Documenta-Künstler Ibrahim Mahama: Die Politik des Jutesacks
Was bleibt von der Documenta 14, die schon jetzt viele enttäuscht? Zum Beispiel die Kunst von Ibrahim Mahama, der nun in Berlin arbeitet.
Die Documenta hat es dieses Mal nicht leicht. Überheblichkeit, politische Lehrmeisterei, Freudlosigkeit wird ihr bescheinigt, die wenigsten Besucher kehren mit leuchtenden Augen zurück, aus Athen wie aus Kassel. Vor allem die erstmalige Ausrichtung in zwei Städten erscheint problematisch, der Athener Teil jedenfalls erweist sich in seiner Summe als Desaster.
Nach dem öffentlichkeitswirksamen, prominent besetzten Start im April, der Griechenlands Hauptstadt wieder von anderer Seite zeigte – nicht nur als Ort der Krise, sondern auch der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst –, kamen kaum noch Besucher. So bekommt das Documenta-Motto „Von Athen lernen“ einen bitteren Nachgeschmack.
Die Documenta in Athen blieb ein Exotikum, lief in der Stadt weitgehend unter dem Radar. Und sie endete Mitte Juli auch eher unbemerkt – als wollte man dem Misserfolg nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenken. In Kassel wird das anders sein, das Publikum strömt auch zur 14. Documenta, trotz Verrissen, den Warnungen vor kuratorischer Beckmesserei, hermetischen Kunstwerken, Frust wegen fehlender Beschilderungen und langen Wartezeiten vor dem Fridericianum oder der Neuen Galerie. Die über 50-jährige Geschichte der Weltausstellung wird diese enttäuschende Ausgabe wohl überstehen, die Institution ficht das nicht an.
Zumal sie als internationales Kulturevent etabliert und für Kassels Stadtmarketing unverzichtbar ist. Womöglich ändert sich nachträglich die Rezeption wie bei der Documenta X von Catherine David 1997, die während ihrer Laufzeit ebenfalls ungeliebt blieb und doch Geschichte schrieb. Wer weiß, welche Samenkörner die aktuelle Documenta trotz schlechter Noten später aufgehen lässt.
Auf die Documenta 13 kam Ibrahim Mahama noch als unbekannter Kunststudent
Ein gutes Beispiel für eine solche Spätwirkung ist der Werdegang von Ibrahim Mahama. Vor fünf Jahren besuchte der damalige Kunststudent aus Ghana die 13. Documenta, seine erste internationale Großausstellung. Sie beeindruckte ihn so sehr, dass er sein eigenes Werk radikal zu ändern begann. Hatte er an der Hochschule in Kumasi zunächst konventionell gearbeitet und sich über Robert Rauschenbergs collagenartige Malerei neue Möglichkeiten erschlossen, so animierte ihn die Documenta 13 dazu, mit dem eigenen Körper zu arbeiten, mit Gips seine Körperformen abzunehmen. Dabei kamen Jutesäcke als Material ins Spiel, als zweite Haut.
Für die Documenta 14 hat der inzwischen 30-jährige Künstler nun mit eben solchen Jutesäcken eines jener Schlüsselwerke geschaffen, das wohl in Erinnerung bleiben wird – wie aus früheren Ausgaben Walter de Marias „Vertikaler Erdkilometer“ oder die „1000 Eichen“ von Joseph Beuys. Auch die von Mahama mit Jutesäcken verhängten Torhäuser, die jeder Besucher passiert, der von der Wilhelmshöhe in die Stadt kommt, haben das Zeug zur Documenta-Inkunabel, so nachhaltig beeindrucken die beiden finsteren Skulpturen. In den Torwachen, die ansonsten klassizistisch fein den Eingang zur City markieren, wird zur Linken die Sammlung des Kunsthandwerks verwahrt, zur Rechten befinden sich Teile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes darin.
Die Jutesäcke tragen Spuren ihrer langen Reise rund um den Globus
Mahama hat damit ein eindrucksvolles Bild für den Stadtraum geschaffen – und er schlägt einen großen Bogen: nach Athen, Afrika, ja sogar Asien. Der weltumspannende Moment, die Bezugnahme auf internationalen Handel, Politik, Abhängigkeiten erschließt sich sofort. Dabei besitzt Mahamas Doppelmonument trotz seiner Wucht eine Subtilität und emotionale Kraft wie nur wenige Beiträge in Kassel, durch die Handwerklichkeit und die sichtbaren Spuren.
Denn die grob zusammengenähten Säcke tragen wie eine Tätowierung Beschriftungen, Stempel, Zeugnisse ihrer langen Reise rund um den Globus. Produziert in Asien, werden sie in Afrika benutzt, um Kakao, Bohnen, Kokos, Kohle zu transportieren. Mahama erwarb sie im Tausch gegen neue Säcke, die alten besitzen das kostbare Aroma der Erinnerung. „Mich interessiert, wie sich Krise und Versagen im Material absorbieren, der Bezug zu den globalen Transaktionen und wie kapitalistische Strukturen funktionieren,“ sagt der Künstler.
In Athen legte Ibrahim Mahama mit Jutesäcken den Syntagma-Platz aus
Als wir uns treffen, in seinem neuen DAAD-Domizil hier in Berlin in einem Wilmersdorfer Hinterhaus, stehen drei Reisetaschen noch unausgepackt am Boden. Gerade erst ist er aus Athen zurückgekehrt, wo er zu Beginn der Documenta in einer Performance auf dem Syntagma-Platz unterhalb des griechischen Parlaments ebenfalls Jutesäcke präsentierte. In einer Patchworkdecke, die er von Studenten, Freiwilligen, auch Geflüchteten zusammennähen ließ. Andere Teile der Decke entstanden vor dem Polytechnikum der Universität, wo die Studentenunruhen in den 70er Jahren ausbrachen, und in einem stillgelegten Marmorsteinbruch bei Athen, wo Teile der Akropolis geschlagen wurden.
Davor war Ibrahim Mahama nonstop in London, wo er im Frühjahr seine Werke in der Galerie White Cube präsentierte und in seiner Heimatstadt Accra in Ghana. Ein bisschen atemlos zählt er die Stationen seiner Reisen auf, lächelt zuvorkommend, wippt mit den nackten Füßen auf den Dielen. Immerhin, diesmal soll sein Berliner Aufenthalt länger dauern als eine Stippvisite – eigentlich wohnt er schon seit Mai hier in diesem einst prachtvollen Gründerzeithaus, das gerade schick gemacht wird, mit einem neuen Aufzug für den Seitentrakt und einem renovierten Gartenhaus.
Mahama verhängt auch Silos, Bahnhöfe, das Nationaltheater in Accra
Mahama will die Zeit in Berlin bis Juni 2018 zum Auftanken und Nachdenken nutzen, er will Ruhe finden nach all den Reisen und Strapazen der letzten Zeit. Genau darin besteht die Idee des Daad-Stipendiums: vielversprechenden internationalen Künstlern eine Atempause zu schenken, damit sie ihr Werk weiterentwickeln können. Für Mahama kam die Einladung im richtigen Moment, gehypt wie er gerade wird als einer der gefragtesten Künstler Afrikas. Zwischen White Cube und Documenta war er auch noch zu einer Ausstellung im Pinchuk Art Centre in Kiew eingeladen, nominiert für den Kunstpreis des ukrainischen Sammlers und Oligarchen Victor Pinchuk. In Venedig ist am Rande der Biennale im Palazzo Contarini Polignac zudem eine Schau der Pinchuk-Finalisten zu sehen.
Mit den Jutesäcken, die ihn nun zum Documenta-Star machen, geht Mahama auch anderswo großflächig in den öffentlichen Raum. Wie in Athen und Kassel lässt er sie in gemeinschaftlichen Aktionen zusammennähen und markiert Gebäude, indem er sie verhängt: Silos, leer stehende Wohnhäuser oder Bahnhöfe, das Nationaltheater in Accra, Teile der eigenen Universität in Kumasi, wo er nach wie vor immatrikuliert ist. Seine Promotion zum Thema „Neudefinition künstlerischer Arbeit innerhalb der eigenen Rahmenbedingungen“ muss allerdings erst mal warten – die Künstlerkarriere kam ihm dazwischen.
Mit den aktuellen aufwendigen Projekten hat sich sein ästhetisches Interesse zudem nochmals erweitert. Es gilt dem „Raum dazwischen“, wie er es nennt – in topografischer, soziologischer, politischer Hinsicht. Mit seinen Markierungen schafft Mahama neue Kartografien. Um das genauer zu erklären, klappt der Künstler sein Laptop auf, gegenwärtig sein wichtigstes Arbeitsinstrument in Berlin, mit all den Fotografien der Documenta-Produktionen. Mithilfe einer Drohne fotografierte er den Syntagma-Platz aus der Luft, während unten sein Juteteppich ausgebreitet lag. Wie ein dunkler Fleck füllt der Teppich den Raum zwischen den lichten, weißen Gebäuden der staatlichen Macht. Kaum war die Aktion vorüber, der Teppich entfernt, standen plötzlich schwarz uniformierte Polizisten auf dem Treppenabsatz vor dem Regierungsgebäude, erzählt Mahama immer noch beeindruckt von dieser Choreografie. Es schien, als fürchtete der Staat Unruhen infolge der Kunst.
In Berlin will Ibrahim Mahama lernen, mit der Plattenkamera zu fotografieren
Was der künstlerischen Arbeit nachfolgt, das gewinnt auch für Mahama zunehmend an Bedeutung. In Athen lebte er in einem von Abriss bedrohten Häuserblock – sozialer Wohnungsbau aus den 30er Jahren zwischen Oberstem Gericht und Fußballstadion. Aus der Luft gesehen bilden auch diese Häuser einen großen dunklen Fleck, etwas Unberechenbares mitten im urbanen Raum. Zusammen mit den Bewohnern, die sich gegen ihre Verdrängung wehren, plant Mahama nun eine Publikation. Ein Zeichen der Solidarität, er empfindet Verantwortung, sagt er.
Für Berlin, das Jetzt, gibt es noch keine konkreten Pläne, sein Atelier kann Ibrahim Mahama im September beziehen. Bislang hat er sich für seinen Aufenthalt nur vorgenommen, mit der Plattenkamera fotografieren zu lernen. Das klingt nach Verlangsamung. Allerdings will er mit der Kamera gerne auf Reisen gehen, nach Osteuropa zum Beispiel. Auch dort lassen sich die Zusammenhänge von Raum und Politik gut erkunden.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität