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Geist und Gewicht. Arthur Schopenhauer in einer Daguerrotypie von 1852.
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Zum 150. Todestag: Arthur Schopenhauer: Der Schwerkraftdenker

Kurze Lust und langes Leiden: Zum 150. Todestag des Philosophen Arthur Schopenhauer, der mit seiner skeptischen Weltsicht zahlreiche Künstler seiner Zeit beeinflusste.

Denker wie Ludwig Wittgenstein, Karl Popper und Max Horkheimer haben sich zu ihm bekannt. Kein anderer Philosoph aber hatte eine solche Wirkung auf Literaten, Künstler und Musiker. Richard Wagner, Wilhelm Busch, Fontane, Tolstoi, Thomas Hardy, Guy de Maupassant, Marcel Proust, Thomas Mann, Samuel Beckett, Thomas Bernhard und Aleksandar Tišma – sie alle waren Anhänger von Schopenhauers Lehre oder ließen sich stark beeindrucken von seiner skeptischen Weltweisheit: „Und so ist denn der Lebenslauf des Menschen in der Regel dieser, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tode in die Arme tanzt.“

Jederzeit hat der philosophische Pessimist Leiden, Not, Jammer und Lebenswut in einer Welt als „Strafanstalt“ herausgestrichen. Mit kaufmännischem Geist präsentiert der 1788 geborene Sohn einer Danziger Patrizierfamilie dem Leben die Rechnung. Der Genuss kommt gegen den Schmerz, das Glück gegen das Unglück nicht auf: „Wer die Behauptung, dass in der Welt der Genuss den Schmerz überwiegt oder wenigstens sie einander die Waage halten, in der Kürze prüfen will, vergleiche die Empfindung des Tieres, welches ein anderes frisst, mit der dieses anderen.“ Das ist eigentlich eine Konkursbilanz. Die Natur, die Schopenhauer im Sinn hat, ist ein Universum der kurzfristigen Lüste und tiefen Leiden, schön anzusehen allenfalls für Sonntagsspaziergänger im Grünen.

Schopenhauers Lehre der Welt als Wille und Vorstellung ist bis heute plausibel. Wir sehen die Welt nicht objektiv, sondern als Konstruktion des menschlichen Wahrnehmungsapparats und Intellekts – Hunde oder Fledermäuse konstruieren ihre Welten anders. „Die Welt ist meine Vorstellung“, spitzt Schopenhauer zu. Unter „Wille“ versteht er gerade nicht das Handeln nach einem bewussten Entschluss, sondern den unmittelbar erfahrenen blinden Lebenstrieb, der von der schuftenden Ameise über das Beute reißende Raubtier bis zum verliebten Menschen alle Organismen am Laufen hält und sie im Streben um Selbsterhaltung miteinander verstrickt. Die metaphysische Einheit des Willens zerreißt das Individuationsprinzip in Raum und Zeit zu Abermilliarden von Einzelwesen im erbitterten Lebenskampf.

Das Verhältnis von Wille und Intellekt wurde für Schopenhauer zum fruchtbaren Instrument einer neuen Psychologie des Unbewussten, auf die sich später Freud berief. Der Intellekt erscheint als „Knecht“ des Willens: Verstand und Bewusstsein folgen dunklen Impulsen, übersetzen sie ins Alltagstaugliche, missdeuten oder verdrängen sie, erfinden der Eitelkeit schmeichelnde Motive. Und die „Entscheidung“ folgt oft erst der eingeleiteten Tat. Schopenhauers Theorie ist hier auf der Höhe aktueller neurobiologischer Forschungen. Und immer wieder staunt man über seine treffenden psychologischen Beobachtungen: „Die Echtheit eines Freundes zu erproben, hat man die beste Gelegenheit in dem Augenblick, da man ihm ein Unglück, von dem man soeben getroffen wurde, berichtet. Die gewöhnlichen sogenannten Freunde vermögen, bei solchen Gelegenheiten, oft kaum das Zucken zu einem leisen, wohlgefälligen Lächeln zu unterdrücken.“

Vorreiter der Neurobiologie: Für ihn ist der Intellekt ein Knecht des Willens

Neu aufgelegt zum Jubiläum wurde Rüdiger Safranskis Biografie „Schopenhauer oder Die wilden Jahre der Philosophie“ aus dem Jahr 1987. Es ist eines der besten Bücher Safranskis – das spannende, kontextreiche Porträt einer philosophischen Höhenkamm-Epoche, das die Spätphilosophie Schopenhauers allerdings knapp und ein bisschen obenhin als „Hausbuch des gebildeten Bürgertums“ abhandelt. Robert Zimmers neue Lebens- und Werkbeschreibung „Schopenhauer – Ein philosophischer Weltbürger“ widmet sich dagegen eingehend auch den „Parerga und Paralipomena“, die ungeachtet ihres sperrigen Titels zum erfolgreichsten Buch des Philosophen wurden.

Es sei keineswegs eine „Resterampe des Schopenhauer’schen Denkens“, sondern das deutschsprachige Pendant zu Montaignes „Essais“ – eine Bestandsaufnahme der Condition humaine und ein Nachdenken über alltagstheoretische Fragen bis hin zur Lärmbelästigung. Und ein großes Buch der philosophischen Lebenskunst, der auch Otto A. Böhmer in seiner launig-entspannten Schopenhauer-Meditation „Die Erfindung der Altersweisheit“ auf der Spur ist. Schopenhauer hat sein Werk in späteren Jahren nicht nur ergänzt, sondern auch die Akzente verschoben.

Der Idealismus gibt unter dem Eindruck der Naturwissenschaften zunehmend Platz ab an die Empirie und eine materialistische Anthropologie. Seine Theorie wird zur Biophilosophie. Er eignete sich früh naturwissenschaftliche Kenntnisse an und verfolgte zeitlebens die Forschung. Seinen Lieblingsfeind Hegel titulierte er wegen dessen Mangel an naturwissenschaftlichen Kenntnissen als „Monsieur Nichtswisser“.

Zum Ruhm Schopenhauers trug sein glänzender, anschaulicher Stil bei. Im frühen 19. Jahrhundert hatte sich in Deutschland eine Professorenphilosophie etabliert, die sprachliche Verschrobenheit gezielt als Produktionsmittel des Tiefsinns einsetzte. Zeitlebens führte Schopenhauer den Kampf gegen die „Sprachverhunzer“. Die Universitätsphilosophie revanchierte sich mit Ignoranz; dafür wurde Schopenhauer auch außerhalb der Seminare gelesen – so viel wie sonst nur noch sein Schüler Nietzsche, der die Willensmetaphysik in den „Willen zur Macht“ umdeutete. „Nietzsche erst hat das Irrationale gefeiert und das Schopenhauer-Lied von Moll auf Dur gestimmt“, schreibt Robert Zimmer. Schopenhauer „habe das Land des Irrationalen in den Fokus gerückt; doch es war für ihn nicht das Gelobte Land; er ist ein Diagnostiker, kein Propagandist des Willens“.

Von Nietzsche unterschied er sich auch durch seinen Sinn für (eher grimmigen) Humor. Ludger Lütkehaus hat unter dem Titel „Ich bin ein Mann, der Spaß versteht“ eine Zitatauswahl mit den „Einsichten eines glücklichen Pessimisten“ zusammengestellt. Wer Schopenhauer bisher als unglücklichen Schwarzseher verstanden hat, soll in diesem Brevier von der lebensförderlichen Wirkung desillusionierter Welt- und Menschenkenntnis überzeugt werden.

Sexwesen Mensch: "Wunsch seiner Wünsche ist der Kopulationsakt"

Ein schärferer Wind weht im „Kleinen Schopenhauer Lexikon“ von Volker Spierling, dem besten Querschnitt durch Schopenhauers Gedankenwelt. Man liest sich fest in diesem Buch, weil es nicht nur über erkenntnistheoretische Begriffe und lebensphilosophische Stichworte mit profunder Kenntnis Auskunft gibt, sondern auch weniger bekannte Schopenhauer-Anekdoten und viele markante O-Töne vom Meister selbst beimischt, etwa über die Rechtlosigkeit der Tiere, die Schande der Sklaverei oder die Allgegenwart der Sexualität, die kein Denker zuvor so in den Fokus rückte: „Man kann sagen, der Mensch sei konkreter Geschlechtstrieb; da seine Entstehung ein Kopulationsakt und der Wunsch seiner Wünsche ein Kopulationsakt ist.“

Wer so desillusioniert auf die Triebsubstanz hinter dem Geschlechtertheater sieht, der ist für eine Charmeur-Rolle in diesem Theater verloren. Zu Schopenhauers berüchtigten Texten gehört der Essay „Über die Weiber“. Der Philosoph verübelte den Frauen, dass er sie begehren musste. Und noch mehr verübelte er ihnen, wenn sie sein Begehren dann nicht einmal erwiderten. Dazu kamen unschöne familiäre Konflikte, vor allem mit seiner Mutter, der Salonière und Erfolgsschriftstellerin Johanna Schopenhauer. So wurde er zum Frauenverächter.

Kürzlich schrieb die Autorin Angela Steidele, Biografin der Schwester Adele, Schopenhauers verächtliche Haltung gegenüber den Frauen diskreditiere sein gesamtes Werk. Man muss seine polternden Tiraden über die Frauen nicht amüsant finden – eine moralisch verheerende Wirkung auf sein gesamtes Denken zu behaupten, ist jedoch ein alberner Ruf nach genderpolitischer Korrektheit. Wie viele wütende Abrechnungen mit dem männlichen Geschlecht hat die feministische Literatur hervorgebracht? Da sollte man/frau im Gegenzug einen Schopenhauer aushalten können: „Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt.“ Kein Zweifel, hier donnert die Kanone, aber sie hat auch einen starken Rückstoßeffekt. „Der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt“ – könnte es eine Feministin treffender sagen? Und man kann nicht behaupten, dass die Geschlechterverhältnisse, die Schopenhauer in Rage brachten, heute unsere Sympathie hätten. Die kostspielige Institution der „Dame“, das Problem der unversorgten „alten Jungfern“, die Verlogenheit der Monogamie und das Keuschheitsgebot vor der Ehe, das die Prostitution förderte – selbst die umstrittenste Schrift Schopenhauers verdient gründlichere Lektüre, weil sie nicht nur misogyne Ressentiments wiedergibt, sondern Erkenntnisse über die fehlbare Geschlechterordnung seiner Zeit (und darüber hinaus) bietet.

Der ganz späte Schopenhauer war übrigens auf dem Sprung, manche seiner harschen Thesen selbst zu falsifizieren. Enthusiasmiert vom Umgang mit Frauen wie Malwida von Meysenbug und der jungen Bildhauerin Elisabeth Ney bekannte er: „Ich habe noch nicht mein letztes Wort über die Frauen gesprochen. Ich glaube, wenn es einer Frau gelingt, sich der Masse zu entziehen, so wächst sie unaufhörlich und mehr als der Mann.“

Arthur Schopenhauer kommt am 22. Februar 1788 als erstes Kind einer Kaufmannsfamilie in Danzig zur Welt. Er verbringt den größten Teil seiner Jugend in Hamburg. Nach dem Tod des Vaters 1805 bricht er seine nur widerwillig aufgenommene Kaufmannslehre ab und zieht mit Mutter Johanna und Schwester Adele nach Weimar. Nach einem kurzen Medizinstudium studiert er ab 1811 in Berlin Philosophie. 1819 erscheint der erste Teil seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung, der zweite Teil folgt erst 1844.

1823 promoviert er in Jena „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“. Es kommt zu einer kurzen Zusammenarbeit mit Goethe über die Farbenlehre und er überwirft sich mit Mutter und Schwester. Nach einer Italienreise will er sich ab 1820 als Philosophieprofessor an der Berliner Universität etablieren – und hält seine Vorlesungen zur gleichen Zeit wie Hegel. Er hat aber wenig Erfolg. Seine Verachtung für die akademische Philosophie wächst.

Von 1831 an lebt er zurückgezogen in Frankfurt am Main als Privatgelehrter – und bis zu seinem Tod am 21. September 1860 als Junggeselle. Er liegt auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben.

Bücher über Schopenhauer

Otto A. Böhmer: Schopenhauer oder Die Erfindung der Altersweisheit. C. H. Beck, München 2010. 160 S., 10,95 €.

Rüdiger Safranski: Schopenhauer oder Die wilden Jahre der Philosophie. Hanser Verlag, München 2010. 560 S., 24,90 €.

Arthur Schopenhauer: Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen Pessimisten. DTV, München 2010. 160 S., 8,90 €.

Volker Spierling: Kleines Schopenhauer Lexikon. Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 256 S., 9,95 €.

Robert Zimmer: Arthur Schopenhauer – Ein philosophischer Weltbürger. DTV, München 2010. 300 S., 14,90 €.

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