Graphic Novel „Spinnenwald“: Dystopischer Düsterwald
Sascha Hommers neue Comic-Erzählung verhandelt soziale und philosophische Fragen mit den Mitteln des Phantastischen.
Der Anfang ist kryptisch: einer der „Alten“ referiert vor einer Versammlung von Kindern, wie die Welt beschaffen ist. Diese wurde von den „Augen“ erschaffen - mächtigen, für die Menschen gefährlichen Wesen. Sie schufen einst den fruchtbaren Spinnenwald und die kargen Felsen, auf denen die Menschen leben müssen.
Im unzugänglichen, vom „Großen Wall“ umgebenen Spinnenwald leben wiederum die rundlich-knuddeligen „Waltrauder“, die die Menschen einfangen müssen, um an die (im Umfeld der Waltrauder lebenden) schleimigen „Punkis“ zu kommen, ihre einzige Nahrung.
Der 1979 geborene Hamburger Zeichner Sascha Hommer knüpft in seiner neuen Graphic Novel „Spinnenwald“ (Reprodukt, 150 S., 8 €) an „Insekt“ von 2006 an, seinem ersten längeren, in Buchform veröffentlichten Comic, der von einem scheinbar normalen Heranwachsenden handelte, dem eines Tages seine Andersartigkeit gegenüber seinen Klassenkameraden auffällt.
Auch in seinem neuen Buch greift Hommer heutige beziehungsweise zeitlose Fragen gesellschaftlich-philosophischer Art mit den Mitteln des Phantastischen auf, indem er eine eigene Welt kreiert, die nur noch entfernt an die Realität erinnert.
Initiationsritus im Wald
Um also den Leser in seine zunächst befremdlich erscheinende Geschichte hinein zu ziehen, sind solch monologische Passagen wie am Anfang unausweichlich. In einer unbestimmten, archaischen Vorzeit erklären die greisen Erzähler ihren kindlichen und jugendlichen Zuhörern die Welt und bringen ihnen die Regeln ihrer Gemeinschaft näher.
Jede Generation hat innerhalb der harmonisch wirkenden menschlichen Gemeinschaft ihre feste Aufgabe: Während den Alten eine Führungsrolle zukommt – eine autoritäre Führungsfigur oder soziale Rangordnungen gibt es jedoch nicht -, sind die Menschen mittleren Alters „Soldaten“, die die anderen vor den „Augen“ beschützen.
Ein ehemaliger Soldat ist beim Einsatz erblindet und erzieht nun die Jugendlichen zu „Jägern“. Unter ihnen befinden sich das Mädchen Albi und der Junge Dan, die auf einen Initiationsritus vorbereitet werden, in dem sie den Wall überwinden und in den Wald eindringen sollen, um Waltrauder für die Gemeinschaft einzufangen.
Trotz dieser zunächst etwas kompliziert erscheinenden Ausgangssituation zeichnet sich „Spinnenwald“ durch eine klare, verständliche Erzählweise aus und zieht den Leser durch seine dichte Atmosphäre in den Bann. Man fühlt sich streckenweise in einen Film oder ein Rollenspiel versetzt, in dem die jugendlichen Mitspieler eine Heldenreise durchlaufen müssen.
Sind die Mythen reiner Aberglaube?
Doch Hommers Comic-Erzählung fühlt sich keinem Genre verpflichtet und bleibt mehrdeutig. Immer wieder kommt die Mythologie ins Spiel, in der ein geheimnisvoller „Bote“ eine Schlüsselrolle spielt, der einst von den „Augen“ vertrieben wurde – die Alten sehen in ihm einen Wissens-Bringer, der wie ein Messias eines Tages zurückkommen wird und den Menschen die Freiheit bringt.
So taucht also auch das Thema Religion auf, ohne dass klar wird, ob diesem mündlich tradierten Mythos zu trauen ist. Die Handlungsebene, die von den jugendlichen Jägern handelt, enthält ebenfalls mehrere Ambiguitäten - so tauchen Zweifel auf, ob manche der alten Rituale wirklich notwendig sind.
Den sanften Waltraudern werden etwa schwere „Lebenssteine“ in den Magen gepflanzt, manche sterben daran – sind die Mythen der Alten vielleicht reiner Aberglaube?
Obwohl Hommer auf konkrete Querverweise zu heutigen politischen Verhältnissen verzichtet, bewirken die Rätselhaftigkeit und die offene Struktur der Erzählung, dass der Leser selbst über die mythischen, gesellschaftskritischen und politischen Aspekte nachdenken muss und seine eigenen Schlüsse daraus zieht.
Sascha Hommers stimmungsvolle Grafik unterstützt diese wundersam-verrätselte Wirkung, unterwandert sie zugleich aber auch auf ironische Weise.
Sein äußerst reduzierter Zeichenstil vereint Einflüsse des Mangas – als Vorbilder nennt Hommer u.a. Hayao Miyazakis „Nausicaä“ und manche Werke Osamu Tezukas -, amerikanischer Independent-Klassiker wie von Charles Burns („Black Hole“) oder Daniel Clowes, wie auch des deutschen Independentcomics der letzten Dekade.
Auf Farbe wird zugunsten subtiler Grauschattierungen ganz verzichtet, wohl auch, um die Geschichte nicht allzu gefällig erscheinen zu lassen. Die vermeintliche Niedlichkeit der Figuren (vor allem die Fabelwesen erinnern an „Pokémon“-Figuren) ist trügerisch und trägt zur sich langsam steigernden, beängstigenden Atmosphäre dieser Dystopie bei, der eine Fortsetzung zu wünschen wäre.
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