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Sechs Bühnen sollt ihr sein. Eine Ansicht von der Salzburger Front.
© Agency People Image/Michael Tinnefeld

Thielemann in Salzburg: Messer sagen’s besser

Salzburger Osterfestspiele: Philipp Stölzl inszeniert und Christian Thielemann dirigiert Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ und Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ mit Jonas Kaufmann.

Christian Thielemann dirigiert Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ – da will man dabei sein! Der ganz aufs deutsche romantische Repertoire fokussierte Berliner wagt sich an die feurigsten Werke des italienischen Verismo. Und das bei den Salzburger Osterfestspielen, dem teuersten Klassikevent der Welt (Ticket-Spitzenpreis: 490 Euro), das einst Herbert von Karajan als persönliche künstlerische Spielwiese gegründet hat. Jener Karajan, als dessen legitimer Nachfolger Christian Thielemann seinen Fans gilt: Weil er einen Gegenpol bildet zu den modernen, stilistisch breit aufgestellten Teamplayer-Dirigenten, wenn er als Hohepriester der Musik Partituren nicht analytisch durchleuchtet, sondern ihnen ihre magische Macht zurückgibt.

Seit die Berliner Philharmoniker nach Baden-Baden abgewandert sind, wallfahrtet Thielemann mit seiner Dresdner Staatskapelle zum Fest der Auferstehung Christi an die Salzach. Diesmal also mit zwei Einaktern aus den 1890er Jahren, die beide im bäurischen Milieu des Mezzogiorno spielen, weil die „Veristi“, die Wahrheitssucher unter den italienischen Künstlern, dort das echte, noch nicht von der Zivilisation angekränkelte Leben vermuteten. In beiden Stücken fällt am Ende ein Liebhaber dem rächenden Messer des betrogenen Ehemanns zum Opfer. Mascagnis Oper spielt sogar tatsächlich zu Ostern. Wer einen der raren Puccini-Abende erleben durfte, die Christian Thielemann in seinen Zeit als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin dirigiert hat, weiß, dass der bekennende Italien-Liebhaber durchaus eine Ader hat für das melodramma. Und doch muss er sich von Philipp Stölzl die Schau stehlen lassen. Der Regisseur reißt mit einem spektakulären Konzept alle Aufmerksamkeit an sich. Auf der gigantisch breiten Bühne des Großen Festspielhauses betreibt er eine Sechs-Felder-Wirtschaft: In zwei Ebenen liegen je drei Spielflächen übereinander, wobei jede ihren eigenen Vorhang hat. So lassen sich wie bei einem Comic mehrere Handlungen parallel zeigen.

Hoch virtuos löst Stölzl die eigentlich für ein Einheitsbühnenbild konzipierte „Cavalleria rusticana“ in Dutzende Einzelszenen auf. Das ermöglicht schnelle Schnitte wie im Kino. Hinzu kommt, dass die Vorhänge immer wieder zu Leinwänden werden, auf denen die Protagonisten in Nahaufnahme zu sehen sind.

Vom Dorf hat Stölzl die Geschichte in eine triste Industriestadt verlegt. Alles hier ist Schwarz-Weiß, in der Ästhetik der italienischen Neorealismo-Filme aus den fünfziger Jahren, Ursula Kudrnas Kostüme wie auch die von Stölzl und Heike Vollmer erdachten, im Graphic-Novel-Stil gezeichneten Hintergrundprospekte. Weil die liebliche Naturkulisse entfällt, das pittoreske Ambiente mit Piazza und Kirche, wird die archaische Story um den Ehrenmord bei Stölzl noch abgründiger als im Original. In seiner Malochermetropole herrscht Tristesse total, denn die Landflüchtlinge finden in der urbanen Umgebung kein Mehr an Freiheit und Toleranz. Sie sind weiterhin im bigotten Sittenkorsett gefangen.

Jonas Kaufmann wird vom Publikum gefeiert

Sechs Bühnen sollt ihr sein. Eine Ansicht von der Salzburger Front.
Sechs Bühnen sollt ihr sein. Eine Ansicht von der Salzburger Front.
© Agency People Image/Michael Tinnefeld

Der Regisseur hat ein uneheliches Kind hinzuerfunden, um noch deutlicher zu machen, warum Santuzza gesellschaftlich geächtet ist. Liudmyla Monastyrska singt sie mit der erschütternden Verzweiflung einer Frau, die sich an den letzten Hoffnungsstrohhalm klammert. Doch der Kindsvater Turiddu macht lieber mit der Nachbarin Lola herum (betörend schön: Annalisa Stroppa). Deren Gatte ist hier kein Kutscher, sondern ein skrupelloser Mafioso (auch vokal brutal direkt: Ambrogio Maestri), der darum kurzen Prozess macht. Turiddus emotional erstarrte Mamma (Stefania Toczyska) verweigert dem todgeweihten Sohn in Stölzls düsterer Deutung vor dem Duell sogar den librettomäßig vorgesehenen Segen.

Umso liebevoller wird Jonas Kaufmann anschließend vom Publikum gefeiert. Der Sängerstar debütiert an diesem Sonnabend gleich in zwei Rollen, übernimmt neben dem Turiddu auch noch den Canio in den „Pagliacci“. Kaufmann traut sich derzeit alles zu – und dieses Selbstbewusstsein kann man hören, im auftrumpfenden, siegesgewissen Strahl seines Tenors, der prachtvoll ist und robust, ja manchmal fast ein wenig zu hart vor lauter Manneskraft.

Für Leoncavallos Einakter, bei dem sich während der Aufführung einer Komödiantentruppe das Eifersuchtsdrama auf offener Szene abspielt, muss Philipp Stölzl zusätzlich eine Doppelperspektive einführen: Auf der unteren Ebene sitzt der Chor vor einer für die Zuschauer nicht sichtbaren Bühne, während das dortige Geschehen für die „echten“ Theaterbesucher frontal in der oberen Ebene stattfindet. Da wird es dann ein wenig zu maniriert-kompliziert, weil ja auch das Spiel mit den Parallelschauplätzen und Film-Nahaufnahmen weitergeht.

Die Solistenbesetzung ist auch hier erstklassig. An Kaufmanns Seite steht nun die graziöse Maria Agresta als Nedda, Dimitri Platanias ist ein agiler Tonio, Tansel Akzeybek sorgt als Beppe mit seiner Cavatine für einen Moment lyrischen Idylls, während es Alessio Arduini als Ehebrecher Silvio gar nicht nötig hat, sich in der Liebesszene unmotiviert das Hemd herunterzureißen: Sein Luxusbariton wäre wahrlich Lockmittel genug.

Und Christian Thielemann? Garantiert mit kapellmeisterlicher Souveränität für einen reibungslosen Ablauf des Doppelabends, koordiniert sicher seine Musiker mit dem um Salzburger Kräfte verstärkten Semperopernchor und den unablässig durch das halbe Dutzend Bühnen hechtenden Solisten. Eine Sogwirkung aber, wie bei seinen Wagner- und Strauss-Interpretationen, entwickelt sich hier nicht. Vor allem beim sehr robust instrumentierenden Mascagni fehlt den dramatischen Höhepunkten oft das Lodernde, die sinnliche Dringlichkeit. In Leoncavallos viel feiner gearbeiteter Partitur vermag die Dresdner Staatskapelle ihre Qualitäten besser auszuspielen, wenn sich technische Präzision mit exquisiter Tonschönheit verbindet, vor allem im dichten Streicherklang.

Am Ostermontag ist die Hälfte dieses Salzburger Experiments nachzuvollziehen: Dann zeigt das ZDF ab 23.15 Uhr eine Aufzeichnung der „Cavalleria rusticana“. Für Thielemann-Fans Pflicht: Wenn die Koproduktion mit der Semperoper in der kommenden Saison in Dresden herauskommt, hat der Maestro nämlich keine Zeit, sondern überlässt den Taktstock Stefano Ranzani.

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