Berlinale-Wettbewerb: Stiller Kampf
Der bosnische Regisseur Danis Tanovic zeigt in seinem Dokudrama „An Episode in the Life of an Iron Picker“ die Diskriminierung einer Roma-Familie. Nur knapp kann das Leben der Mutter gerettet werden.
Nazif Mujic ist ein Held. Wahrscheinlich sogar der einzige echte Held des Berlinale-Wettbewerbs. Denn er hat nicht nur im Film, sondern auch in der Realität ein Leben gerettet. Das Leben seiner Frau Senada. Das Roma-Paar lebt mit zwei kleinen Töchtern in einem bosnischen Dorf. Eines Tages bekommt die schwangere Senada schreckliche Bauchschmerzen. Nazif fährt mit ihr nach Tuzla ins Krankenhaus, wo sie erfährt, dass das Baby tot ist und sie dringend operiert werden muss – es droht eine Sepsis. Doch statt Senada auf den Eingriff vorzubereiten, besteht das Krankenhauspersonal darauf, dass sie erst 500 Euro bezahlt, denn sie ist nicht krankenversichert. Die beiden haben das Geld nicht, es ist für ihre Verhältnisse eine absurd hohe Summe. Nazif fleht eine Schwester an, seiner Frau dennoch zu helfen, vergeblich. Die beiden fahren zurück nach Hause.
Diese Geschichte ist wirklich passiert. Regisseur Danis Tanovic („Cirkus Columbia“) las darüber vor zwei Jahren in der Zeitung. Sie machte ihn so wütend, dass er zunächst jemanden in das Dorf schickte, um die Fakten zu checken. Dann fuhr er selbst hin und sprach mit der Familie. „Ich bin dort mehr als Mensch als als Filmemacher hingefahren“, sagt er. Doch nach einigen Tagen entwickelte er die Idee, Senada und Nazif ihre eigene Geschichte noch einmal für einen Film nachspielen zu lasen. Zögerlich ließen sie sich darauf ein. Tanovic organisierte 17 000 Euro staatliche Förderung und ein Mini-Team. Er selbst führte eine der drei kleinen Digitalkameras.
So entstand ein kurzer, schlichter, starker Film mit einem langen Titel, der sich zwischen Dokumentation und Fiktion bewegt. Alle Dorfbewohner und Familienmitglieder spielen sich selbst, nur die Ärzte werden von anderen Ärzten verkörpert. Den harten Alltag der Roma im winterlich kalten Poljice zeigt „An Episode in the Life of an Iron Picker“ mit großer Eindrücklichkeit. Man sieht, wie Nazif Holz schlägt, einem Nachbarn beim Autozerlegen hilft, und wie Senada sich derweil um den Haushalt und die Kinder kümmert. Beide verrichten ihre Arbeiten mit Ruhe und großer Ausdauer, egal wie anstrengend sie auch sein mögen. Ebenso stoisch geht das Paar mit der lebensbedrohlichen Lage von Senada um. Er versucht Hilfe zu organisieren, sie rollt sich klaglos auf dem Sofa zusammen. Es ist ein stiller Kampf gegen ein schreiendes Unrecht, den Nazif und Senada mit großer Würde führen.
Vergangenes Jahr nahm Bence Fliegauf mit seinem ästhetisch und konzeptionell völlig anders gelagerten „Just the Wind“ ebenfalls eine wahre Geschichte zum Anlass, um vom Roma- Hass auf dem Balkan zu erzählen. Daran schließt Danis Tanovic, der mit „No Man’s Land“ 2001 den Oscar gewann, mit seinem Cinema-Verité-Werk an, das ebenfalls über den schockierenden Einzelfall hinausweist. Denn es ist klar, das Ähnliches allen Roma jederzeit passieren kann. Es ist eben nur eine „Episode“ von vielen.
Für Nazif und Senada gab es diesmal ein Happy End. Und beim Berlinale-Fototermin stehen sie neben Tanovic, Senada hat ein Baby auf dem Arm. Es ist ein Junge, er heißt Danis.
14.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 10 Uhr (HdBF), 22.30 Uhr (International), 17.2., 15 Uhr (Cinemaxx 7)
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