Ausstellung in der daad-Galerie: Documenta-Künstler Ibrahim Mahama auf den Spuren der Zeit
Rund um den Globus: Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama ergründet in der daad-Galerie die verschlungenen Wege der Herkunft.
Schon im Eingangsbereich der daad-Galerie riecht es nach Fisch. An der langen Wand des Ausstellungsraums lehnen abgenutzte Krankentragen, als kämen sie direkt aus einem Kriegsgebiet. Gegenüber steht eine Werkbank, dahinter drei abgenutzte Schränke mit Schulheften, Archivfotos und Protokollen von Parlamentssitzungen. Dahinter hängen gerahmt politische Dokumente. In „a straight line through the carcass of history. 1918 - 1945“ von Ibrahim Mahama dürfen die Ausstellungsstücke nicht nur betrachtet, sondern auch berührt, gerochen werden.
Der Stipendiat des vom Auswärtigen Amt finanzierten Berliner Künstlerprogramms des daad sorgte 2015 für Furore, als er auf der Venedig-Biennale Gebäude mit Jutesäcken verhängte. Ebenfalls mit Säcken pflasterte er zwei Jahre später auf der Documenta den Syntagma-Platz in Athen. Im Gegensatz zum berühmten Verpackungskünstlerpaar Jeanne-Claude und Christo geht es dem den Künstler aus Ghana um die Hülle selbst, um die Spuren der Zeit, die sich ins Material eingeschrieben haben.
Nicht immer entsteht direkt im Anschluss an einen einjährigen daad-Aufenthalt eine Ausstellung, so Bettina Klein, die Spartenleiterin des Programms. Da kam es gelegen, dass Mahama, der während seines Berlin-Jahres viel unterwegs war und kaum Zeit in der Stadt verbracht habe, auf seinen Reisen ständig Gegenstände für seine Arbeiten sammelt. In Ghana tauschte er alte gegen neue Schulhefte und -schränke. Landkarten und Fotografien von Zügen, die zur Zeit der Kolonisation von Großbritannien nach Ghana verschickt wurden, lieh er sich aus dem ghanaischen Eisenbahnarchiv. Die Aufnahmen erinnern in ihrer klaren Ästhetik an die Industriefotografie von Bernd und Hilla Becher. 100 Tragen aus dem Zweiten Weltkrieg, die als Filmrequisiten gedient hatten, fand er auf einem Schrottplatz in Athen. 300 weitere wurden für die Ausstellung im Erzgebirge gedrechselt, mit Textilien aus ghanaischen Fischräuchereien bespannt und mit Tierblut, Motoröl und Farbe so bearbeitet. Nun erinnern sie an Kriegsrequisiten.
Schon die Dadaisten verwendeten objet trouvés. 1963 erwarb Mary Bauermeister, Dadaistin der nächsten Generation, für ihre Arbeiten geflickte Leinentücher und die getragene Kleidung armer Bäuerinnen. Bei seinen Jutesäcken geht es Ibrahim Mahama neben dem Material ebenfalls um die Herkunft, die verschlungenen Wege der Textilien rund um den Globus. Den Liegen in der daad-Galerie versucht er nun eine fingierte Geschichte einzuschreiben.
Mahama greift viele Themen auf, die auch auf der kommenden Berlin-Biennale (ab 9.6.) mit ihrem Afrika-Fokus im Mittelpunkt stehen: die Geschichte Ghanas, Kolonialismus, die Weltkriege, Bildung und Politik. Beim Hinausgehen bleibt nicht nur der rauchige Geruch haften, sondern auch die Frage nach der Herkunftsgeschichte.
daad-Galerie, Oranienstr. 161, bis 20.5.; Di-So 12-19 Uhr
Suzan Kizilirmak
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