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Interview: „Wir neigen zum Plündern“

Bestseller-Autor Frank Schätzing über Albträume, Weltraum, Mensch und Meer – und seine Wursttheken-Methode

Frank Schätzing, geboren am 28. Mai 1957 in Köln, arbeitete für Werbeagenturen und als Musikproduzent, ehe er 1995 mit dem Mittelalter-Krimi „Tod und Teufel“ seinen ersten Roman veröffentlichte. Der Meeresthriller „Der Schwarm“ (2004) wurde zum Bestseller. Zuletzt schrieb er „Limit“, einen Science-Fiction-Roman. Der TV-Dreiteiler „Terra X – Universum der Ozeane“ (ab heute, jeweils samstags, Arte, 20 Uhr 15; oder ab 10. Oktober, 19 Uhr 30, im ZDF) wird von Frank Schätzing präsentiert.

Herr Schätzing, haben Sie schon mal Albträume gehabt, die mit unbekannten Lebewesen aus der Tiefsee bevölkert waren?

Ja, klar. Ich schwebte über dem Meer und sah dicht unter der Meeresoberfläche zigtausende Fische, manche mit unglaublichen Zähnen, einen riesigen Schwarm. Die schwammen alle aufs Land zu. Ich fand das äußerst bedrohlich. Und dann bin ich aufgewacht.

Schweißgebadet.

Nein, aber ich habe gedacht, ist ja irre, das Leben im Meer verschwört sich gegen den Menschen! Interessante Idee. Daraus musst du irgendwann einen Thriller machen, Titel: „Der Schwarm“. Wenn ich diesen Traum nicht gehabt hätte, gäbe es das Buch nicht.

Nach dem „Schwarm“ schrieben Sie „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“. Welche Bedeutung hat dieses Buch für den ZDF-Dreiteiler?

Das Buch ist die Basis. Es versucht, auf unterhaltsame Weise ein Komplettpanorama des Lebens in den Meeren abzubilden, inklusive seiner Geschichte und der Auswirkungen auf die Zukunft. Im Film wird es dramaturgisch anders erzählt, indem die Zeitachsen verschränkt werden. Es war uns wichtig herauszustellen, wie alles in den Meeren miteinander verknüpft ist und wie die Wechselwirkungen mit uns Menschen sind.

Worauf mussten Sie schweren Herzens verzichten?

Man kann in dreimal 45 Minuten nicht alle Facetten eines 500 Seiten starken Sachbuchs abbilden. Etliche Urzeitviecher konnten wir nicht zeigen. Wir haben uns in der Gegenwart stark auf Haie konzentriert, mussten aber zum Beispiel auf die Korallenriffe verzichten.

Wie viele Teile hätten es sein können oder vielleicht müssen?

Um wirklich komprimiert durch alle Inhalte des Buches zu gehen, hätten wir sieben oder acht Teile gebraucht.

Sie haben als Moderator eine Zeitreise-Maschine in der Hand, eine kleine Kugel, die aussieht wie die Kristallkugel eines Wahrsagers. Soll bedeuten: In diesem Film ist manches auch Fantasie und Spekulation, nicht nur Wissenschaft?

Nein, wir haben einfach überlegt, was ein bisschen putzig aussieht und nicht so aufwendig zu bauen ist.

Das Faszinierende des Themas macht gerade aus, dass man so wenig über das „Universum der Ozeane“ weiß. Lässt solch bildstarkes Fernsehen, wie es der ZDF-Film bietet, noch Raum für Zweifel?

Ich denke, ja. Allein, dass wir zeigen, wie dunkel es da unten ist. Da wird schnell klar, dass wir niemals endgültige Sicherheit über Vielfalt, Aussehen und Verhalten der Tiefseebewohner erlangen werden. Und es kommt schon zum Ausdruck, dass der Riesenanspruch der Forscher, nämlich eine Volkszählung in den Meeren durchzuführen, nicht wirklich zu leisten ist. Aber sie geben neue Einblicke und entdecken neue Spezies.

Inwieweit hatten Sie Einfluss auf Inhalt und Gestaltung des Dreiteilers?

Am Anfang haben wir uns über das Konzept ausgetauscht, dann habe ich mich rausgezogen. Ich hatte gar keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen, weil ich an „Limit“ schrieb. In Gedanken war ich eher im Weltraum.

Wenn ein Buch wie „Der Schwarm“ millionenfach verkauft wird, hat man als Autor dann die Hoffnung, dass man etwas bewirkt?

Im Nachhinein schon, aber nicht in dem Sinne, dass man mit der Fahne vorangeht und die Leute hinter sich schart. Ich habe eine tiefe Abscheu gegen alles Messianische. Eigentlich will ich mich und die Leute nur gut unterhalten. Allerdings faszinieren mich durchweg Themen, deren Umsetzung das Denken nicht reduziert, sondern fördert. Was mir dazu an Aspekten durch den Kopf geht, offeriere ich dem Leser wie in einer Wursttheke. Er kann sich daraus bedienen oder auch nicht.

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschheit zur richtigen Wurst gegriffen hat?

(lachend): Ein bisschen ja. „Der Schwarm“ ist ja nur ein kleines Puzzleteil, aber er hat hier und da Anstöße gegeben. Ich weiß, dass die Zahl der Studenten, die sich an den Universitäten für Meeresbiologie und Meeresgeologie eingeschrieben hat, nachweislich aufgrund des Buches enorm angestiegen ist. Das freut mich natürlich.

Kann eine einzelne Dokumentation, ein einzelnes Buch das Denken verändern?

Kaum, sieht man von der Bibel, dem Koran, Marx’ Kapital und einigen wenigen ab. Es ist der stete Tropfen, der den Stein höhlt.

Das Klima erwärmt sich, das Eis schmilzt, die Meere werden verschmutzt – was bereitet Ihnen am meisten Sorge?

Die Ignoranz. Dass die Konsequenzen immer viel zu spät erfolgen. Wenn es nicht mehr anders geht, reißen die Menschen das Ruder herum. Aber vorher muss immer erst entsetzlich viel schiefgehen. Wir sollten doch in der Lage sein, bei einem Klimagipfel ein paar Resultate mehr zu erzielen. Aber die Ignoranz und die Gier, verbunden mit Egozentrik, sind allzu deutlich spürbar.

Der Mensch ist das größte Raubtier?

Ja – und nein. Raubtiere sind nicht so blöd, ihren Lebensraum zu plündern. Sie nutzen ihn. Wir neigen zum Plündern.

Wie steht es eigentlich um die „Schwarm“-Verfilmung?

Die letzten drei Jahre im Filmbusiness waren desaströs. Wir haben ein tolles Team zusammen, ein super Drehbuch, nur das erforderliche Geld ist in diesen Tagen knapp. Die Produzenten arbeiten hart daran, das Budget zusammenzukriegen. Ich hoffe aber, dass die Dreharbeiten im nächsten Jahr beginnen können.

Wie viele Millionen Dollar braucht man für einen solchen Film?

Unter 100 Millionen macht es keinen Sinn, sonst lässt man es besser.

Inwiefern sind Sie daran beteiligt?

Ich habe mit Drehbuchautor Ted Tally korrespondiert. Der Mann schreibt wirklich geile Drehbücher, siehe „Das Schweigen der Lämmer“, so dass nur kleine Kurskorrekturen im Showdown nötig waren. Ich kann einen gewissen Einfluss nehmen und Dinge, die mir überhaupt nicht passen, ablehnen, das ist der Deal. Aber am liebsten würde ich überhaupt nicht eingreifen.

Sie haben als Autor historisch begonnen, mit „Tod und Teufel“ im mittelalterlichen Köln, und sind nun mit „Limit“ in der Zukunft auf dem Mond gelandet. Wie geht die Zeitreise mit Frank Schätzing weiter?

Ich habe zwei, drei lockere Ideen für Bücher. Plus drei dutzend unfertige Songs in der Schublade, die ich nächstes Jahr aufnehmen will. Schauen wir mal, was kommt.

Das Gespräch führte

Thomas Gehringer

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