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Vielleicht flicht die Nachwelt wenigstens dem Dirigenten Kränze. Christian Thielemann diese Woche im Münchner Gasteig.
© wildundleise.de

Münchner Philharmoniker: Christian Thielemann gibt sein letztes Konzert

Der Ex-Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin verlässt nun auch die Münchner Philharmoniker. Am Sonntag dirigiert er sein letztes Konzert. Eine glückliche Affäre war es sowieso nie.

Auch wenn am Ende alle mächtig viel Kreide gefressen haben, der Dirigent, die Musiker, die verantwortlichen Politiker, ja selbst das Feuilleton vor Ort, bleiben doch ein paar interessante Fragen. Sind sieben Jahre genug, um im schwerfälligen Musikbetrieb künstlerische Ziele zu erreichen? Ist der Kapellmeister-Typus, den Christian Thielemann fast trotzig verkörpert, im Zeitalter von digitalen Konzertsälen und anderen politisch-medial korrekten Nettigkeiten noch vermittelbar? Oder hat Thielemann gar nicht so gut ins sinnenfrohe München gepasst, wie man dachte, und die Münchner Philharmoniker passten gar nicht so gut zu ihm?

An diesem Sonntagabend dirigiert der Berliner im Münchner Gasteig sein letztes Konzert, auf dem Programm stehen Werke von Mozart, Debussy und Ravel. Von einer gastweisen Fortsetzung der Zusammenarbeit ist bislang nicht die Rede. Überhaupt scheint man gegenseitig eher erleichtert zu sein, im wahrsten Wortsinn. Thielemann dürfte das nicht gering schätzen: Von der Deutschen Oper Berlin, deren Generalmusikdirektor er sieben Jahre lang war, schied er 2004 in tiefstem Groll.

Dieser Groll hat seine München-Liaison anfangs mächtig beflügelt. Erinnern wir uns: Die Stadt plakatiert großflächig, Bruckner, Strauss und Beethoven seien schon „sehr neugierig“ auf Christian Thielemann – und der von der hauptstädtischen Kulturpolitik rüde Gezauste wird nicht müde zu betonen, wie sehr er sich auf die Tradition, das erdige Timbre, die handfeste Musikalität und den Einsatzwillen des Orchesters freue. Hurtig kreiert man ein „Generalmusikdirektoren-Abo“, erste Vergleiche mit der ruhmreichen Ära Sergiu Celibidaches machen die Runde. Und Thielemanns Antrittskonzert mit Bruckners Fünfter schlägt ein wie eine Bombe, nicht nur, weil die Münchner die Sinfonie 1935 (!) aus dem Autograf uraufgeführt haben und auch „Celi“ seinerzeit damit begann. Man sei froh, dabei gewesen zu sein, bekennt selbst die nüchterne und traditionell missgünstig gen Süden blickende „FAZ“.

Ein „Preuße, wie Gott ihn schuf“ (Joachim Kaiser) an der Isar: Die Strategie scheint aufzugehen. Wer Christian Thielemann in seinen Anfängen unterm weiß- blauen Himmel auf seiner GMD-Dachterrasse im Gasteig sitzen sah, mit Blick auf die Frauenkirche und das Voralpenpanorama, der begegnete einem glücklichen Menschen. Vor ihm drei Weißwürste mit Hendlmair-Senf, zwei Brezen und eine Cola, drinnen an den Bürowänden die typisch thielemannsche Ostpreußen-Galerie: Schloss Friedrichstein in Öl, der Sitz der Grafen Dönhoff, Fotografien und Stiche, ein Konterfei des Alten Fritz, Wilhelm Furtwängler natürlich und Hans Pfitzner, der heiß Umstrittene, einer seiner Vorfahren im Münchner Amt.

Mit Bruckner assoziiere er nicht das oberösterreichische St. Florian, sondern die Danziger Marienkirche, schwärmt Thielemann im Booklet seiner hoch gepriesenen Fünften, und versöhnt damit den vermeintlichen Gegensatz zwischen barocker Opulenz und protestantischer Strenge. Diese zwei Seelen lässt er wenig später, ebenfalls mit Bruckners B-Dur- Symphonie, auch in einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern leuchten. Der Vergleich ist symptomatisch: Muss Thielemann in München nicht nur schlagtechnisch und gestisch mehr „arbeiten“, wirkt er in Berlin viel freier, ja gelöst. Als schlösse er die ganze Rezeptionsgeschichte in die Arme, als zöge er mal eben die Summe aus allen Wands, Celibidaches und Harnoncourts dieser Welt. Solche Funkenregen sind ihm mit den Münchnern selten vergönnt. Und das ist von Anfang an Teil des Problems.

Der Bruch zwischen Dirigent und Orchester, der bei den Vertragsverlängerungsverhandlungen 2009 offenbar wird, muss als Haarriss begonnen haben. Thielemann spürte wohl, dass er die Münchner aus ihrer Bodenständigkeit, ihrem „Mir san mir“ nie ganz würde erlösen können; und das Orchester musste einsehen, dass es zwar einen Star mit enorm souveränen kapellmeisterlichen Qualitäten am Busen nährte – weder aber einen originären Orchestererzieher gewonnen hatte, noch einen passionierten Medien- und Öffentlichkeitsarbeiter und erst recht keinen aufopferungsvollen pater familias. Das hätte man wissen können. Die nicht- künstlerische Verantwortung hat Thielemann noch nie interessiert.

Ein seltsames Déjà-vu, fast fühlt man sich an seinen Vorgänger erinnert, den in München weitgehend unglücklichen James Levine. An der Seite dieses Global Players (die Met! die Drei Tenöre!) wollten die Philharmoniker 1999 groß, größer und ganz groß ins Platten- und Tourneegeschäft einsteigen – was der erschöpfte Markt längst nicht mehr hergab. Und so kam „Jimmy“ in der Isarmetropole nie wirklich an, blieb Durchreisender mit wachsender Sehnsucht nach seiner amerikanischen Heimat, wurde respektiert, aber nie geliebt. Emotional war das bei Thielemann sicher anders.

Die Münchner Philharmoniker („Das Orchester der Stadt“) gelten als schwierig. Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung klaffen bisweilen arg auseinander, Gagen und Leistung ebenso. Nur zu gerne sähe man sich im Schulterschluss mit den Besten der Besten, den Wienern, den Berlinern, dem Concertgebouw Orchester oder den New Yorker Philharmonikern. Und kann musikalisch selten wirklich mithalten, was schon am lokalen Ranking abzulesen ist: Die Unbestechlichkeit des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, dessen Virtuosität, Flexibilität und Eleganz haben die Philharmoniker nie erreicht. Dass sie seit 1986 überdies einen Saal ihr Eigen nennen, der weder akustisch noch ästhetisch noch atmosphärisch internationalen Standards genügt, passt da ins Bild. Thielemann hat sich in der Sache nicht groß engagiert. Wie lautete schon Leonard Bernsteins Urteil über den Backsteinklotz am Gasteig? „Burn this hall!“

In den sieben Jahren unter Christian Thielemann ist der Klang der Münchner homogener geworden, runder, dichter, weicher, gefasster – das Abheben und Fliegen, das Sich-Verschwenden aber haben sie auch unter ihm nicht gelernt. Weil er, siehe oben, kein Erzieher ist? Weil es im Orchester an Ehrgeiz und Neugier fehlt, an innerem Feuer? Oder war das gemeinsame Repertoire einfach zu schmal?

Auch hier gilt Thielemann vielen als Enkel von Furtwängler, Knappertsbusch und Karajan, als „Lordsiegelbewahrer des Wertkonservativen“: Beethoven, Brahms, Bruckner, Wagner, auf diesen Säulen ruht sein musikalisches Selbstverständnis. Er dirigiert kaum Mahler (außer Lieder, die Achte, die 1910 in München uraufgeführt wurde, und jüngst das Adagio aus der Zehnten), keinen Schostakowitsch und wenn Schönberg, dann nur den frühen. Thielemann, ein strammer Anachronist, der, so er sich überhaupt in die musikalische Moderne vorwagt, lieber Puccini, Pfitzner, Strauss und Henze aufführt als Nono oder Boulez? Darf man das? Und wer kümmert sich um die Rest-Hygiene?

Die Uraufführungen, die Thielemann in München leitete (von Henze, Wolfgang Rihm, Sofia Gubaidulina, Jörg Widmann, Siegfried Matthus oder Detlef Glanert), widerlegen diese Eindrücke nicht unbedingt. Aber es hat sie gegeben, die neuen Klänge, das wird gerne übersehen. Das klassische Kernrepertoire hingegen reklamierte der GMD von Anfang an lautstark für sich, mit gutem Grund. Das Entwickeln einer künstlerischen Handschrift braucht Monopole – Beethovens „Eroica“ mal mit, mal ohne Vibrato, mal frei agogisch, mal strikt nach Metronom, das funktioniert höchstens bei den seit jeher autarken Wiener Philharmonikern. Selbst die Berliner Philharmoniker haben Jahre gebraucht, um sich wieder zu finden, nachdem Simon Rattle sie durch seine vielfaserige Repertoirepolitik dieses Herzankers beraubt hatte.

Aus dem Monopol wurde Thielemann in München letztlich der Strick gedreht. Das Orchester brachte immer weniger Muße und Disziplin auf, ihm bei seiner Recherche in die tieferen Bewusstseinsschichten eines Bruckner oder Beethoven zu folgen, und rief lieber nach attraktiven Gastdirigenten. Statt der Taube auf dem Dach sollte es plötzlich doch der Spatz in der Hand sein. Und Thielemann seinerseits konnte und wollte sich seineKompetenzen nicht derart beschneiden lassen, dass er auf sein Gastdirigenten-Veto ohne Weiteres verzichtet hätte.

Nun denn, keine Vertragsverlängerung also – aber auch kein Rosenkrieg. Die vergangenen zwei Jahre haben beide, Dirigent und Orchester, mit professionellem Anstand bewältigt. Thielemann zieht es nun weiter nach Dresden, Wagners legendärer „Wunderharfe“ entgegen, glückselig und voller Euphorie, auch weil er dort wieder im Operngraben stehen darf. Seine Projekte bei den Bayreuther Festspielen und in Wien, auf die man an der Isar so neidisch war, laufen ohnehin weiter. Die Münchner Philharmoniker aber müssen auf ihrer Suche nach einem neuen Heilsbringer hellwach sein. Die Gefahr, dass sich die Thielemann-Ära a posteriori verklärt, als rarer Stachel im Fleische des Marktes, ist groß. Bis 2014 tröstet man sich erst einmal mit dem 81-jährigen Lorin Maazel, der sich laut „Süddeutscher Zeitung“ bereits mit „dem Eifer eines 20-Jährigen“ in die Aufgabe stürzt.

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