Neues Album von Leonard Cohen: Die zwei Arten der Liebe
Das kann nicht das Ende sein: Leonard Cohen und das neue Album des 82-jährigen Kanadiers, „You Want It Darker“.
Den Hut, den er auf seinen Konzerten immerzu vor seinen Musikern gezogen hat, trägt er auch auf dem Cover seines neuen Albums. Unrasiert, mit getönter Brille schaut der 82-Jährige aus einem weißen Rahmen in einen schwarzen Raum, in der Hand eine Zigarette: „You Want It Darker“. Geht das bei Leonard Cohen überhaupt – noch dunkler?
Leider ja. Im „New Yorker“ erschien kürzlich eine zehnseitige Geschichte über den Sänger, den Dichter, den Komponisten, ein Hausbesuch in Los Angeles. David Remnick, einer der besten Autoren des Magazins, hatte wenig Gutes zu berichten. Cohens Gesundheit verschlechtert sich, ein Konzert wird er wohl nie wieder geben. Er bringe seine Dinge zu Ende, er sei ein ordentlicher Mensch. Cohen erzählt seinem Gast, wie viel Arbeit noch unerledigt sei, und dass er Gedichte und Bücher im Kopf habe. Das klingt nicht wirklich beruhigend. Die Fans waren alarmiert.
Dann taucht er vor zehn Tagen in der Öffentlichkeit auf, spricht über das neue Werk und kündigt neue Alben an. Er habe, wie es seine Art sei, die Sache mit dem Sterben dramatisiert. Er wolle 120 Jahre alt werden. Sein Humor scheint jedenfalls intakt zu sein. Er sagt: Bob Dylan den Nobelpreis zu verleihen, das sei so, als bringe man am Mount Everest eine Plakette an, auf der steht: höchster Berg der Welt.
Ich bin draußen: Die Songs sind finster, sehr finster
Entwarnung also. Bis man dasitzt, das neue Album läuft, und die so lange schon vertraute Stimme das Zwiegespräch beginnt mit jenem höheren Wesen, von dem der alte Poet sich verlassen fühlt. „If you are the dealer/I’m out of the game/If you are the healer/I’m broken and lame.“ Ich bin draußen. Ich habe genug. „You want it darker/We kill the flame.“ Dann blasen wir die Kerze aus. Der Titelsong endet mit „Hineni Hineni/I’m ready, my Lord“. Das hebräische Wort bedeutet „hier bin ich“, Abraham sagt es, als Gott ihm die Opferung seines Sohnes befiehlt; eine der brutalsten Episoden der religiösen Menschheitsgeschichte. Vor Jahrzehnten hat Leonard Cohen darüber einen Song geschrieben: „The Story of Isaac“. Es schließt sich ein Kreis. Gideon Zelermyer, der Kantor der Synagoge in Montreal, die Cohen in seiner Jugend besuchte, begleitet ihn auf „You want it darker“. Und es wird finster.
„I’m out of the game“ wiederholt Cohen in dem Song „Leaving the Table“. Und in „Traveling Light“ sagt er: „It’s au revoir“. Er reist mit leichtem Gepäck. Er sei spät dran, sie machen jetzt zu: „I’m running late/They’ll close bar/I used to play/One mean guitar“. Das sind letzte Worte. Wer jetzt nicht eine Träne aus dem Auge wischt, höre den letzten Track auf dem von seinem Sohn Adam Cohen produzierten Album, eine instrumentale Reprise. „Treaty“ heißt der Song. Der Sänger hätte sich eine Abmachung mit Gott gewünscht, aber der ist ein Geist geblieben, und er ist verschwunden. Nicht da, wenn man ihn braucht.
Die Unterhaltung mit dem Himmel oder der Hölle klingt aus mit einem quälend getragenen Streicherauftritt. Begräbnismusik. Hoffen wir mal, dass der Andere hier zu Grabe getragen wird, derjenige, der den Vertrag verweigert mit dem Sänger. „I wish there was a treaty/Between your love and mine.“
Gibt es eine bitterere Erkenntnis als das? Dass man erkennt: Zwischen göttlicher Liebe und der Liebe der Menschen stellt sich keine Verbindung her. Leonard Cohen hat es in seinen Büchern, mit seinen Platten und magischen Konzertauftritten versucht. Hallelujah! Einmal endete die Grand Tour, das schönste Comeback der Pop-Geschichte. Nach fünfzehn Jahren Abstinenz spielte Cohen von 2008 bis 2013, in der ganzen Welt, 380 Konzerte. Wer ihn in der Waldbühne erlebt hat, mochte sich nicht vor dem Alter fürchten. Cohen gab seiner Karriere, seinen Songs, seinen Versen noch einmal einen Hüftschwung. Es wurde heller, musikalischer. Der schmale, elegante Mann mit Anzug und Hut ging auf die Knie vor seiner Band, voll Rührung und Dankbarkeit.
Cohens "Songs of Love and Hate" war auch schon eine dunkle Platte
Von den großen Tourneen gibt es eine Reihe Live-Alben, die werden jetzt aufgelegt. „Waiting for the Miracle To Come“. Aber es hilft ja nichts. Noch einmal zurück zu „You Want It Darker“ (Columbia/Sony). Beim mehrmaligen Anhören spürt man Trotz und Beharrung in Cohens Vortrag. Leben. Ein cooler Western-Touch liegt auf „Leaving the Table“. Könnte der Abschied von einer geliebten Frau sein, eine Trennung ohne Abrechnung, aus und vorbei, ohne lahme Erklärungen und sinnlose Aussprachen. Das folgende „If I Didn’t Have Your Love“ erzählt vom Gegenteil: Die Welt ist real, weil es dich gibt.
Cohens Stimme, sie hilft immer noch: Die Themen gehen nicht aus
Tatsächlich – man erinnert sich – hat Leonard Cohen schon sehr dunkle Platten aufgenommen. „Songs of Love and Hate“ von 1971 zum Beispiel. Ein Trost ist das nicht. Brüchiger die Stimme heute, schleppender der Sprechgesang, alles in allem. Die Kraft aus der Dunkelheit hat einen anderen Ursprung. Cohen spricht, wenn nicht mit sich selbst, mit einem Gott, in dessen Natur und Kultur es liegt, bezweifelt zu werden. Das ist ein hohes zivilisatorisches Gut. Es gibt genug Gegenden und Staaten auf der Welt, in denen es verboten ist, bei Todesstrafe, mit Gott ein klares Wort zu sprechen. Glaubensfreiheit gehört zur Menschenwürde.
Früher war Leonard Cohen eine Stimme, die half, etwas so Irres wie Jugend und Sex zu begreifen. Jetzt sind wir alle ein Stückchen weiter. Die Themen gehen nicht aus.
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