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Miguel spielt in dem Film seine reale Lebensgeschichte.
© Steppenwolf

Doku-Fiction zur Kolonialgeschichte: „Djon África“ erzählt von verdrängten Erinnerungen auf den Kapverden

In „Djon África“ macht sich der junge Miguel auf die Suche nach seinem Vater. Seine Reise auf die Kapverden zeigt eine Gesellschaft voller blinder Flecken.

Orange, türkis, ocker, die Häuserwände in Praia auf der kapverdischen Insel Santiago leuchten in allen Farben. Kinder spielen auf den engen Plätzen, aus den Bars dringen die Rhythmen der Morna, der traditionellen Musik der Kapverden, es wird der kreolische Grog getrunken. Durch das bunte Treiben folgt Miguel (Miguel Moreira) einem Kind, das ihn durch das Labyrinth der Gassen zu einer gelben Tür führt, wo Tante Tininha wohnt.

Sie kann ihm sagen, wo er seinen kapverdischen Vater findet, den er nie kennengelernt hat. Das hat ihm seine Oma zu Hause in Portugal gesagt, als sich Miguel auf die Reise machte.

Seine Suche nach den Wurzeln wird zu einer Odyssee über das Archipel, er driftet von Ort zu Ort, wird verführt und ausgeraubt, schließlich von einer Alten in den Bergen aufgenommen, die ihm beibringt, wie man die Cachupa, das Nationalgericht, zubereitet, und ihn fast nicht mehr gehen lässt.

„Djon África“ ist das Spielfilmdebüt des portugiesischen Regie-Paars Filipa Reis und João Miller Guerra, zu dem Pedro Pinho („The Nothing Factory“) das Drehbuch schrieb. Gefilmt haben sie mit Laiendarstellern, die dokumentarische Handkamera folgt Miguel auf dem Fuß, und immer wieder verliert man ihn in den Totalen der menschenvollen Straßen und Märkte.

„Djon África“ ist satte Wirklichkeit, Doku-Fiction. Miguel Moreira spielt seine eigene Geschichte. Wie seine Figur wurde er in Portugal geboren, er lebt dort ohne Papiere, den auf die Kapverden abgeschobenen Vater kennt er nicht. Im Film arbeitet er auf dem Bau, im wirklichen Leben ist er der Rastafari-Rapper John Tibars África, „Djon África“. Das knüpft an Reis’ und Millers Dokumentarfilm „Li ké Terra“ (2000) an, der, ebenfalls mit Miguel Moreira, vom Schicksal der Nachkommen kapverdischer Einwanderer erzählte.

Eine vergebliche Reise

Dort, wo Miguel auch in Wirklichkeit wohnt, beginnt das Roadmovie. In der Trabantenstadt Casal da Boba außerhalb von Lissabon ist er mit einer Freundin auf Diebestour durch die Shopping-Mall, die einzige Attraktion des gesichtslosen Ortes. Autobahnauffahrten durchziehen die kargen Hügel von Amadora, es ist ein Transitraum, an dem man nicht bleibt.

Die Reise ist auch eine Suche nach der eigenen Identität
Die Reise ist auch eine Suche nach der eigenen Identität
© Steppenwolf

Hier wohnen die Gestrandeten der Kolonialgeschichte, die Nachfahren der kapverdischen Einwanderer. Eines Tages wird Miguel von einer Unbekannten angesprochen. Er sähe aus wie jemand, den sie vor 25 Jahren auf den Kapverden gekannt hat. Die Erinnerung ist in der Diaspora gegenwärtig, sie ist das, was am Leben hält, jeden Tag. Miguel bricht zu den Kapverden auf.

Als er wenige Tage später in Praia bei der gelben Tür anlangt, platzt er in eine Beerdigung. Tante Tininha, die ihn zu seinem Vater hätte führen können, ist gerade gestorben. Die Vergeblichkeit der Reise, die Miguel auf sich genommen hat, erinnert an Pedro Costas in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichneten „Vitalina Varela“ – hier kommt die Protagonistin nach 25 Jahren von den Kapverden nach Lissabon und trifft dann zu spät zur Beerdigung ihres Mannes ein. Die politischen Verhältnisse überformen das Schicksal der Einwanderer, länger, als es das einzelne Leben zulässt, auch davon erzählt „Djon África“.

Der Blick ist geschichtsvergessen

In Tarrafal, Miguels nächster Station, ziehen am Strand die Fischer ihre Boote aus dem Wasser, junge Leute liegen im Sand, man badet. In dem Wimmelbild erscheint der in den Felsen gehauene Schriftzug „Tarrafal“. Nichts lässt erkennen, dass der Ort unter der portugiesischen Salazar-Diktatur für ein Konzentrationslager stand. „Djon África“ ist unter dem Blick von Miguel auch geschichtsvergessen. Gefeiert werden die Lieder, der Grog, die schönen Mädchen und Tänze und das einfache, geerdete Dasein.

Die Kapverden sind für Miguel, der nicht Tourist genannt werden will, mythisch aufgeladenes Phantasma, ein farbenfroher Traum, in dem Sozialrealismus nur stören würde. Das ist auch die Verklärung durch den heimatlosen Migrantensohn, der mit dem existenziellen Widerspruch leben muss, in Portgual der Kapverde zu sein und seinem Herkunftsland fremd zu bleiben – die Wurzeln kann er am Ende nur in sich selbst finden.

Dunja Bialas

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