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Ed Sheeran im Berliner Olympiastadion.
© DAVIDS/Sven Darmer

Britischer Popstar in Berlin: Ed Sheeran – das Normalo-Genie

Ein Mann, eine Akustikgitarre und tausend Loops: Wie Ed Sheeran das ausverkaufte Berliner Olympiastadion in Verzückung versetzte.

Die Deutschen sind schon ein komisches Völkchen, findet Ed Sheeran. Erst steht jahrelang nur ein kleines Häuflein von ihnen mit verschränkten Armen vor der Bühne und bewegt sich kaum. Dann werden es langsam mehr. Und irgendwann sind es richtig viele, die immer wieder kommen. Und sie hören wirklich zu, es geht ihnen nicht nur darum, Bilder für Instagram zu machen. „Das ist sehr befriedigend“, sagt Sheeran und lächelt selig von der riesigen Bühne herab, auf der er ganz alleine steht.

In seiner kleinen Publikumsbeschreibung - später folgt noch eine sehr treffliche Analyse der "mitgeschleppten Boyfriends" und "Super-Dads" - spiegelt sich, weshalb Ed Sheeran derzeit so unglaublich erfolgreich ist. Warum er im vergangenen Jahr der Streamingkönig war, über 130 Millionen Tonträger verkauft hat, und warum er nun seinen bisher größten Deutschlandauftritt im ausverkauften Berliner Olympiastadion hat: Der Mann weiß, wie die Leute ticken. Er hat sie studiert und ein untrügliches Gefühl dafür entwickelt, was sie hören wollen. Und er weiß auch, dass es dafür nicht mehr braucht als eine Akustikgitarre, zwei Mikrofone und eine Loopstation.

Ed Sheeran sagt es nach dem ersten Lied extra noch mal an, nur für den Fall, dass irgendwer glauben sollte, hier werde etwas vom Rechner zugespielt. Das klarzustellen ist auch deshalb wichtig, weil Authentizität zum Markenkern des 27-jährigen Briten gehört, der ja tatsächlich einmal als Pub-Sänger angefangen hat. Inzwischen beschäftigt er ganze Songwriter-Teams, arbeitet mit seinem Produzenten lange und akribisch an jedem einzelnen Detail eines Liedes. Die Dokumentation „Songwriter“, die im Februar auf der Berlinale lief, vermittelt einen guten Eindruck davon, dass Sheeran eben nicht der introvertierte Junge mit der Gitarre ist, der sich allein im Schlafzimmer geniale Liebeslieder ausdenkt, sondern der Kopf eines hart arbeitenden Kreativteams.

Trotzdem muss es live weiter wie ein Ein-Mann-Ding aussehen. Und Sheeran wirkt ja auch tatsächlich immer noch wie dieser freundliche Bursche von nebenan, dem es egal ist, dass er keine Frisur hat, der seinen roten Bart einfach wachsen lässt und der immer Jeans und T-Shirt trägt. Seine einzige kleine Extravaganz sind die großen bunten Tattoos auf den Armen, doch die versteckt er an diesem Abend unter einem weißen Longsleeve. Eigentlich ist es dafür zu warm, aber Sheeran will wohl betonen, dass es bei ihm nicht um die Optik geht.

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Er hat schließlich auch kein Feuerwerk, keine Tänzerinnen, kein Konfetti und keine große Lightshow am Start. Nichts soll ablenken von ihm und seinen Songs. Und so verzückt er das Stadion denn auch gleich mit „Castle On The Hill“ und „Eraser“ von seinem Nummer- eins-Album „÷“ (gesprochen: Divide), von dem die meisten Songs des rund 100-minütigen Sets stammen. Dass er beim zweiten Song rappend am Bühnenrand herumturnt, wirkt wie ein kleiner Ausbruch ins falsche Genre. Doch dann kommt er zurück ans Mikro, loopt sich seinen eigenen Background-Chor zusammen und alles ist wieder im Lot.

Im Publikumschor dominieren die Frauenstimmen

Manchmal darf auch das Publikum mithelfen, einen Song zusammenzusetzen. Etwa wenn es auf die zweite und die vierte Zählzeit klatschend das Stück „Don’t“ begleitet oder mit Sheeran den Refrain des Walzertakt-Schmachtfetzens „Dive“ singt. Schön wie das sehnsüchtige „Babyyyyyyy“ durchs Stadion schallt und sich die vielen Paare noch ein bisschen fester umarmen. Zum ersten Mal leuchten auch zahlreiche Handylampen auf, Digitalzeitalter-Romantik.

Ed Sheeran fordert die Menge immer wieder zum Mitsingen auf. Er sagt: "Sowas wie ,Ich kann nicht singen' gibt es nicht. Jeder kann singen, vielleicht nicht richtig, aber darum bitte ich euch auch gar nicht." Vielmehr ginge es darum, an diesem Abend die Stimme zu verlieren. Also los, machen wir mal einen Kreischtest. Ein ohrenbetäubender "Ahhhh"-Sturm, der sicher bis zum Westkreuz zu hören ist, bricht los und demonstriert, dass Frauen und Mädchen im Stadion deutlich in der Überzahl sind.

Schwarzmarkttickets wurden nicht zugelassen

Wobei auffällt, das einige Tribünenblöcke große Lücken aufweisen. Hunderten von Fans mit Schwarzmarkttickets war der Zutritt verwehrt worden. Ed Sheeran hatte bereits vor Monaten angekündigt, dass bei seinen Shows nur personalisierte Tickets akzeptiert werden. So ließ er 10.000 Karten für seine Deutschlandkonzerte stornierern, die von Drittanbietern wie Viagogo stammten.

Die Show wird nach dem Celtic- Folk-Knaller „Galway Girl“ – die Bühne blinkt in irischen Farben – deutlich ruhiger. Mitunter vermisst man dann doch mal eine Band oder ein aufwendigeres Arrangement. Sheeran benutzt für seine Loops meist nur drei, vier Spuren. Wer schon einmal erlebt hat, was etwa eine Kat Frankie oder eine Tash Sultana sich live zusammenbasteln, wird von Ed Sheerans Loopstation-Künsten kaum überwältigt sein. Allerdings haben die keinen Hit wie „Perfect“ im Gepäck. Sheeran schon.

Um Punkt zehn ist er bei der nah am Kitsch gebauten Liebesballade angekommen und scheint es eilig damit zu haben. Er zelebriert das für seine Verlobte Cherry Seaborn geschriebene Stück nicht, sondern huscht eher drüber hinweg. Deutlich mehr Spaß hat er bei seinem zweiten Überhit „Shape Of You“, den Ed Sheeran als erste von zwei Zugaben spielt. Im grünen Deutschlandtrikot hopst er über die Bühne, benutzt für das Marimbaphon-Ohrwurm-Motiv zum ersten und einzigen Mal das an der Seite aufgestellte Keyboard, singt mit voller Stimmkraft und nimmt die Gitarre nur im „Oh-I-oh-I“-Refrain dazu.

Beim Finale mit dem älteren Song „You Need Me, I Don’t Need You“ darf die Bühne einmal ihre volle Flackerpower ausspielen und Sheeran fährt kurz seinen Rap-Rock-Modus hoch. Das ist seine Art von Feuerwerk. Ganz ohne Rauch, aber mit viel freundlicher Energie. Sogar die mitgeschleppten Freunde und Väter lächeln ein bisschen – und alle gehen glücklich heim. Wer sowas schafft, ist zu Recht der größte Popstar des Planeten.

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