Verschwörungstheorien: Die Weltbildbastler von Pegida und Co.
Kriege, Geheimdienstskandale, "Lügenpresse" – Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Ein Blick auf eine skurrile Parallelwelt.
Der Aluhut zum Beispiel. Giulia Silberberger ist erstaunt, dass noch jemand an ein Stück Silberfolie um den Kopf glaubt. Als sie und einige Mitstreiter im Februar mit Aluhüten ausgestattet an einer Berliner Demonstration von Anhängern diverser obskurer Theorien teilnahmen, wurden sie angesprochen und um Mützen gebeten. Solche Episoden erlebt Silberberger häufig. Satire zum Thema Verschwörung hat eben ihre Tücken.
„Es haben sich auch schon Verschwörungstheorien verbreitet, die aus Jux in die Welt gesetzt wurden“, sagt die 34-Jährige, die 2014 den Berliner Blog „Der Goldene Aluhut“ gegründet hat. Mittlerweile steckt dahinter ein zwölfköpfiges Team, das Verschwörungstheorien vorstellt und ihre Stichhaltigkeit prüft. Am morgigen Freitag verleiht das Team erstmals den „Goldenen Aluhut“, einen Anti-Preis mit Kategorien wie „Grenzwissenschaften“ und „Rechtsesoterik“. Zu den Preisträgern am Freitag wird auch der Sänger und TV-Juror Xavier Naidoo gehören, der wegen seiner Nähe zur Reichsbürgerbewegung für Irritation gesorgt hat.
Die Skeptikerbewegung ist jung im Vergleich zur Welt der Verschwörungstheorien. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler mit der Untersuchung bizarrer Behauptungen. Die ersten Nachweise für die Existenz von Verschwörungstheorien stammen hingegen aus dem frühen Hochmittelalter – tatsächlich dürften sie bereits noch länger existieren.
Chemtrails? Ein Fall für Esoteriker und Antisemiten
Silberbergers Blog ist kein wissenschaftliches Fachmedium, sondern eine Mischung aus Beratungsstelle, Präventionsplattform und Satire. Fast 30 000 Usern gefällt die Facebookseite – die Masse der Verschwörungsfans im Netz ist weit größer. Mit Online-Sendern, Blogs, Shops, Seiten und Gruppen in sozialen Netzwerken haben sie längst eine mediale Gegenwelt geschaffen. Die Nutzer bleiben unter sich, verteufeln den Mainstream-Journalismus, bilden eine Informationsblase. „Die wird ausgerechnet von den Algorithmen der Suchmaschinen aufrechterhalten“, sagt Giulia Silberberger.
„Informier’ dich mal, das kannst du googeln“, heißt es auf den Seiten und in Foren, wenn etwa jemand an der Chemtrail-Theorie zweifelt. Es finden sich vor allem Beiträge, die der Theorie zustimmen: Ihr zufolge sind Kondensstreifen von Flugzeugen mit Stoffen angereichert, die der Vergiftung und Überwachung der Bevölkerung dienen sollen. Besonders aktuell: Die Stoffe beschleunigten den Klimawandel, damit sich Flüchtlinge aus warmen Ländern in Europa wohler fühlen. In Deutschland hat das Misstrauen gegenüber den weißen Streifen enorm zugenommen – obwohl Behörden und Umweltschutzorganisationen die Theorie widerlegt haben. Globalisierungskritische Esoteriker bringt das nicht vom Kurs ab, Rechtsextreme argumentieren sogar antisemitisch, ein vermeintliches „Weltjudentum“ sei am Werk.
Das Informationszeitalter hat den Verschwörungstheorien zu neuer Blüte verholfen. Nie waren sie so reich an Themen und Verbindungen untereinander, nie konnten sie sich so schnell verbreiten. Im Takt der Nachrichtenagenturen werden sie von vielen Köpfen ersonnen – immer unterstellend, dass wahre Zusammenhänge von Medien und Regierung zurückgehalten werden. „Jemand postet eine simple Nachricht bei Facebook und im Kommentarfeld werden dann gemeinsam mögliche Hintergründe diskutiert“, erklärt Giulia Silberberger. „Aus diesen Puzzleteilen macht jemand einen Blogeintrag, der verlinkt und aufgegriffen wird – die Theorie ist geboren.“
Wunsch nach Vereinfachung in einer komplexen Welt
Verschwörungstheorien boomen immer dann, wenn Wissen und Informationen fehlen, wenn Sachverhalte ungeklärt sind. So gibt es unzählige Mutmaßungen über das Germanwings-Unglück: Vielen erscheint es zu abwegig, dass ein einzelner psychisch kranker Mensch eine derartige Tragödie verursachen kann. Oder die aktuelle Flüchtlingssituation: Auf den Webseiten selbst ernannter Presseorgane liest man, sie sei Teil eines Plans der USA, um Europa und Deutschland zu schwächen. Quellen spielen laut Silberberger dabei nur eine Rolle, wenn sie die jeweilige Theorie stützen.
In einer immer komplexeren Welt wächst der Wunsch nach Vereinfachung. Nach einem Weltbild, das keine Grauzonen und Irrtümer zulässt und stattdessen Orientierung, Erklärung, Hoffnung bietet. Orientierung – durch Benennung klarer Feindbilder. Erklärung – mit pseudowissenschaftlichen und okkulten Theorien. Hoffnung – dass sich der Krebs innerhalb kürzester Zeit mithilfe von Chlordioxid oder Backpulver heilen lässt.
Oft sind es emotionale Gründe, die einen Menschen zum Anhänger einer Verschwörungstheorie machen. „Das hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun – eher mit dem Willen zu glauben und fehlender Medienkompetenz“, sagt Silberberger. Immer wieder tauchen Worte wie „erleuchten“ und „erkennen“ auf, manche bezeichnen sich als „Erwachte“. Das religiöse Moment von Verschwörungstheorien füllt auch spirituelle Leerstellen.
Popkultur und Pegida: Verschwörungstheorien sind überall
Ihr Faszinosum ist auch ein gefundenes Fressen für die Popkultur. Abwegige Thesen bieten Stoff für Drehbücher skurriler Komödien, Sci-Fi-Streifen und Thriller: Die „Men in Black“-Filme, die auf gleichnamigen Comics basieren, erzählen die Geschichte um Geheimdienstmitarbeiter, deren Job es ist, die Existenz von außerirdischem Leben vor den Menschen geheim zu halten – die Parodie einer Verschwörungstheorie, die sich hartnäckig hält. Oliver Stones Politthriller „JFK – Tatort Dallas“ war 1992 für den Oscar nominiert und schürte neue Zweifel an den Umständen des Attentats auf den amerikanischen Präsidenten. In den nuller Jahren gelangen dem US-Autor Dan Brown mit Büchern wie „Illuminati“ oder „Sakrileg“ weltweite Verschwörungsbestseller.
Den Chemtrails widmete der Indie-Barde Beck vor einigen Jahren einen gleichnamigen Song – der Mann ist auch Scientologe. Überhaupt bietet die Musikbranche beziehungsweise ihr Personal den Fans immer wieder Stoff für Verschwörungstheorien. Lebt Elvis noch? Ist Paul McCartney nicht schon längst tot? Wer hat John Lennon und Tupac Shakur wirklich ermordet? Mit Akribie werden Hinweise gesammelt, Bücher veröffentlicht. Und selbst eine bloggende Skeptikerin wie Silberberger gerät schnell gleichermaßen belustigt wie angeekelt in Fahrt, wenn sie verschiedenste Verschwörungstheorien referiert. Fantasie, Verblendung, Gut und Böse: Es hat etwas von Kuriositätenkabinett, von Märchenstunde und entfaltet seinen ganz eigenen monströsen Reiz.
Wo hört politische Überzeugung auf, wo fängt Verschwörungstheorie an?
Attraktiv ist auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, der verführerische Gedanke, Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft von Eingeweihten zu sein. Für Silberberger, selbst Aussteigerin der Zeugen Jehovas, liegen die Parallelen zu Sekten auf der Hand. „Wenn man angebissen hat, kommt man kaum wieder raus.“
Hier überschneiden sich Verschwörungstheorien und Pegida. Doch wo hört politische Überzeugung auf, wo fängt Verschwörungstheorie an? Eine Aussage wie „Flüchtlinge nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ lässt sich zwar mit Statistiken widerlegen. Schwieriger ist es mit abstrakteren Aussagen, die sich kaum verifizieren oder falsifizieren lassen: „Die Flüchtlingskrise ist von den USA geplant, um uns zu schwächen. Die Islamisierung schreitet voran, bald müssen alle Frauen eine Burka tragen“. Für viele ist das zum Glück indiskutabler Quatsch, aber es lässt sich eben nicht beweisen, dass es sich garantiert nicht so verhält. Also wägt der Mensch ab und kommt hoffentlich zu einer Überzeugung, die auf vernünftigen Argumenten basiert sowie auf der Einsicht, dass wir nicht alles wissen können.
Recht behalten um jeden Preis
Verschwörungstheorien verlangen den unbedingten Glauben. Bei Pegida-Anhängern finden krude Thesen auch deshalb einen Nährboden, weil sie häufig einen Sündenbock identifizieren und sich jeder vernünftig abwägenden Diskussion entziehen. Mit dem Phänomen beschäftigen sich eine ganze Reihe von Wissenschaften – Politologie, Psychologie, Medien- und Geschichtswissenschaft, Theologie, Philosophen. „Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft“ von dem Erfurter Philosophiedozenten Karl Hepfner gehört zu den aktuellsten deutschsprachigen Publikationen.
Der umstrittene Kopp-Verlag wiederum bietet in seinem Online-Shop neben Büchern wie „Hitler überlebte in Argentinien“ auch Arthur Schopenhauers „Die Kunst, Recht zu behalten“. Das Bändchen, von Schopenhauer als Polemik gegen die Debattenkultur seiner Zeit verfasst, wird dort ausgerechnet als Anleitung gepriesen, in jeder Diskussion das letzte Wort zu haben, „egal, ob man selbst Recht hat oder nicht“. Die Philosophie im Dienste der Verschwörungstheorie – nichts ist unmöglich.