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Besucher auf der Kunstmesse ABC.
© dpa

Kunstmesse Art Berlin Contemporary (ABC): Das Bekenntnis zum Experiment

Hier darf jeder machen, was er will: Die Kunstmesse Art Berlin Contemporary (ABC) im Rahmen der Berlin Art Week ist eine wilde Gruppenschau. Tendenzen gibt es keine, Experimente dafür umso mehr.

„I love the art“ und „Immer weiter so!“ Solche Ausrufe waren am Eröffnungsabend der Kunstmesse Art Berlin Contemporary (ABC) im Innenhof der Station am Gleisdreieck zu lesen. Der Künstler Christian Jankowski hat Gästebucheinträge aus Galerien in Leuchtschriften überführt. Das ist doch mal was: Motivation für alle!

Wo immer derzeit in der Stadt über die Herausforderungen des Kunstmarktes diskutiert wird, sagen Experten: Jede Kunstmesse braucht ein Profil. Niemand will überall auf der Welt dieselben Galerien und immer dieselben Künstler sehen. Die ABC schafft das in diesem Jahr besser denn je. Alles ist klar: Es ist keine Messe, sondern eine Verkaufsschau mit Solopräsentationen. Wir sind unverkennbar in Berlin, denn es gibt mehr Platz als an jedem anderen Messestandort und jeder darf damit machen, was er will.

Dass Freiheit auch fordert, zeigt sich gleich beim Eintreten in die erste Halle. Rechts ein Kühlschrank im Dialog mit einem Ventilator von Haegue Yang (Wien Lukatsch). Daneben scheint ein riesiger Kronleuchter von der Decke gestürzt (Krištof Kintera, Schleicher/Lange). Diego Bianchi (Galerie Jocelyn Wolf) hat einen Raum aufgebaut, in dem neben Objekten aus seinem Atelier auch Menschen interagieren. Alles ist lose in der Halle verteilt, als wäre sie eine Bühne, auf der 100 Inszenierungen gleichzeitig zu sehen sind. Der Besucher muss sich entscheiden, wo er mitmachen will.

Zum ersten Mal dabei: die Future Gallery

111 Galerien nehmen in diesem Jahr an der ABC teil, etwa die Hälfte kommt aus Berlin. Darunter sind internationale Größen wie Arndt, Buchholz, Blain Southern, neugerriemschneider oder Galerie Neu, aber auch junge Galerien. Insgesamt haben es die Organisatoren mit Messe-Direktorin Maike Cruse geschafft, 26 neue nationale wie internationale Galerien zu gewinnen. Und die Newcomer, ob aus Berlin, aus Los Angeles oder Buenos Aires, haben es in sich.

Zum ersten Mal dabei ist die Future Gallery. Was als Wohnzimmerprojekt begann, ist mittlerweile eine Galerie mit ambitioniertem Ausstellungsprogramm. Zum Gallery Weekend im Frühjahr 2014 war dort die Gruppenschau „The Cable Guys“ zu sehen, die sich auf konstruktive Weise damit auseinandersetzte, dass die digitalisierte Realität eine allumfassende Bilderdatenbank ist. Das hat Eindruck hinterlassen. Nun sind sie mit Arbeiten des in Berlin beheimateten Künstlers Spiros Hadjidjanos in Halle 2 vertreten. Hadjidjanos zeigt eine Skulptur aus dünnen Aluminiumstäben. Es ist eine Visualisierung von Funkwellen, wie sie für jede drahtlose Internetverbindung notwendig sind (10 200 Euro). Der Künstler hat außerdem zwei Pflanzen-Fotografien von Karl Blossfeldt, die er als Bild im Internet fand, mit einer Software hochgerechnet und am 3-D-Drucker ausgedruckt (6500 Euro). Das Ergebnis sind zwei reliefartige Bilder, auf denen sich alle Strukturen und Spratzer des Originalfotos deutlich abzeichnen – ein Foto, das der Künstler nie in der Hand hatte.

Yves Scherer formt Emma Watson

Die verschwimmenden Linien zwischen Körper, Objekt und Virtualität spielen auch bei einer Frauenskulptur von Yves Scherer (Guido Baudach), die zart zwischen all den großen Installationen steht, eine Rolle. Scherer hat Internetbilder der Schauspielerin Emma Watson gesammelt, ließ daraus einen virtuellen Charakter bauen. Die CNC-Fräse macht den Rest (8000 Euro, Auflage 3). Emma steht da, sie ist aus Kunststoff, aber Scherer hat sie mit Kupfer überzogen. So sieht sie aus, als hätte Georg Kolbe sie höchstpersönlich geformt.

Ein roter Faden ergibt sich bei der abc nicht durch Reflexion, sondern schlicht durch Bewegung. Wer durch die Hallen mäandert, wird früher oder später Verbindungen zwischen den Positionen entdecken. Vielleicht brauchen das die Synapsen, um nicht durchzubrennen. Tatsächlich aber ist es eine wilde Gruppenschau, bei der keine Tendenzen erkennbar sind, außer dass alle irgendwie in den Raum hineinarbeiten. Natürlich gibt es bei der abc auch Malerei von erfolgreichen Herren, schließlich darf hier jeder machen, was er will. Da sind ganz frische, noch nach Farbe riechende Krikel-Krakel-Gemälde von Jonathan Meese (Galerie Krinzinger), abgetakelte Heroinen mit Schwert von Martin Eder (Galerie Eigen + Art) oder fantastische Narrationen in Öl von Bernhard Martin, dem Fred-Thieler-Preisträger 2015 (Galerie Thomas Schulte).

Sieben Streichhölzer, ein Künstler und ich

Auch wenn der Schwerpunkt nicht explizit auf Performance liegt wie 2013, passiert überall etwas. In einem Fotoautomat des Berliner Künstlers Fiete Stolte kann der Besucher ein Selbstportrait seines Auges machen und sofort mitnehmen (50 Euro). Kerim Seiler bügelt in seinem Bretterhaus, für das man eine Bauanleitung kaufen kann (250 Euro). John Bock bäckt Toast Hawaii für die „ins Licht getretene Trieb-Kreatur“. Es gibt eine Bühne und ein Kino, die mit Performances, Gesprächen und Filmen bespielt werden. Wer eine Auszeit braucht, kann Michael Kleines „Performance für einen einzelnen Besucher“ buchen. Eine Stunde in einem dunklen Raum, sieben Streichhölzer hat der Besucher zur Hand. Dazu gesellt sich der Künstler und macht, wonach ihm der Sinn steht.

Nach der Angst, die kurz aufkam, dass den privaten Initiatoren der Messe doch die Lust und die Puste ausgehen könnte, gibt es nun ein selbstbewusstes Bekenntnis zum Experiment. Der Sinn dieser oft zu ausladenden Solopositionen ist Aufmerksamkeit für einen Künstler zu erzeugen. Und vielleicht das Vertrauen darauf, dass er morgen noch weitermacht.

ABC, 19. und 20. 9.: 12–19 Uhr, 21.9.: 12 – 18 Uhr, Luckenwalderstr. 4–6

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