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Hallelujah. Leonard Cohen, 78, gab in der ausverkauften Berliner 02 World ein dreistündiges Konzert.
©  Davids/Brunner

Leonard Cohen in Berlin: Der Lichtbringer

Ein Konzert von Leonard Cohen erinnert an die Eleganz der Alhambra. Der Kanadier "singt Gebete", wie das Bob Dylan einst nannte. Jetzt hat Cohen Berlin mit einem grandiosen Konzert in der O2-World-Arena beschenkt.

Ach, dass Heinrich Heine keine Schallplatten aufgenommen hat! Dass König David in Jerusalem, der ja doch auch ein großer Sänger war, keine Tonspur hinterließ! Wie mögen sie geklungen haben, die Männer der Psalmen und der Liebeslieder? Da müssen wir uns auf Leonard Cohen verlassen, den Dichter mit der „golden voice“, wie er mit leiser Ironie von sich selbst sagt im „Tower of Song“, den Poeten, der einst zur Gitarre griff und die Popmusik zugleich versüßte und verdunkelte. Der Pop und Poesie verschmolzen hat mit Religion und Sex. Er wird bald 79, hüpft immer noch beseelt auf die Bühne, geht vor seinen virtuosen Musikern dankbar auf die Knie – und wird in der ausverkauften 02 World in Berlin mit stehenden Ovationen von seinen Fans empfangen, die ihn gewiss nicht zum ersten Mal erleben. Er spielt über drei Stunden, der Abend wird zum Triumph.

Seit seinem Comeback 2008 ist er jedes Jahr hier gewesen. Jeder Auftritt mit eigenem Charme, nie gab es eine Enttäuschung, im Gegenteil. Jetzt beginnt das Konzert etwas holprig, wie stets mit „Dance Me to the End of Love“, aber schon beim dritten Song, „Bird on the Wire“, fließen die ersten Tränen der Rührung, des Glücks. Reichlich vierzig Jahre alt sind diese Lieder, wie oft mag er sie schon gesungen haben, wie melancholisch und müde war ihr Grundton, als sie einst auf Vinyl herauskamen und ihn berühmt machten, wie knapp und verschattet waren damals die Arrangements, als sie die Musikwelt veränderten.

Heute, und das hatte schon vor seiner bald 15-jährigen Rückzugsphase begonnen, schwebt Cohen auf den Flügeln des Blues, des Flamenco, einer Gipsy-Melange, die seinem dichterischen Vorbild Federico Garcia Lorca huldigt. Das ist vor allem dem Saiten-Meister Javier Mas zu danken, der Cohens „gesungene Gebete“, wie Bob Dylan einmal gesagt haben soll, mit ergreifender Schönheit und Intensität präludiert.

Plötzlich versteht man, worauf Religion gründet: auf dem Dialog mit dem Älteren, Höheren

Die Architektur eines Cohen-Konzerts erinnert an die Eleganz der Alhambra in Granada, in Lorcas andalusischer Heimat. Cohen hält Zwiesprache mit seinen Versen, lauscht ihnen immer neue Nuancen ab. Er kann Depression zum Schwingen bringen. Er ist ein herbeigesehnter, willkommener Luzifer, Lichtbringer. Das gilt besonders für die neuen Songs wie „Amen“ und „Darkness“ vom „Old Ideas“-Album. Das ist einzigartig. Er lässt nicht nach. Er wird sogar besser – wenn das Kriterium dafür ist, dass ein Künstler von bald 80 sein Material nicht bloß beherrscht und ordentlich abliefert, sondern auch noch die Kraft hat, sich selbst zu begeistern. Cohen trinkt die Liebe, die ihm in der kalten Halle entgegenströmt. „Hallelujah“ ist einmal nicht der Höhepunkt, dafür sprengt „Lover, Lover, Lover“ den Rahmen, in dem jeder alte Hit nun einmal steckt. Das Stück birst vor Energie.

Plötzlich ist er ein junger Mann, der Jude in der Synagoge. Cohen skandiert die Anrufung des Vaters, des Gottes, seiner eigenen Geschichte. Wann hat ein Song, der in der Hitparade war, jemals so spät die Grenze zum Metaphysischen überschritten! Und man versteht mit einem Schlag, worauf Religion gründet, wenn sie den Menschen nicht knebelt und maßregelt: auf dem Dialog mit dem Älteren, Höheren. Und was Sprache bedeutet, was es heißt, welche Macht darin steckt, Menschen und Dinge zu benennen, wenn er singt: Vater, gib mir einen anderen Namen. Einen neuen Namen. Der alte ist beschmutzt, verbraucht. Manchmal braucht es Jahrzehnte, um ein paar Verse zu verstehen. Sie können ein Leben verändern.

Cohen definiert Poesie im eigentlichen, ursprünglichen Sinn

Und wie locker sie sind, die beiden Webb-Sisters aus England, die ihn seit seiner Wiederkehr immer begleiten, und die Sängerin und Komponistin Sharon Robinson und Bandleader Roscoe Beck, die ihm seit Menschengedenken treu und inspirativ zur Seite stehen. Niemand hat mit solcher Energieausschüttung gerechnet. Ja, es ist spät geworden. Wie oft mag er noch kommen? Ein gutes Liebeslied trägt immer den Abschied im Herzen, und man kann jeden Song so spielen, als wär’s ein Adieu. Das war bei Leonard Cohen von jeher so, aber nun ist die „Closing Time“, ist „I Tried to Leave You“ aus dem Zugabenset tatsächlich ein wenig näher an die Grenze herangerückt, die einen Künstler und sein Publikum eines Tages für die Ewigkeit trennen. Doch: Solche dunklen Gedanken verfliegen schnell. Cohen rockt die Halle mit „First We Take Manhattan – Then We Take Berlin“. Auch das ein altes Lied. Aber es funktioniert noch immer.

Und irgendwie stimmt das auch. Eines Tages, Mitte der sechziger Jahre, kam der kanadische Dichter und Romancier, nach einem Aufenthalt auf der griechischen Insel Hydra, nach New York und nahm eine Platte auf. Ja, die mit „Suzanne“. Das hat er auch gespielt, und wie flink seine Finger über die Gitarre perlen. Er singt auch solo, „Chelsea Hotel“, die Hommage an eine kurze Affäre mit einer Frau, die wahrscheinlich Janis Joplin hieß. Der Herr mit Anzug und Hut ist ein Denkmal der Jahre von Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll, ein Überlebender; er hat sie alle gekannt und manch eine geliebt. „Lover, Lover, Lover come back to me.“ Man scheut vor dem Wort Reife. Und Alter. Nichts kommt wieder. Es ist einfach so, Cohen ist noch da, und es ist ein Wunder.

Er definiert Poesie, im eigentlichen, ursprünglichen Sinn. Ein Sänger und sein Lied. Ein Mensch und sein Instrument. Orpheus. König David. Ein mittelalterlicher Troubadour. Vers und Gesang. Reim und Klarheit. Poetische Bilder, die sich nie ganz öffnen. Geheimnis und Glaube. Liebe und Zweifel. Cohen hört nicht auf, sich zu bedanken, bei seinen Musikern, bei seinem Publikum. Er tut das so viel formvollendeter, inniger, als jeder von uns in der Lage wäre. Thank you. Merci. Gracias. Seit ein paar Jahren spielt er als allerletzte Zugabe „Save the Last Dance for Me“. Entertainereigenschaften wurden ihm schon immer nachgesagt, im kleinen Kreis. Und als Schüler spielte er in einer Country- und Popband. Der Kreis hat sich geschlossen.

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