Stephen King zum 70.: Ein erstklassiger Wahnsinniger
Er ist ein Meister des Horrors - und doch mehr als das. In seinen besten Texten liefert Stephen King ein genaues Abbild Amerikas. Jetzt feiert er seinen 70. Geburtstag.
Er sei, so lautet Stephen Kings eigene Einschätzung, „das literarische Äquivalent zu einem Cheeseburger, einer Portion Pommes und einer großen Cola“. Und trotzdem hat der Mann, der morgen 70 Jahre alt wird, im Jahr 2003 den amerikanischen National Book Award für sein Lebenswerk bekommen. Das stellt ihn immerhin auf eine Stufe mit Toni Morrison, John Updike und Philip Roth. Allerdings dürfte King so viele Bücher verkauft haben wie alle anderen Preisträger zusammen: grob geschätzt 400 Millionen.
Genau dies haben ihm Kritiker zum Vorwurf gemacht, seit der moderne Meister des Horrors im Jahr 1974 mit seinem Roman „Carrie“ debütiert hat: dass er seine ziegelsteindicken Bücher wie am Fließband veröffentlicht; über 50 Romane sind es bisher, 10 Bände mit Kurzgeschichten und Novellen, eine Handvoll Sach- und Drehbücher, zwei Comics und ein Libretto. Ach ja: Regie hat er nebenbei auch noch geführt. Mit anderen Worten: Der Mann arbeitet wie ein Wahnsinniger. Da passt es eigentlich auch, dass die meisten seiner Leser Arbeiter sind, Menschen aus dem Heartland Amerikas, von den Intellektuellen an Ost- und Westküste geringschätzig „Fly Over States“ genannt.
Twitter-Duell mit Donald Trump
Und trotzdem ist in den letzten Monaten Donald Trump, der Präsident der „Fly Over States“, zu Kings Lieblingsfeind geworden. Erst lieferten sie sich ein erbittertes Twitter-Duell – bei dem der auch sprachlich dumpfe Präsident gegen die kluge Ironie Kings keine Chance hatte –, dann blockierte The Don den King kurzerhand. Inzwischen haben auch Kritiker die Qualitäten Stephen Kings erkannt: Vordergründig mögen seine Bücher einfach Horrorromane sein, aber in seinen besten Momenten – in Romanen wie „Es“ oder „The Stand – Das letzte Gefecht“ – liefert er ein exaktes Bild der Vereinigten Staaten von Amerika ab, im Guten wie im Schlechten.
Da ist das Wunschbild von Utopia, einer Welt, in der alle Menschen gleich sind, gleiche Chancen haben, in der man sich gegenseitig hilft und in der Werte wie Freundschaft, Loyalität, Anstand und Respekt wichtige Ingredienzien für das humane Miteinander sind. So ist Amerika auch! Doch hinter der Fassade lauern immer der Abgrund, das Böse, die Albträume. Und wie – so lautet Kings Frage in jedem seiner Romane – kann man in dieser Welt ein anständiger Mensch bleiben?
Er wollte kürzer treten. Das ging schief
Selbst wenn einem die Frage zu einfach ist, selbst wenn man sagen muss, dass sich Kings Romane oft sehr ähneln und sein Opus Magnum „Der dunkle Turm“ schwere Anfälle von Am-Kopf-Kratzen nach sich zieht, muss man eben auch eingestehen, dass unter seinen Kurzgeschichten und Novellen, die sich meistens eben nicht der Horrorformalien bedienen, ganz großartige Meisterwerke zu finden sind. Wenige Coming-of-Age-Geschichten ergreifen den Leser mehr als Kings „Herbstsonate: Die Leiche“ aus dem Band „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“, kongenial verfilmt als „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“. Dazu kommen mit „Danse Macabre“ und „Angst pur“ zwei ziemlich clevere Sachbücher über Genreliteratur und eine ganz wunderbare Autobiografie über „Das Leben und das Schreiben“. Es gibt Feuilletonlieblinge, die können weniger aufweisen.
Eigentlich, so hatte King 2007 zum 60. Geburtstag verkündet, wollte er kürzertreten, weniger veröffentlichen. Das ging schief. Mit „Die Arena“ und „Der Anschlag“ entstanden zwei ausgesprochen politische Romane zur innenpolitischen Lage der USA, mit der „Mr. Mercedes“-Trilogie lieferte er in Form eines Thrillers seine Kritik an der Bankenkrise ab. „Ich schreibe so lange, wie der Leser davon überzeugt ist, in den Händen eines erstklassigen Wahnsinnigen zu sein.“ Na dann kann’s ja weitergehen.