazu schmachtet. Samuel Beckett hätte seine Freude an dieser kleinen Aufführung.
Konträrer können zwei Absichten kaum sein. Hier die Künstlerin, die eigentlich den Ausstellungszirkus meidet und diesen Rückzug in ihren Betrachtungen städtischen Lebens immer wieder thematisiert. Dort der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst, für den die 31-Jährige nominiert wurde und um den sie nun mit drei weiteren Kandidaten effektvoll in einer gemeinsamen Ausstellung konkurriert. Die Longlist, die Shortlist, die Bekanntgabe der Nominierten und am Ende die Kür des Siegers durch eine zweite Jury – das alles folgt einer pathetischen Dramaturgie, die bei der Gründung des Preises vor elf Jahren ihren Sinn gehabt haben mag. Damals wollte man auf diese Weise die junge Kunst endlich auch ins Museum der Gegenwart holen, die außer in den Institutionen der Stadt überall sonst zu sehen war. Nun da sie angekommen ist, leidet das Spielchen um den Sieger an Ermüdung. Wenn überall sonst Eventisierung und Effekthascherei herrscht – nach der Rentierfarm von Carsten Höller baut gerade Tomás Saraceno seine hängenden Gärten in der historische Halle des Hamburger Bahnhofs auf –, wächst die Sehnsucht nach guten Ausstellungen ohne Tamtam.
Vielleicht erklärt das auch die aggressive Geste von Kitty Kraus, die sonst für ihre zarten Installationen bekannt ist. Erstmals präsentiert sie kinetische Skulpturen, bei denen die Griffstangen von Einkaufswagen wie überdimensionale Klappmesser oder rotierende Wurfgeschosse gefährlich in Bewegung gehalten werden. Die Künstlerin verbindet damit reichlich naiv Kapitalismuskritik. Der Besucher darf eine an die Wand gelehnte Griffstange sogar anfassen und sich fühlen, als hielte er einen Schlagstock in der Hand. Daneben hat die Bildhauerin selbstgeprägte Münzen ausgelegt. Das echte Preisgeld, die 50 000 Euro, von denen die Hälfte für einen Museumsankauf gedacht ist, hätte sie vermutlich trotzdem gerne. Am 28. September wird man es wissen; dann fällt die Jury ihre Entscheidung. Beim Publikumspreis dürfen auch die Besucher abstimmen; sie sollen schließlich mitzittern und damit den Hype erhöhen.
Wären da noch Cyprien Gaillard und Andro Wekua am Start. Beide sind mit großen Filmen vertreten, die die wachsende Bedeutung dieses Mediums für die Kunst betonen. Dass die Filmakademie am 28. parallel zum Preis für Junge Kunst eine eigene Auszeichnung verleiht, trägt nicht unbedingt zur Profilschärfung der Auszeichnung bei: Kunstfilm und Filmkunst wird so zum Einerlei. Der Hamburger Bahnhof nimmt hier die Filmakademie Huckepack und wäre doch besser beraten, filmische Arbeiten von Künstlern stärker zu fördern. Der Endzeit-Archäologe Gaillard liefert dafür ein großartiges Beispiel ab. Wenn die Arbeit professioneller Ausgräber gemacht ist, kommt er und schaut, was aus den Ruinen wird – diesmal im Irak. Mit seinem i-Phone filmte der in Berlin lebende Franzose die Stätten Babylons: wo sich die Reste von Husseins gestürmtem Palast befinden, Soldaten patrouillieren und sich noch immer Jahrtausende alte Scherben im Sand finden lassen. Krieg und Kultur, Vergangenheit und Gegenwart, Politik und Persönliches fallen in diesem filmischen Essay zusammen.
Auch im Fantasyfilm von Andro Wekua, dessen georgische Familie Anfang der Neunziger durch den Bürgerkrieg das einst mondäne Seebad Sochumi verlassen musste, schwingt die eigene Geschichte mit. Somnambul wandelt eine androgyne Figur, deren Gesicht hinter einer Maske verborgen ist, durch leere Räume, wo sie auf diverse Schreckensgestalten trifft. Ein Alptraum, aus dem auch die Wachsfigur zu stammen scheint, die im Ausstellungsraum aufgebahrt liegt, der Kopf einbetoniert in den monumentalen Sockel eines Miniaturhauses. Ein Erwachen gibt es nicht, nur ein Schaudern. Der Preis der Nationalgalerie könnte dem tragischen Schläfer zumindest ein Polster sein.
Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, bis 8.1.; Di-Fr 10-18, Sa 11-20, So 11-18 Uhr.
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