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Der Horror hat ein Ende. In Hamburg erzählt Stephen King, dass jahrelang "Angst" gehabt habe, nach Europa zu reisen - nicht zuletzt aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse.
© dpa

Stephen King in Hamburg: Schöner scheinen

Horrorkönig, Rock’n’Roll-Star, Pop-Ikone, Unterhaltungskünstler: Stephen King präsentiert sich in Hamburg vor 3000 Menschen als geborener Entertainer - und nebenbei eine Fortschreibung seines Bestsellers "Shining", die leider nicht ganz mithalten kann.

Ist das jetzt Rock ’n’ Roll? Ein Popkonzert? Oder der Auftritt eines Außerirdischen? Für Ersteres spricht der Star dieses Abends im Saal 2 des Hamburger CCH, der 66 Jahre alte amerikanische Horrorroman-Autor Stephen King mit seinen langen, strähnig-grauen Haaren. Für Zweiteres ein gerade für Lesungen ungewöhnlich jugendliches Publikum, das zwar nicht mehr im Teeniealter ist, aber noch ein Stück davon entfernt, graue oder gar weiße Haare zu bekommen. Für Letzteres die Tatsache, dass King noch nie in Deutschland war, überhaupt ungern öffentlich auftritt und am liebsten in seinem Arbeitsstübchen im Industriestädtchen Bangor, Maine, sitzt und unablässig sehr dicke Bücher schreibt.

3000 Menschen sind gekommen. Viele stehen direkt vor der Bühne mit Kameras oder Smartphones, um ja nicht den Moment zu verpassen, wenn King die Bühne betritt. Stehende Ovationen begleiten sein Kommen, und jede Nennung eines seiner Buchtitel von „Carrie“ über „Der dunkle Turm“ bis hin zu „Das Leben und das Schreiben“ wird frenetisch bejubelt. Man fragt sich, ob King das nun genießt, wie er da in unspektakulär grauem T-Shirt und blassblauen Workerjeans leicht gebeugt steht? Oder ob er es womöglich ernst meint mit seiner Rock-’n’-Roll- Geste, als er dem Publikum einmal den Rücken zuwendet, auf seinen Hintern zeigt und „Angus Young“ ruft?

Stephen King ist ein geborener Entertainer – zumindest macht er den Eindruck an diesem Tag in Hamburg, an dem er sich am Mittag schon zu einem Mediengespräch im unweit der Reeperbahn gelegenen Atlantic-Haus eingefunden hatte. Wenn er denn nun in Deutschland ist, um auf Drängen seines Verlags seinen neuen Roman „Doctor Sleep“ vorzustellen, dann gibt er auch alles, dürfte King sich gesagt haben. Jede Frage beantwortet er ernsthaft oder charmant ausweichend, macht wirklich jeden Scherz, den er auf Lager hat oder der ihm spontan in den Sinn kommt.

King versucht's auf Deutsch

So erzählt er erst einmal dem Moderator der King-Show, dem „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni, dass er immer „Angst“ gehabt hätte, nach Europa zu kommen, nicht zuletzt wegen mangelnder Sprachkenntnisse. Ja, er sei schüchtern (lächelt); ach nein, eigentlich sei er Schriftsteller, der eben gern auf seine Computertastatur haut (ernsthafter jetzt). Und der es, das sagt er natürlich nicht, bei angeblich 400 Millionen verkauften Exemplare seiner über 50 Bücher nicht nötig hat, auf Promotion-Tour zu gehen.

Dann versucht er sich an einem deutschen Satz („Guten Abend, Hamburg!“) und der ihm in deutschen Cafés angeblich überall gestellten Frage „mit Schlag?“. Oder er macht sich über die Ein-Wort-Titel seiner Bücher in Deutschland lustig und flüstert mehrmals, zum Vergnügen des Publikums, „Es“, „Eees“, „Eeeeees“.

Hauptsächlich ist Stephen King jedoch wegen „Doctor Sleep“ gekommen, des Nachfolgers seines 1980 von Stanley Kubrick mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmten Klassikers „Shining“. Daraus liest er eine schöne Passage über das natürliche Sterben eines sehr alten Mannes. Und danach berichtet er, dass er sehr oft an eine Figur aus „Shining“ habe denken müssen, den fünfjährigen Danny. „Was macht Danny im Teenageralter? In seinem Berufsleben?“ Danny ist der Sohn der „Shining“-Hauptfigur Jack Torrance, der als Hausmeister im Hotel Overlook verrückt wird, seine Frau und seinen Sohn umbringen will und dann selbst stirbt. Danny hat hellseherische Fähigkeiten, eben jenes „Shining“. Als Mittdreißiger ist Dan nun „Doctor Sleep“ und arbeitet in einem Hospiz als Hausmeister und Sterbehelfer.

Die Geschichte von „Doctor Sleep“ ähnelt der von „Shining“, wirkt aber überladener, nicht so stringent, so man bei King von Stringenz überhaupt reden kann, vorhersehbarer vor allem. Aber sie ist wieder einmal tief in der populären US-Kultur verwurzelt, mit Verweisen auf John Steinbeck, Jodi Picoult oder Suzanne Collins („Tribute von Panem“). Es ist die junge Abra Stone, die dieses Mal das stärkste „Shining“ hat und in Gefahr gerät, weil eine in den USA mit Wohnmobilen umherziehende Gruppe von Vampir-Rentnern es auf sie abgesehen hat. Genauer, auf ihr „Steam“, ihren Odem, der für die Vampire überlebensnotwendig ist. Danny übernimmt die Rolle ihres Beschützers (so wie er seinerzeit von dem schwarzen Koch Dick Hallorann beschützt wurde), und es kommt zum Showdown zwischen dem „Wahren Knoten“, wie sich die Rentner nennen, und der Gruppe der Guten um Abra und Dan.

King weiß, dass er das Gruseln bei seinem älter gewordenen Stammpublikum nicht mehr im gleichen Maß wie ehedem erzeugen kann. Deshalb verweist er auf andere, ihm wichtige Motive und Themen seines Romans: auf die Familie, den Zusammenhalt, der nicht unbedingt verwandtschaftlicher Natur sein muss. Und auf den Alkoholismus, der auch in „Doctor Sleep“ eine große Rolle spielt. Dan Torrance ist wie sein Vater Jack in „Shining“ Alkoholiker. Nur dass er anders als dieser die Hilfe der Anonymen Alkoholiker in Anspruch nimmt. Auch Stephen King war schwer alkoholkrank, funktionierte jedoch sehr gut beim Schreiben seiner Bücher. Ende der achtziger Jahre schaffte er „den Wechsel zum trockenen Alkoholiker“, wie er heute sagt. Erst in einer Entzugsklinik, dann bei den Anonymen Alkoholikern: „Alkoholiker ist man sein Leben lang.“ King geht offen mit diesem Thema um, egal ob vor 3000 Menschen oder in Interviews.

Was King übers Schreiben erzählt, ist nicht neu

Allerdings wirkt er im Atlantic-Haus zurückgenommener als später vor großem Publikum. Er reißt zwar auch vor den Journalisten seine Witzchen. Sagt gleich zu Beginn, als er noch rechtzeitig die Baseballkappe vom Kopf streift und den Applaus für sein Erscheinen entgegennimmt: „Vielen Dank, ich gehe dann wieder!“ Oder er fügt bei der Aufzählung seiner schreibenden Familienmitglieder (Ehefrau Tabitia, sieben Romane, und die Söhne Joe, drei Romane, und Owen, einer) hinzu, die einzige Gesunde in der Familie sei seine Tochter, die schreibe nämlich nicht.

Mehrmals betont er aber, wie wichtig ihm das Schreiben („Träumen mit offenen Augen“) sei – durchaus auch als Ersatzsucht. Dass er nicht primär Angst erzeugen, sondern vor allem gute Geschichten erzählen wolle. Und, man höre und staune, dass er mit Fließbandproduktionen und Romanfabriken nur wenig anfangen könne: „Ein Roman soll ein Kunstwerk sein.“ Nun denn: Zwei weitere Romane und ein Drehbuch hat er in Arbeit, gesteht er später.

Was Stephen King über das Schreiben erzählt, ist nicht besonders originell oder neu. Zum Beispiel verweist er häufig auf seinen Schriftstellerfreund John Irving, der seine Romane vom Ende her schreibt. Das könne ihm nicht passieren: „Ich lasse mich immer überraschen, wohin mich meine Figuren und Geschichten führen.“ Auch dass er von Sequels nicht viel hält, aber „Huckleberry Finn“ als Nachfolger von „Tom Sawyer“ großartig findet, gehört seit der Veröffentlichung von „Doctor Sleep“ zum King’schen Frage-Antwort-Standardrepertoire.

Aufschlussreicher sind die Geschichten, die er während der Lesung entwickelt. Etwa die von dem Mann, der seine Ehefrau betrogen hat, im Stau steckt und plötzlich sieht, wie in dem Auto neben ihm ein Mann seiner Frau die Kehle mit einer Rasierklinge durchschneidet. „Was macht der jetzt? Er dürfte das gar nicht sehen, für seine Frau ist er ja an einem anderen Ort. Das ist es, was mir Freude bereitet: wie nah sich hier völlig unterschiedliche Leben sind, wie unvorhersehbar alles ist.“ Schließlich erzählt er noch, wie er in Florida von einer sehr alten Frau erkannt wurde und die ihm gestand, wie öde sie seine Bücher und deren Verfilmungen finde. Ein Film wie „The Shawshank Redemption“ wäre im Vergleich dazu großartig, hätte sie dann noch gesagt. „Aber das habe ich auch geschrieben“, so King zu ihr, doch vergeblich: „Nein, das haben Sie nicht!“

King strahlt, als er diese Geschichte erzählt. Doch er will damit auch zu verstehen geben: Es ist manchmal nicht leicht, Stephen King zu sein.

Stephen King: Doctor Sleep. Aus dem Amerikanischen v. Bernhard Kleinschmidt. Heyne, München 2013. 704 S., 22,99 €.

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