"Death in Sarajevo" auf der Berlinale: Dieses ewige Ihr oder Wir
„Smrt u Sarajevu - Death in Sarajevo“ von Danis Tanović läuft im Wettbewerb der Berlinale. Das bosnische Gesellschaftspanorama spielt an einem ereignisreichen Nachmittag im besten Hotel der Stadt.
Fragt ein kleiner Wurm seinen Vater: „Stimmt es, dass es Würmer gibt, die in Äpfeln leben?“ - „Ja“, sagt der Vater. „Stimmt es, dass es Würmer gibt, die in Fleisch leben?“ - „Ja, das ist richtig.“ – „Und warum leben wir dann in Scheiße?“ – „Weil es unsere Heimat ist.“ Der Mann, der diesen Witz erzählt, hat sich ganz gut eingerichtet in dieser beschissenen Heimat. Sein Reich liegt im Keller des Hotel Europa in Sarajevo. Hier gibt es Alkohol, Striptänzerinnen, Pokerrunden. Und wenn der Hotelmanager Omer (Izudin Bajrović) Probleme hat, die mit Argumenten nicht zu lösen sind, finden sich schnell zwei Schlägertypen, die die Sache regeln.
Ein Theaterstück von Bernard-Henri Lévy war die Basis
Gerade ist es mal wieder soweit: Die seit zwei Monaten auf Bezahlung wartende Belegschaft will streiken – publicityträchtig während des Galadinners zum 100. Jubiläum des Attentats auf Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie. Dazu ist ein prominenter französischer Gast (Jacques Weber) eingeladen, der gerade ins Hotel eingecheckt hat und in der Präsidentensuite seine leidenschaftliche Rede zum europäischen Selbstverständnis übt. Er schlägt darin einen Bogen von 1914 über die Belagerung von Sarajevo und das Massaker von Srebrenica bis hin zum Ukraine-Konflikt. Dieser Text stammt vom französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, dessen Stück „Hotel Europa“ zum Anschlagsjubiläum 2014 in Sarajevo aufgeführt wurde. Inszeniert hat den ebenfalls von Jacques Weber gespielten Monolog Dino Mustafić, mit dem Danis Tanović befreundet ist. So entstand zunächst die Idee zu einer Dokumentation, doch dann baute Tanović um die Zitate herum einen Spielfilm.
Eine gute Entscheidung, denn „Smrt u Sarajevu – Death in Sarajevo“ wird sicher eine größere Reichweite erzielen als eine Dokumentation. Der bosnische Regisseur, der vor drei Jahren mit „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ einen Silbernen Bären gewann und 2001 für „No Man’s Land“ den Oscar erhielt, geht zugleich realistisch und allegorisch zu Werke. Sein an einem einzigen Nachmittag spielendes Episodendrama entwirft ein Gesellschaftspanorama, ein Sittenbild, angesiedelt im Hotel Europa – das sich allerdings eher als ein Hotel Bosna erweist. Da mögen die europäische und die ebenfalls blau-gelbe Flagge Bosniens in der Lobby noch so dicht nebeneinander hängen und der Kinderchor „Die Ode an die Freude“ in der Landessprache proben – die EU scheint fern wie der Mond. Zwar gehören die Hotelangestellten zu den wenigen Glücklichen, die überhaupt Arbeit haben, doch wie so viele ihrer Landsleute warten sie seit Monaten auf ihren Lohn.
Die agile Kamera verbindet Handlungsebenen und Hoteletagen
Hatidža (Faketa Salihbegović-Avdagić), die seit 30 Jahren in der der Wäscherei arbeitet, führt die Streikwilligen an. Ihre Tochter, die Rezeptionistin Lamija (Snežana Vidović) will sie davon abbringen. Die wunderbar agile Kamera (Erol Zubčević) folgt der resolut stöckelnden Lamija durch die langen Gänge; die Kamera verbindet auch die anderen Etagen-, sprich: Handlungsebenen elegant miteinander. „Smrt u Sarajevu“ hat Tempo und Rhythmus. Nur ganz oben auf dem Dach wird es etwas schematischer. Hier führt eine Fernsehmoderatorin Interviews zum Jahrestag und gerät mit einem Namensvetter des serbischen Prinzen-Attentäters Gavrilo Princip aneinander. Ein Stellvertreter-Schlagabtausch, bei dem sich die beiden Verbrechen und Lügen der jeweils anderen Volksgruppe aus den letzten 100 Jahren vorhalten. Das ewige „Ihr“ und „Wir“, der Blick zurück im Zorn, Danis Tanović ist das leid. Er möchte – wie er in Berlin sagte –, dass Bosnien endlich nach vorn schaut. Vielleicht gibt es auch neue Würmer-Witze.
16.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), und 12.30 Uhr (HdBF), 18.2., 22 Uhr (HdBF), 21.2., 20 Uhr (HdBF)