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Christian Thielemann
© Matthias Creutziger

Die Kandidaten der Berliner Philharmoniker (1): Ein echter Berliner

Am 11. Mai wählen die Berliner Philharmoniker ihren neuen Chefdirigenten. Bis dahin stellen wir täglich einen der Kandidaten für den begehrtesten Posten der Klassikwelt vor. Heute: Christian Thielemann.

Was für ihn spricht: Er ist Berliner. Ein Lokalpatriot, ein bekennender Preuße dazu, aufgewachsen im Südwesten der Mauerstadt, im Kernwohngebiet der Philharmoniker wie auch ihrer Abonnenten. Und, nicht zu vergessen: Christian Thielemann ist Karajan-Schüler. Er könnte, so hoffen seine Fans, das Orchester zurück in die gloriose Vergangenheit führen, alle Neuerungen aus Abbado- und Rattle-Zeiten ungeschehen machen.

Deutsches Kernrepertoire, die Monumente der Tonkunst von Beethoven bis Bruckner, zelebriert mit Mut zum Pathos! Das Konzert als Gottesdienst, weihrauchgeschwängert, ein emotionaler Rausch, bei dem es keine Distanz mehr gibt zwischen dem Hörer und der hehren Kunst! Dafür steht Christian Thielemann. Dass er sein Repertoire bewusst begrenzt hält, schreckt seine Jünger nicht: Denn er hat genau jene Werke im Portfolio, die sie hören wollen.

Was gegen ihn spricht: Er ist Berliner. Mit allem Drum und Dran. Vor allem mit einem Stil der zwischenmenschlichen Kommunikation, den ebenfalls hier Geborene als „direkt“ beschreiben würden, der außerhalb der Hauptstadt aber oft als undiplomatische Rumpeligkeit wahrgenommen wird. Aus jeder seiner bisherigen Chefpositionen ist Christian Thielemann im Streit geschieden, in Nürnberg, an der Deutschen Oper Berlin, bei den Münchner Philharmonikern. Rechthaberei aber ist etwas, das die Berliner Philharmoniker nur schwer ertragen.

Unter den Streichern gibt es dennoch viele Thielemann-Befürworter. Sollten sie sich am 11. Mai durchsetzen, könnte es zu einem Riss durchs Orchester kommen. Schon nach der Wahl von Simon Rattle soll es zwei Jahre gedauert haben, bis sich die Unterlegenen mit der Mehrheitsentscheidung angefreundet hatten. Im Fall von Thielemann aber sind die Gräben viel tiefer. Beim Amtsantritt auf eine Fraktion erbitterter Gegner zu stoßen, ist etwas, das man wirklich keinem Künstler wünschen kann.

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